Nachgehakt bei Michael Witthöft (Forschung)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 29.05.2013, 23:39 (vor 4231 Tagen) @ cassandra

... in der Zwischenzeit hatte auch ich angefragt und die Auskunft bekommen, dass sich die insgesamt 82 Teilnehmer mit Symptomen im wesentlich gleich auf beide Gruppen verteilen. Das hat mich sehr ueberrascht, denn ich haette erwartet, dass die Gruppe, die den Film zu WLAN-Gesundheitsgefahren zu sehen bekommen hatte, mehr betroffen ist als die andere Gruppe.

Herr Witthoeft schrieb mir, dass vorallem die Kombination mit erhoehter Aengstlichkeit negativ wirke, nicht der Gefaehrdungsfilm per se.

So ganz durchblickt habe ich diese Auskunft nicht. Und deshalb habe ich heute bei Dr. Witthöft nachgehakt.

IZgMF: Einer unsere Forenteilnehmer wollte von Ihnen wissen, wie sich denn nun die gut 50 Prozent Symptomspürer auf die beiden Probandengruppen (W-LAN-Film/Datensicherheit-Film) verteilt haben. Die Antwort, die Sie unserem Forenteilnehmer gegeben haben ist jedoch entgegen aller Erwartungen die, dass sich die Symptomspürer zu etwa gleichen Teilen auf beide Gruppen verteilen.

Vielleicht liegt es an der Presse-Information der Uni, aber jeder hätte nun erwartet, die W-LAN-Film-Betrachter wären signifikant deutlich in der Überzahl gewesen. Dass es nicht so ist, irritiert erheblich. Denn wenn es nicht der teils drastische W-LAN-Film war, der zu Angst und in deren Kielwasser zu Symptomen geführt hat, was war es dann, was mehr als jeden zweiten Probanden (auch die Datensicherheitsfilm-Betrachter) zum Symptomspürer machte?

Michael Witthöft: Sie haben zunächst völlig recht, dass es einfacher gewesen wäre, die Ergebnisse zu erklären und zu verstehen, wenn wir einen eindeutigen Effekt zwischen den beiden Film-Bedingungen gefunden hätten. Das war jedoch nicht der Fall, wird jedoch leider in den meisten Presse-Berichten verkürzt wiedergegeben, da die Presse (nachvollziehbarer Weise) ein hohes Bedürfnis nach Einfachheit und simpler Darstellung hat. Leider sind unsere Ergebnisse etwas komplexer.

Insgesamt haben uns selbst vor allem zwei Dinge überrascht: Zum einen, dass so viele Personen generell mit Symptomen reagiert haben, die sie zudem auf die WiFi-Schein-Exposition zurückgeführt haben und zum anderen, dass es keinen einfachen Unterschied zwischen den beiden Filmbedingungen gab. Unsere Erklärung hierfür ist, dass durch die Schein-Exposition eine relativ starke Suggestion in Richtung einer Symptomwahrnehmung induziert wurde. Dieser generelle Suggestions- bzw. Nocebo-Effekt fiel (über beide Filmbedingungen) so deutlich aus, dass der Filmbeitrag evt. keinen zusätzlichen Effekt erzeugen konnte. Allerdings zeigten Personen mit bereits vor dem Experiment erhöhter Ängstlichkeit einen solchen additiven Effekt des Gefährdungsfilms. Unser Fazit ist, dass ein relativ kurzer reißerischer Medienbeitrag zwar nicht in der Lage ist, bei allen Personen sofort Symptome zu induzieren, dass für bestimmte Personen (solche mit erhöhter Ängstlichkeit) jedoch durchaus ein Risiko besteht, dass entsprechende Körpersymptome verstärkt werden können.

IZgMF: Wieso sollte die fehlende Befeldungssituation "keine Befeldung" ein Mangel ihrer Arbeit sein? Ich verstehe das nicht. Es gab doch ohnehin nur eine "Scheinbefeldung", wozu dann noch "keine Befeldung?

Witthöft: Während der Schein-Exposition haben wir die Probanden instruiert, genau auf ihren Körper zu achten und mögliche Symptome zu registrieren. Nun ist es so, dass alleine das Fokussieren der Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper für die Dauer von 15 Minuten bei den meisten Menschen zur Registrierung von bestimmten Sensationen führt. Um die Frage zu klären, welche der berichteten Körperempfindungen nun lediglich auf die Aufmerksamkeitsfokussierung auf den eigenen Körper und welche Symptome auf die negative Erwartungshaltung bezüglich der Schein-Exposition zurückzuführen sind, bräuchten wir letztlich noch eine Kontrollbedingung ohne Schein-Exposition, während der die Probanden lediglich ihren Körper beobachten.

Ich hoffe, diese Erklärungen helfen etwas weiter, unsere Studienergebnisse besser zu verstehen. Bitte sagen Sie mir Bescheid, falls weitere Dinge unklar sind. Ich versuche dann gerne weiter zu erläutern.

Viele Grüße

Michael Witthöft

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Anfrage, Erwartungshaltung, Witthöft


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