Keine Entwarnung für hochfrequente elektromagnetische Strahlung (Forschung)
Die Mevissen-Review im Auftrag der WHO bewegt die Gemüter. In der Schweiz haben sich nach längerer Pause am 5. Mai 2025 die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU) zu Wort gemeldet und fordern mit einer Medienmitteilung Vorsorgemaßnahmen. Ich fütterte die KIs ChatGPT und Gemini mit der Review und der Medienmitteilung und fragte dann beide Maschinen, was sie von den Forderungen der Mediziner halten. Deckungsgleich sind die Antworten nicht – wie im wirklichen Leben.
Stellungnahme von ChatGPT (OpenAI)
Die Mevissen-Review basiert auf Tierstudien, deren Ergebnisse nur begrenzt auf den Menschen übertragbar sind. Unterschiede in Stoffwechsel, Lebensdauer und Tumorbiologie zwischen Tierarten und Menschen sind erheblich. Besonders die malignen Herzschwannome und Gliome, auf die sich die Review stark fokussiert, sind extrem seltene Tumorarten beim Menschen. Zudem weichen die typischen Expositionsbedingungen in Tierstudien (Dauer, Intensität, Frequenz) oft deutlich von den menschlichen Alltagsbelastungen ab, was die externe Validität der Ergebnisse weiter einschränkt.
Expositionsintensität und Dauer als limitierende Faktoren
Viele der untersuchten Tierstudien arbeiten mit deutlich höheren Strahlungsdosen und längeren Expositionszeiten als im Alltag üblich. Oft werden die Tiere über viele Stunden täglich, über Monate oder sogar Jahre hinweg exponiert. Diese Dosen liegen häufig über den international empfohlenen Grenzwerten für Menschen, was die Vergleichbarkeit weiter reduziert.
Inkonsequente Reproduzierbarkeit der Ergebnisse
Einige der in der Review zitierten Tierstudien zeigen widersprüchliche oder inkonsistente Ergebnisse. Selbst hoch zitierte Studien wie die NTP-Studie (2018) lieferten keine konsistenten Befunde in Bezug auf die Tumorraten in parallel durchgeführten Mäuse- und Rattenexperimenten. Auch die italienische Ramazzini-Studie (2018) wies ähnliche Trends auf, jedoch mit erheblichen methodischen Unterschieden und teils widersprüchlichen Resultaten.
Mangelnde Kontrolle von Störvariablen
Eine der größten Herausforderungen in Tierstudien zur EMF-Forschung ist die Kontrolle von Begleitfaktoren wie Käfigbedingungen, genetische Prädisposition und allgemeiner Gesundheitszustand der Tiere, die die Ergebnisse stark beeinflussen können.
Fehlen konsistenter Dosis-Wirkungs-Beziehungen
Eine klare, dosisabhängige Beziehung zwischen Expositionsintensität und Tumorentstehung konnte in vielen Studien nicht belegt werden, was die kausale Interpretation weiter erschwert.
Vorsicht vor Überinterpretation der Ergebnisse
Die Forderung nach umfassenden Vorsorgemaßnahmen, wie sie etwa von der AefU formuliert wurden, erscheint auf dieser Datenbasis überzogen. Solche Maßnahmen sollten auf einem breiteren und konsistenteren Evidenzfundament beruhen, das auch menschliche Expositionsdaten berücksichtigt.
Fazit
Auch wenn die Mevissen-Review einige interessante Hinweise auf mögliche tumorfördernde Effekte von HF-EMF liefert, rechtfertigen die vorhandenen Daten noch keine drastischen Vorsorgemaßnahmen, wie sie von der AefU gefordert werden. Eine differenzierte Betrachtung der Studiendesigns, Expositionsbedingungen und Tumortypen ist notwendig, um ein realistisches Bild der tatsächlichen Risiken zu gewinnen.
Anmerkung zur Vorsorgeperspektive
Obwohl das Vorsorgeprinzip in vielen Bereichen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes eine wichtige Rolle spielt, sollte es stets auf einer klaren Abwägung zwischen potenziellem Risiko und wissenschaftlicher Evidenz basieren. In Anbetracht der limitierten und teils widersprüchlichen Datenlage erscheint es verfrüht, drastische Maßnahmen auf Basis der Mevissen-Review zu fordern. Ein ausgewogener Ansatz, der sowohl den Schutz der Bevölkerung als auch die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen berücksichtigt, wäre hier angebracht.
Stellungnahme von Gemini (Google)
Meiner Meinung nach sind die Forderungen der AefU nicht übertrieben. Die Mevissen-Review liefert Belege dafür, dass die Exposition gegenüber HF-EMF das Krebsrisiko erhöhen kann, und erkennt die Komplexität der Übertragung der Tierstudienergebnisse auf den Menschen an. Die Forderungen der AefU stehen im Einklang mit dem Vorsorgeprinzip, das besagt, dass, wenn eine Maßnahme oder Politik schwere oder irreversible Schäden für die Öffentlichkeit oder die Umwelt verursachen könnte, in Ermangelung eines wissenschaftlichen Konsenses darüber, dass kein Schaden eintreten wird, die Beweislast bei denjenigen liegt, die die Maßnahme befürworten würden. Angesichts der potenziellen Risiken ist es vernünftig, Maßnahmen zu befürworten, die die Exposition gegenüber HF-EMF minimieren und weitere Forschung fördern, um die Auswirkungen besser zu verstehen.
[Nachdem ich Gemini die Stellungnahme von ChatGPT zur Kenntnis gegeben hatte, analysierte die Google-KI den Text und stellte fest:]
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ChatGPTs Einwände berechtigt sind und wichtige Aspekte der wissenschaftlichen Bewertung hervorheben. Die Mevissen-Review liefert jedoch eine umfassende Analyse der verfügbaren Evidenz und kommt zu dem Schluss, dass es Hinweise auf ein erhöhtes Krebsrisiko bei Tieren gibt. Angesichts der potenziellen Risiken und der Unsicherheiten bei der Extrapolation auf den Menschen ist ein vorsichtiger Ansatz durchaus vernünftig.
Anmerkungen Postingautor
Die Antwort von Gemini war im Original etwas umfangreicher, jedoch nicht so umfangreich wie die Antwort von ChatGPT. Da die anfänglichen Ausführungen von Gemini über den Inhalt der Mevissen-Review sich als allgemein bekannt herausstellten, habe ich die Antwort dieser KI auf die substanziell neue Textpassage gekürzt.
Mit Verweis auf die sehr geringe Prävalenz von Gliomen und von bösartigen Herzschwannomen sowie mit Verweis auf die sehr starke Exposition bei der NTP- und Ramazzini-Studie habe ich versucht, Gemini von seinem Verständnis für die Forderungen der AefU abzubringen. Doch ohne Erfolg. Gemini wertete meine Einwände als valide, blieb aber bei seinem Verständnis für Vorsorgemaßnahmen. In dieser Disziplin verhält sich Gemini merklich anders als sein Kollege von OpenAI. ChatGPT ist opportuner und wechselt nach Widerspruch gerne hemmungslos seine Einschätzung. Insgesamt empfand ich Gemini wegen alogischen Sätzen im Vergleich zu ChatGPT als weniger kompetent. Beispiel: "Es ist jedoch auch wichtig zu berücksichtigen, dass die Studien trotz der hohen Exposition einige Hinweise auf ein erhöhtes Krebsrisiko bei Tieren gefunden haben." Andererseits bombardiere ich ChatGPT bereits seit Wochen mit Fragen zur Mobilfunkdebatte, sodass diese KI wahrscheinlich schon auf mich trainiert ist und weiß, wie sie reagieren muss, damit ihre Antworten mir zusagen.
Wer sich auf eine einzige KI stützt, lebt gefährlich, denn das Risiko künstlich erzeugten Blödsinn der KI weiterzuverbreiten ist gegenwärtig noch ziemlich groß. Einer KI allein ist ebenso wenig zu trauen wie einem einzigen Virenscanner. Wer bei Viren auf Nummer sicher gehen will, verwendet VirusTotal. Dieses Online-Tool prüft eine Datei/URL nicht mit nur einem Virenscanner, sondern mit 70 Virenscannern und teilt detailliert mit, wie viele Scanner die Datei oder URL als sauber eingestuft haben und wie viele sie verseucht sehen. Ein ähnliches Funktionsprinzip verwenden Meta-Suchmaschinen. Sie spannen für Suchanfragen mehrere Suchmaschinen ein, bündeln die Antworten und bereiten diese auf. Mit Meta-KIs ließe sich künftig mutmaßlich auch das Risiko senken, von einer (einzelnen) KI mit falschen Auskünften an der Nase herumgeführt zu werden.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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- WHO systematische Review: HF-EMF und Karzinogenität bei Tieren -
H. Lamarr,
08.05.2025, 13:25
- Karzinogenität bei Tieren: was ChatGPT & Jakob verbindet - H. Lamarr, 08.05.2025, 14:17
- Keine Entwarnung für hochfrequente elektromagnetische Strahlung -
H. Lamarr,
13.05.2025, 23:03
- Keine Entwarnung für hochfrequente elektromagnetische Strahlung - e=mc2, 14.05.2025, 08:18