Begründeter Verdacht: Scheidsteger hat Urteil frei erfunden (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 08.10.2016, 21:20 (vor 2963 Tagen) @ H. Lamarr

Wo hat Scheidsteger es nur her, Richter Weisberg habe in seinem Urteil angeblich befunden, es müsse jeder einzelne Fall der Sammelklage unter anderem auf "vorsätzlicher Betrug" (der Mobilfunkindustrie) hin verhandelt werden?

Um die Schlinge noch etwas enger zu ziehen habe ich weiter recherchiert, aus welcher Quelle Filmemacher Scheidsteger geschöpft haben könnte.

Dicht am Ende des Films, nach der angeblich so fulminanten Order von Richter Weisberg, gibt es eine Szene, in der Scheidsteger und Carlo in einem Straßencafe sitzen und Carlo sagt: Lesen wir die Order! Der Zuschauer sieht dann ein Papier aus dem Carlo einige Passagen zitiert, die den Richterspruch scheinbar untermauern.

Es ist mir gelungen, dieses Papier zu identifizieren. Es ist tatsächlich "nur" das Urteil vom 8. August 2014, das wir bereits mehrfach in diesem Strang für Einsprüche gegen Scheidstegers Film nutzen konnten.

Carlo zitiert aus diesem Papier einige Passagen von Seite 26, doch die stehen dort im Textabschnitt "E. Freye versus Daubert" und nicht etwa, wie Carlo behauptet, unter den Beschlüssen des Gerichts (Order), die auf Seite 75 zu finden sind. Immerhin: Die für den Film so schön passenden Passagen, die Carlo zitiert, zitiert er korrekt. Doch unmittelbar im Anschluss steht auf Seite 26 etwas, was Scheidsteger diskret weglässt, obwohl es die zuvor von Carlo zitierten Passagen gründlich relativiert. Sinngemäß heißt es dort, die Carlo-Zitate wären "politische Debatten", die vor Gericht nichts zu suchen hätten:

The court recognizes, however, that policy debates of this kind do not belong in the judicial branch. The question of admissibility before the court is a narrow one, and the court is bound by the precedents applying Frye unless and until an "en banc" decision of the Court of Appeals says otherwise.

Und an anderer Stelle (Seite 5) heißt es noch aufschlussreicher:

The question presented, however, is not whether cell phones can cause cancer, but whether plaintiffs’ expert witnesses, who have expressed the opinion “to a reasonable degree of scientific certainty” that cell phones more likely than not cause or promote certain brain tumors, should be permitted to testify to those opinions before the jury.

[Frei übersetzt: Die Frage, die wir hier zu klären haben, ist nicht die, ob Mobiltelefone Krebs verursachen können. Vielmehr gilt es zu klären, ob die von Klägerseite benannten Experten, die mit einem vertretbaren Maß an wissenschaftlicher Gewissheit den Standpunkt vertreten, es sei eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich, dass Mobiltelfone bestimmte Hirntumoren verursachen oder begünstigen, zur Aussage vor Gericht zugelassen werden sollen.]

Also noch eine weitere Irreführung der Kinogänger, die vor Ort keinerlei Möglichkeit haben, die Desinformation durch den Film zu erkennen.

Wichtiger als dieser Fund ist mMn jedoch der Umstand, das jetzt zweifelsfrei fest steht, auch dem Filmemacher steht nur das oben verlinkte (vorläufige) Urteil zur Verfügung. Dieses aber stützt seine dramatische Interpretation des Urteils von Richter Weisberg in keiner Weise. Ich meine, Klaus Scheidsteger hat jetzt ein substanzielles Problem, denn nach dem bisherigen Stand der Recherche und dem Ausbleiben einer Antwort auf meine Anfrage bleibt mir nur der begründete Verdacht: Scheidsteger hat sich das angebliche Urteil, das er gegen Ende seines Films von dramatischen Paukenschlägen untermalt verkündet – einfach aus den Fingern gesaugt!

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Irreführung, Scheidsteger, Zitiert, Filmkritik, Ty4C, Weisberg, Daubert


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