Fahndung mit SMS-Daten
MK, Montag, 16.02.2004, 14:34 (vor 7644 Tagen)
Da wird doch offensichtlich, dass die BGH-Richter am Freitag nicht anders entscheiden konnten, wenn am Sonntag der Herr Innenminister unserer schönen Republik die Fahndung per SMS-Daten bekannt geben will. An sich ja eine gute Sache, wäre nur nicht diese Technik dahinter - und die wird ja eben nicht erwähnt! M.K.
F.A.Z. vom 16.02.2004, Politik
Fahndung mit SMS-Daten
Lt.BERLIN, 15. Februar. Die Möglichkeit schriftlicher Kurznachrichtenübermittlung (SMS) über Mobiltelefone soll künftig bei der Verbrechensbekämpfung eingesetzt werden. Bundesinnenminister Schily gab den neuen Fahndungsweg am Sonntag frei. Künftig können Bürgerinnen und Bürger die Polizei bei der Personenfahndung unterstützen. Sie erhalten, sofern sie sich für diesen Dienst gemeldet haben, per SMS Fahndungsdaten, auch Fotos, mit der Bitte um Mitwirkung. Als freiwillige Helfer sollen vor allem Personen angesprochen werden, die sich "berufsbedingt im öffentlichen Raum bewegen", also etwas Bus- und Taxifahrer oder Wachpersonal, und die daher der lokalen Polizei Hinweise liefern könnten. Sie erhalten dann im Zuge der Fahndung in Sekundenschnelle Kurznachrichten auf ihre Mobiltelefon, etwa mit der Beschreibung eines Bankräubers, eines flüchtigen Häftlings oder einer vermißten Person. Schily äußerte am Wochenende, mit dieser Fahndungsmethode, die im internationalen Vergleich ein Novum darstelle, erhalte die Polizei "ein vielversprechendes Instrument".© F.A.Z.
Fahndung mit SMS-Daten
Erwin, Montag, 16.02.2004, 21:43 (vor 7643 Tagen) @ MK
Der Staat/die Politiker müssen doch ganz schön Muffensausen haben, wenn solche Überwachungsmaßnahmen notwendig werden. Es heißt ja, die Terror-Gefahr in Deutschland ist viel größer als es nach außen hin zugegeben wird.
Aber selbst im Amerika eines George Bush wurden doch diese "Spionage"-Ideen, wonach selbst Briefträger und Pizza-Lieferanten "verdächtige Bewegungen" sofort melden sollten, wieder aufgegeben.
Ist Deutschland auf dem Wege zum völligen Überwachungsstaat? Mit dem Mobilfunk scheint wohl die Technik dafür geliefert zu werden.
Und dass Herr Schily das tatsächlich wahr werden läßt, ist eine harte Tatsache!
Erwin
direkt zum BKA
mops, Montag, 16.02.2004, 22:02 (vor 7643 Tagen) @ Erwin
Hallo Erwin,
ich hab' mich schon schlau gemacht. Also wer gleich ganz begierig mitmachen möchte, kann sich hier anmelden:
Das Ganze auf der Homepage des Bundeskriminalamts
http://www.bundeskriminalamt.de
Da kommt Freude auf!!!
Wirkliche Freude dagegen über den gelungenen Neu-Start der Forums-Software! Klasse, Klasse, und wahrscheinlich viel Arbeit gewesen!
mops (mit abgelegter Schwimmweste)
Fahndung mit SMS-Daten
MK, Dienstag, 17.02.2004, 21:34 (vor 7642 Tagen) @ Erwin
Hallo Erwin,
das Unverständnis über Herrn Schilys Anordnungen ist groß!
So zu lesen - ja nur zum privaten Gebrauch lesen und verbreiten / s. Copyright - in SPIEGEL-online von heute, 17. Februar 2004:
VERBRECHERJAGD PER SMS
Schilys nutzlose Handy-Jagd
Von Alexander Bürgin
Neuer Ärger für den Innenminister: Seine Ankündigung einer Fahndung per SMS löst in den Landeskriminalämtern Kopfschütteln aus. In der Probephase hatte es nur einen einzigen Erfolg gegeben. Etliche Spitzenbeamte zweifeln am Nutzen der Handy-Fahndung, bei der schon Jugendliche zum Hilfssheriff werden.
DPA
Bundesinnenminister Otto Schily: Bei der Handy-Jagd vorgeprescht
"Bankraub, Polizei sucht zwei zirka 30-jährige Männer, Jeans, schwarze Jacken, flüchtig mit 5er BMW, Dortmunder Kennzeichen, Hinweise 110."
Solche Nachrichten auf seinem Handy könnte in Zukunft empfangen, wer sich beruflich viel in der Öffentlichkeit aufhält - wie etwa Taxi- und Busfahrer, oder Schaffner der deutschen Bahn. Auf der Internetseite des Bundeskriminalamts kann man sich mit seiner Mobilfunknummer registrieren lassen - und schon ist man Hilfssheriff der Polizei. Otto Schily erhofft sich von der Einbeziehung der Bürger flüchtende Straftäter schneller zu ergreifen oder vermisste Personen aufzuspüren. So hat er es am Wochenende verkündet.
Bürger sollen in Fahndung einbezogen werden
Die Umsetzung dieser Idee indes ist wenig ausgereift. Vor einem Jahr haben elf Städte einen Testlauf gestartet. Das Ergebnis ist ernüchternd: Nur ein Fahndungserfolg wird im Bericht des Bundeskriminalamts (BKA) positiv vermerkt. Bei vielen Innenministerien der Länder und deren Landeskriminalämter (LKA)überwiegt die Skepsis. Sie wollen sich nicht an dieser Fahndungsmethode beteiligen.
Der übereilte Vorstoß Schilys stößt auf Unverständnis. Eigentlich sollte eine Innenministerkonferenz im Frühjahr über die bundesweite Einführung beschließen. Schily, der in den letzten Wochen mit seinen unabgestimmten Umzugsplänen des Bundeskriminalamts von Wiesbaden nach Berlin in die Kritik geriet, zieht erneut den Ärger Betroffener auf sich.
Das Polizeipräsidium Karlsruhe testete die Fahndungsmethode schon seit einem Jahr. Ergebnis: wenig effizient, nicht überzeugend. Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg will daher nicht mitmachen bei Schilys SMS-Plänen. Die Bedenken an der Verbrecherjagd per Handy seien auch gegenüber dem Bundesinnenministerium geäußert worden, heißt es aus dem Polizeipräsidium.
Landeskriminalämter fühlen sich übergangen
Der Landeskriminaldirektor des Innenministeriums Baden-Württemberg, Dieter Schneider, wird deutlicher: "Der Arbeitskreis der Innenministerkonferenz wollte Anfang Mai die Möglichkeiten dieser Fahndungsmethode bewerten. Das Vorpreschen von Schily verstehe ich nicht. Wir wurden über die Ankündigung vom Wochenende vorab nicht informiert."
DPA
Polizeibeamte bei der Arbeit: Nutzen der SMS-Fahndung umstritten
Im Innenministerium in Brandenburg ist man "sehr überrascht" über Schilys Ankündigung. In ganz Brandenburg gab es noch keinen Testlauf. Vor einer Einführung bestünde noch erheblicher Diskussionsbedarf. Auch beim LKA in Hannover heißt es: "Schily hätte noch warten können." Das LKA will eine zweite Pilotphase im Bereich Lüneburg starten und dann Anfang nächstes Jahr entscheiden, ob die SMS-Fahndung sinnvoll sei oder nicht, heißt es in der Pressestelle.
Nicht nur der magere Fahndungserfolg während der Testphase spricht gegen die Verbrecherjagd per Handy. Auch der größere Nutzen im Vergleich zu bisherigen Fahndungsmethoden wird bezweifelt. Die wichtigste Zielgruppe der Taxifahrer werde bereits jetzt per Funk in die Fahndung miteinbezogen, heißt es beim LKA in Baden-Württemberg. Das Verschicken von Kurzmitteilungen an andere Zielgruppen bringe keinen größeren Nutzen für die Fahndung.
- Fortsetzung
Fahndung mit SMS-Daten
MK, Dienstag, 17.02.2004, 21:34 (vor 7642 Tagen) @ MK
... Fortsetzung und Ende
Zweifel am Nutzen der Hand-Jagd
Wohl aber Risiken. Schließlich besteht die Gefahr, dass sich so mancher, angestachelt durch die aufregenden Zeilen auf seinem Handy-Display, nicht auf die Weitergabe von dem beschränkt, was er beobachtet. "Angenommen ein Handy-Besitzer bekommt das Kennzeichen des flüchtigen Bankräubers mitgeteilt und sichtet dieses Fahrzeug im Straßenverkehr: Wie groß ist die Versuchung, sich an das Auto dranzuhängen?", äußert das LKA-Hannover seine Befürchtungen. Hinzu kommt: Bereits mit 16 Jahren kann man sich beim Bundeskriminalamt registrieren lassen. Ein Alter, in dem viele Jugendliche sich leichtsinnig in Gefahr begeben könnten.
Unklar ist auch, bei welcher Art von Verbrechen, die Handy-Fahndung eingesetzt wird. Eigentlich soll sie nur bei schweren Delikten angewendet werden, allerdings wurde sie im Probejahr in Innenstädten zur Jagd auf Taschendiebe getestet. Das BKA schiebt die Verantwortung von sich: Wir stellen nur die Technik zur Verfügung. Über den Einsatz müssen die Dienststellen entscheiden.
Die Technik ermöglicht auch den Versand von Fahndungsfotos und die automatische Umwandlung von Text in Sprache, damit auch Autofahrer ohne Zeitverzögerung die Polizeimeldungen empfangen können.
Wer Schilys Aufruf gefolgt ist und sich heute beim BKA registriert hat, wird dennoch lange warten müssen, bis die Polizei bei ihm klingelt: Allein die Dienststellen Bochum, Kiel, Rendsburg, Lübeck und Pinneberg sind gegenwärtig einsatzbereit für die Handy-Jagd.
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SZ: Lauter kleine Hilfssheriffs - "Blockwart-Mentalität"
RH, Donnerstag, 19.02.2004, 12:40 (vor 7641 Tagen) @ MK
Gestern war's auch der Süddeutschen Zeitung die Seite 1 wert:
SZ vom 18.02.2004, Seite 1
Lauter kleine Hilfssheriffs
Gegen die Fahndung per SMS regt sich Widerstand
Joachim Käppner
Der Blockwart des Dritten Reiches war in der Regel ein widerwärtiger Geselle, der bei Nachbarn lauschte, ob sie Witze über den Führer machten oder heimlich Feindsender hörten. Mancher der Ausgehorchten verschwand im Konzentrationslager, weshalb der freigiebige Gebrauch des Wortes Blockwart im politischen Berlin etwas erstaunt. Neulich war es Rainer Brüderle von der FDP, der den Finanzminister als "Blockwart der Nation" schmähte. Nun bezichtigt der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss Innenminister Otto Schily, mit den demnächst möglichen Fahndungsaufrufen per SMS eine "neue Blockwartmentalität" zu erzeugen.
Realistischer scheint die Frage, was die von den Technikern des Bundeskriminalamts (BKA) ausgetüftelte SMS-Fahndung wirklich nützen wird. Silke Stokar, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, schimpft über "technisches Spielzeug". Dabei klingt das Schily-Konzept bestechend einfach: Bei Taxichauffeuren oder Busfahrern piept das Handy, und auf dem Display erscheint eine Kurzmitteilung, Absender: die Polizei, Inhalt: "Bankraub, Polizei sucht zwei ca. 30-jährige Männer, Jeans, schwarze Jacken, flüchtig mit braunem 5er-BMW, Dortmunder Kennzeichen. Hinweise 110". Wer den Fluchtwagen vor sich sieht, der muss nur noch die drei Ziffern wählen.
Beim BKA schwört man auf den Zeitfaktor. Die Öffentlichkeit könne schon Minuten nach einem Verbrechen informiert, den Tätern das "Abtauchen" dadurch erheblich erschwert werden. Auf lange Sicht erscheint es sogar möglich, gleich Fahndungsfotos mitzuschicken. Freilich ist die Begeisterung alles andere als ungeteilt. Konrad Freiberg, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), hält die SMS-Fahndung "nur in sehr begrenztem Umfang" für hilfreich. Eher sieht er die Gefahr des Hilfssheriffs-Syndroms, "dass nämlich einige Wildgewordene die Polizei aus Geltungstrieb mit Hinweisen überschütten", die dann mühsam abgearbeitet werden müssen.
Auch das BKA fürchtet Übereifrige und warnt Interessenten vorsichtshalber: "Sie sind lediglich gebeten, zielgerichtete Hinweise zu geben. Sie erhalten im Rahmen der SMS-Fahndung keinerlei polizeiliche Befugnisse." Freiwillige, die auf den Verteiler ihrer Polizeidienststelle kommen wollen, müssen sich registrieren lassen sowie bestimmten Berufsgruppen angehören, die freilich vom Taxifahrer über Förster, Tankwarte und Nachtwächter bis zu Kneipenwirten großzügig gefasst sind. Zu großzügig für die Kölner Polizei zum Beispiel, die das Projekt ablehnt und murrt, man wolle diejenigen, mit denen man zusammenarbeite, doch lieber kennen. Offen ist auch die Kostenfrage, was in mehreren Bundesländern, etwa in Bayern und Baden-Württemberg, Widerstand gegen das Projekt auslöst. Jede SMS kostet sieben Cent.
Immerhin zöge die Polizei technisch mit den Kriminellen gleich, die Handy-Kurzmitteilungen bereits mit Freude nutzen, meist verschlüsselt. Belgiens Polizei geht nun gegen Personen vor, die auf Teletext-Seiten verdächtige SMS-Anzeigen veröffentlichen. "Hübsche Frau verkauft ihre Nacktfotos" gehört noch zu den leichteren Fällen, wohingegen Botschaften wie "Suche ein Jagdgewehr mit übereinander liegenden Läufen, Kaliber egal" berechtigte Fragen nach den Motiven des Absenders aufwerfen.
nur zur privaten Nutzung!
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Alles Käse, deine Emma
H. Lamarr , München, Donnerstag, 19.02.2004, 15:26 (vor 7641 Tagen) @ MK
Dazu meldete gestern (18.2.04) die Münchener tz, dass die Polizeifahnung per SMS aufs Handy bereits im ersten Halbjahr 2003 in Traunstein getestet wurde. Jetzt das Ergebnis: Der Versuch habe nichts gebracht, es hätte dadurch keine zusätzlichen Festnahmen gegeben.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –