Scheer-Stellungnahme zu NF-EMF (1 Hz bis 100 kHz) (Forschung)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 10.12.2024, 22:25 (vor 14 Tagen)

Wie ich dem jüngsten Berenis-Newsletter entnommen habe, hat der EU-Ausschuss Scheer die Endfassung seine Stellungnahme zu NF-EMF abgegeben. Zuvor wurde der Entwurf des Papiers einer öffentlichen Konsultation unterzogen, die am 10. November 2023 begann, am 2. Januar 2024 endete und zu 94 Kommentaren führte.

Das englischsprachige Original der Scheer-Stellungnahme hat 44 Seiten und datiert vom 17. Mai 2024. Der hier anschließend auf Deutsch wiedergegebene Abstract der Stellungnahme fasst den Inhalt zusammen.

Zusammenfassung der Scheer-Stellungnahme

Die Exposition der allgemeinen Bevölkerung in Europa liegt, wie in den veröffentlichten Literaturübersichten berichtet, weiterhin unter den in der Empfehlung 1999/519/EG des Rates empfohlenen Expositionsgrenzwerten. Es liegen keine systematischen Übersichtsarbeiten und Metaanalysen zur Melatoninhypothese, zu Radikalpaar-Mechanismen, oxidativem Stress oder epigenetischen Effekten im Zusammenhang mit der Exposition gegenüber niederfrequenten elektromagnetischen Feldern (EMF) vor. Es gibt schwache Hinweise auf die Beteiligung von Interaktionsmechanismen (oxidativer Stress, genetische/epigenetische Effekte) an Gesundheitsrisiken durch niederfrequente (NF) Magnetfelder (MF), die in epidemiologischen und In-vivo-Studien beobachtet wurden.

Weitere Forschungsarbeiten sind erforderlich, um die Interaktionsmechanismen zwischen niederfrequenten EMF und lebender Materie zu ermitteln. Wobei standardisierte Expositionsbedingungen und optimierte In-vitro-Zelllinien verwendet werden sollten, mit der Möglichkeit, auf In-vivo-Modelle zu extrapolieren, bei denen die Stoffwechselprozesse eine wichtige Rolle für die Interpretation der biologischen Reaktionen spielen, die für die Gesundheit von Menschen relevant sind. Scheer konnte keine aktuellen (nach 2015 publizierten) systematischen Übersichtsarbeiten oder Metaanalysen zur niederfrequenten EMF-Exposition und zu selbstberichteten Symptomen identifizieren, um die vorherige SCENIHR-Bewertung in der aktuellen Stellungnahme zu aktualisieren. Es wird darauf hingewiesen, dass in der SCENIHR-Stellungnahme (2015) der Schluss gezogen wurde, dass es keine überzeugenden Beweise für einen kausalen Zusammenhang zwischen niederfrequenter Magnetfeld-Exposition und selbstberichteten Symptomen gibt.

Veröffentlichte systematische Übersichtsarbeiten zu Leukämie und NF-EMF-Exposition, die hauptsächlich auf Fall-Kontroll-Studien basieren, ergaben, dass die NF-MF-Exposition konsistente, aber moderate Risikoschätzungen aufwies, es jedoch zu wenig Beweise gab, um eine Dosis-Wirkungs-Kurve zu erstellen. In Bezug auf Leukämie bei Kindern gibt es schwache bis mäßige Beweiskraft aus epidemiologischen Studien (die primäre Beweisführung). Die in den meisten Studien verwendeten Tiermodelle waren jedoch für die Untersuchung von Leukämie bei Kindern nicht geeignet, weshalb es aus dieser Beweisführung nur schwache Beweise gibt. Darüber hinaus gibt es schwache Beweise für Interaktionsmechanismen bei der Induktion von Neoplasien durch NF-MF-Exposition. Folglich gibt es insgesamt nur schwache Belege für einen Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber NF-MF und Leukämie bei Kindern.

Insgesamt gibt es mäßige Belege (hauptsächlich aus Humanstudien) für einen Zusammenhang zwischen der beruflichen Exposition gegenüber NF-EMF und amyotropher Lateralsklerose, schwache Belege für einen Zusammenhang zwischen der beruflichen Exposition gegenüber NF-EMF und Alzheimer-Krankheit und Demenz, aber nur unsichere bis schwache Belege für einen Zusammenhang zwischen der Exposition in Wohngebieten und diesen neurodegenerativen Erkrankungen. Es kann kein signifikanter Zusammenhang zwischen EMF-Exposition und Parkinson oder Multipler Sklerose hergestellt werden.

Es konnten keine systematischen Übersichtsarbeiten oder Metaanalysen zur Exposition gegenüber NF-EMF und neurophysiologischen Ergebnissen identifiziert werden. Daher ist es immer noch nicht möglich, eine endgültige Schlussfolgerung über mögliche Auswirkungen zu ziehen. Die verfügbaren systematischen Übersichtsarbeiten und Metaanalysen haben keinen Zusammenhang zwischen NF-EMF-Exposition und Schwangerschaft oder Fortpflanzung gezeigt. Die Beweislage zu den gesundheitlichen Auswirkungen der Exposition gegenüber Zwischenfrequenz-EMF ist aufgrund widersprüchlicher Informationen aus verschiedenen Beweislinien ungewiss. Auch auf der Grundlage von Studien am Menschen können keine schlüssigen Ergebnisse erzielt werden.

Die Exposition von Tieren und Pflanzen gegenüber NF-EMF kann höhere Werte erreichen als die von Menschen, wenn sie sich in der Nähe anthropogener Quellen in der Umwelt befinden. Darüber hinaus haben Tiere und Pflanzen Rezeptoren und Strukturen, die beim Menschen nicht vorhanden sind und die zu artspezifischen biologischen Auswirkungen führen könnten.

Primärstudien und deren Gewichtung

Die von Scheer für die Stellungnahme ausgewerteten Primärstudien sind alle in dieser Tabelle zusammengefasst worden. Die Einträge sind weitgehend selbsterklärend, WoE bedeutet "Weight of Evidence" und beziffert die Gewichtung einer Studie (Score) oder benennt deren Einfluss auf die Stellungnahme (Contribution).

Öffentliche Konsultation

Die 94 Kommentare der öffentlichen Konsultation kann man sich hier ansehen. Sämtliche Kommentare sind aus nur sechs Ländern gekommen: Belgien, Niederlande, Deutschland, Frankreich, UK und USA. Bemerkenswert an den Kommentaren der USA ist, dass sich die Amerikaner als einziges nicht-europäisches Land zu Wort meldeten und bis auf einen (unqualifizierten) von 22 Kommentaren alle US-Kommentare von dem Anti-Mobilfunk-Verein "Environmental Health Trust" (Devra Davis) kommen. Bei den Deutschen ist es anders: Deutsche Mobilfunkkritiker meldeten sich nicht zu Wort, Verfasser aller 20 Kommentare ist das BfS. Ähnlich verhält es sich mit Frankreich, das mit 34 Kommentaren Spitzenreiter ist, die mit überwiegender Mehrzahl auf das Konto der Strahlenschutzbehörde SFRP (Société Française de Radioprotection) gehen. Scheer reagierte auf jeden Kommentar mit einer kurzen Antwort, aus der häufig hervorgeht, was ein Kommentar bewirkt hat.

Unter den 94 Kommentaren sind auch einige belanglose und unqualifizierte, z.B. von einer "elektrosensiblen" Privatperson aus Belgien, die Sinn und Zweck der Konsultation offensichtlich falsch verstanden hat.

Hintergrund
Scheer-Mitglieder, ihre CVs und DOIs

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Tiere, Exposition, NF, Leukämie, Analyse, BfS, Scheer, Mobilfunkkritiker


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