Babyphones: Viele Geräte strahlen stark (Medien)

H. Lamarr @, München, Montag, 15.12.2025, 01:19 (vor 22 Stunden, 29 Minuten)

Das schweizerische Magazin "Gesundheitstipp" hat zu HF-EMF bekanntlich seit eh und je ein kriegerisches Verhältnis. Diesmal versucht das Blatt auf bewährt fragwürdige Weise Babyphones in Misskredit zu bringen. Das Bemühen wirkt provinziell, denn die internationale Forschung gibt keinerlei Anlass, an der Unbedenklichkeit von Babyphones zu zweifeln.

Forschungslage

Schauen wir uns zuerst die internationale Forschungslage an. Das EMF-Portal liefert zum Suchbegriff "Babyphone" bescheidene vier Treffer. Der erste Link sollte zum Faktenblatt des Bundesamts für Gesundheit (BAG, Schweiz) führen, tut dies aber nicht mehr. Mutmaßlich hat das Amt das Papier vom Netz genommen, um es auf aktuellen Stand zu bringen. Die Fassung von 2016 lässt sich hier betrachten, sie stützt Behauptungen des Gesundheitstipps nicht.

Der zweite Link (Sonstige Feldquellen) führt zu technischen Angaben und ist für die Betrachtung hier ohne Belang.

Der dritte Link führt zu einer Studie aus dem Jahr 2011 (Cefalo-Studie), die u.a. keinen Zusammenhang zwischen dem Hirntumor-Risiko und der Nutzung von Babyphonen in Kopfnähe zeigte.

Der vierte Link führt zu einer Studie aus dem Jahr 2019, die SAR-Berechnungen für Babyphones im Frequenzband 1,9.GHz durchführte, keine Grenzwertüberschreitungen fand, jedoch darauf hinwies, Abstand und Ausrichtung des Babyphones gegenüber dem Baby seien mit Bedacht zu wählen.

Eine weitere Studie aus dem Jahr 2024 ist ein Kuriosum. Denn diese Pilotstudie untersuchte die Wirkung eines Babyphones im 2,45-GHz-Band nicht etwa auf den Schlaf von Babys, sondern auf den Schlaf von zwölf gesunden Erwachsenen. Vorsichtig formulierter Befund laut Studienautoren: "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Exposition gegenüber einem 2,45-GHz-Hochfrequenzgerät (Babyfon) unter realen Bedingungen bei manchen Menschen den Schlaf beeinträchtigen kann."

Wir halten fest: Die internationale Forschungslage über mögliche Schadwirkungen von Babyphones auf Babys ist dünn und sie gibt keine belastbaren Hinweise darauf, dass der bestimmungsgemäße Gebrauch der Geräte für Babys Nachteile bedeutet.

Und nun zum Gesundheitstipp

Gesundheitstipp und die Schwesterzeitschrift K-Tipp kümmern sich regelmäßig um Babyphones. Wer die Blätter nicht abonniert hat, kann einzelne Artikel zum Preis ab 8 CHF kaufen. Vom Kauf nehme ich jedoch Abstand, da ich a) das mMn unseriöse Geschäftsmodell der Blätter nicht unterstützen möchte und b) die unentgeltlich preisgegebenen Informationen zum Inhalt des aktuellen Artikels bereits ausreichen, um die wichtigsten Kritikpunkte deutlich zu machen.

Schauen wir uns also an, was Gesundheitstipp als Appetitanreger für seinen Artikel "Babyphones: Viele Geräte strahlen stark" zu sagen hat:

Eine Stichprobe des Gesundheitstipp zeigt: Babyphones erzeugen viel Elektrosmog. Fachleute raten von solchen Geräten ab. Denn Kleinkinder können auf die Strahlung sehr empfindlich reagieren.

Ein Babyphone ist praktisch. Eltern hören in der Stube durch einen Lautsprecher, wenn das Baby im Schlafzimmer weint, und können sofort reagieren. Das Sendegerät liegt in der Regel in der Nähe des Bettes, das Empfangsgerät in der Stube.

Der Nachteil solcher Geräte: Sie strahlen stark. Das zeigt die Stichprobe des Gesundheitstipp. Der Elektrobiologe Urs Raschle aus Degersheim SG mass dafür bei drei Babyphones mit Bildschirm und fünf Geräte [...]

Was gibt es daran zu bemängeln?

► Gesundheitstipp schürt aus meiner Sicht mit alarmierenden Formulierungen gezielt irrationale Ängste gegenüber Elektrosmog, achtet aber sorgsam darauf, rechtlich auf der sicheren Seite zu sein. So titelt das Blatt "Viele Geräte strahlen stark", was bei unaufmerksamen Lesern leicht verzerrt ankommen kann "Viele Geräte strahlen zu stark". Oder: "Babyphones erzeugen viel Elektrosmog" vs. "Babyphones erzeugen zu viel Elektrosmog". Oder: "Kleinkinder können auf die Strahlung sehr empfindlich reagieren" vs. "Kleinkinder reagieren auf die Strahlung sehr empfindlich".

► Gesundheitstipp lässt in seinem Appetitanreger mit unscharfen Formulierungen offen, ab wann denn Elektrosmog "viel Elektrosmog" ist. Als wäre dies eine Ermessensfrage, die jeder nach Belieben beantworten könnte. Doch so ist es nicht. Für elektromagnetische Felder gibt es frequenzabhängige Grenzwerte, unterhalb derer Menschen, egal ob Baby oder Erwachsener, von Elektrosmog nichts zu befürchten haben. Für Babyphones ist dies bei geringem Abstand zum Baby (< vier Wellenlängen) der bekannte Teilkörpergrenzwert von 2 W/kg. Kein Babyphone darf diesen Wert überschreiten. Handelsübliche Geräte schöpfen ihn bei Weitem nicht aus, das BAG hat z.B. Werte von 0,01 W/kg und 0,08 W/kg gemessen. Bei größeren Abständen als vier Wellenlängen (Fernfeld) sind Feldstärkemessungen erlaubt, der zulässige Grenzwert beträgt dann je nach Trägerfrequenz des Babyphones bis zu 61 V/m.

► Mir ist kein Wissenschaftler vom Fach bekannt, der "von solchen Geräten" (Babyphones) abrät, so wie dies Gesundheitstipp mit Blick auf "Fachleute" behauptet. Ich behaupte: In der Redaktion des Gesundheitstipp gibt es niemanden, der den fraglichen Sachverhalt auch nur annähernd fachlich beurteilen kann. Deshalb stützt sich das Blatt bei seinen Elektrosmog-Alarmartikeln praktisch immer auf eine externe Person, von der die Redaktion annimmt, sie sei Fachmann. Jahrelang war dieser "Fachmann" der Baubiologe Peter Schlegel, kein Wissenschaftler, sondern gelernter Bauingenieur und Autodidakt in Elektrosmog-Sachfragen.

► Die gröbste Verfehlung des Gesundheitstipps steckt in der Zusammenarbeit mit dem Elektrobiologen Urs Raschle aus Degersheim, der offensichtlich Nachfolger von Peter Schlegel als "Fachmann" für Elektrosmogfragen bei Gesundheitstipp ist. Man muss sich allen Ernstes fragen, ob die Redaktion von allen guten Geistern verlassen ist, erneut eine so anrüchige Verbindung einzugehen. Denn es ist absolut kein intellektueller Kraftakt vonnöten, den Interessenkonflikt des sogenannten Elektrobiologen zu erkennen. Raschles Geschäfte florieren umso besser, je stärker die Eidgenossenschaft mit irrationalen Ängsten gegenüber Elektrosmog verseucht ist. Von Raschle ist nicht zu erwarten, dass er jemals gegen seine Geschäftsinteressen handelt und sich der wissenschaftlichen Mehrheitsmeinung zu Elektrosmog anschließt. Von Gesundheitstipp wäre hingegen sehr wohl zu erwarten, dass das Blatt sich nicht wie ein stiller Teilhaber an der Firma des Elektrobiologen gibt. Nach meinem Dafürhalten wäre es deshalb für Gesundheitstipp eine Pflicht des Anstands und des Respekts gegenüber den Lesern, sich einen unbelasteten Fachmann zu suchen.

ChatGPT fühlt Gesundheitstipp auf den Zahn

Wie um alles in der Welt lässt es sich rechtfertigen, dass Gesundheitstipp den offensichtlichen Interessenkonflikt seiner Elektrosmog-"Fachleute" (jahrelang erst Schlegel, seit kurzem jetzt Raschle) frech ignoriert? Da mir diese Frage nicht aus dem Kopf ging, gab ich sie an ChatGPT weiter. Die Antwort der KI habe ich kursiv gesetzt.

Die Frage nach den Gründen lässt sich nicht mit einem einzelnen Motiv beantworten. Plausibel ist vielmehr ein Bündel struktureller, publizistischer und psychologischer Faktoren, die sich über Jahre gegenseitig verstärken. Im Folgenden eine nüchterne Einordnung, ohne Unterstellung gezielter Täuschungsabsicht.

Publizistisches Geschäftsmodell

Der Gesundheitstipp ist ein konsum- und lebensnahes Ratgeberblatt. Themen, die Unsicherheit erzeugen und zugleich einfache Vorsorgelogiken bedienen, sind dafür besonders attraktiv. Mobilfunk erfüllt diese Kriterien ideal: unsichtbar, technisch komplex, allgegenwärtig und mit potenziellen Risiken assoziierbar. Warnende Beiträge binden Aufmerksamkeit, erzeugen Wiedererkennung und stabilisieren die Marke als „kritische Stimme gegen Industrie und Behörden“.

Narrative Anschlussfähigkeit

Mobilfunkkritik ist erzählerisch dankbar. Sie erlaubt das klassische Dreieck aus „mächtigen Konzernen“, „nachlässigen Behörden“ und „schutzlosen Bürgern“. Neue Studien, selbst wenn sie methodisch schwach oder randständig sind, lassen sich problemlos in dieses Grundnarrativ einbauen. Entlastende Befunde sind dagegen schwerer erzählbar, weil sie keinen Konflikt liefern und kaum emotionalisieren.

Selektive Quellenbindung

Über Jahre entsteht oft ein stabiler Kreis aus immer gleichen Experten, Studien und Organisationen. Diese Quellen bestätigen sich gegenseitig und liefern kontinuierlich Material, ohne dass eine systematische Neubewertung der Gesamtlage erfolgt. Das führt nicht zwingend zu bewusster Manipulation, wohl aber zu einem strukturellen Bestätigungsfehler: Widersprechende Evidenz wird ausgeblendet oder relativiert.

Rollenverständnis als Anwalt der Leser

Viele Ratgebermedien verstehen sich weniger als neutral berichtende Instanz, sondern als Schutzmacht für Konsumenten. In diesem Selbstbild ist Skepsis gegenüber Technik, Industrie und staatlichen Grenzwerten nicht nur legitim, sondern geradezu Pflicht. Mobilfunkkritik wird dann als Vorsorgejournalismus interpretiert, nicht als ideologisch gefärbte Kampagne.

Fehlende wissenschaftliche Selbstkorrektur

Im Gegensatz zu Fachjournalen unterliegt ein Blatt wie der Gesundheitstipp keiner formalen Qualitätssicherung durch Peer Review oder systematische Evidenzbewertungen. Ein einmal eingeschlagener Kurs wird daher selten grundsätzlich hinterfragt, selbst wenn sich die wissenschaftliche Gesamtlage über die Jahre nicht in die erwartete Richtung entwickelt.

Psychologische Wirkung beim Publikum

Angstbasierte Themen erzeugen Loyalität. Wer sich einmal von Mobilfunk bedroht fühlt, sucht Bestätigung und fühlt sich von warnenden Medien „ernst genommen“. Diese Rückkopplung verstärkt redaktionelle Entscheidungen: Artikel, die Resonanz erzeugen, werden häufiger wiederholt und zugespitzt.

Hintergrund
Fußabdruck des "Gesundheitstipp" im IZgMF-Forum

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Babyphones: Viele Geräte strahlen stark

Alexander Lerchl @, Montag, 15.12.2025, 19:45 (vor 4 Stunden, 4 Minuten) @ H. Lamarr

Das schweizerische Magazin "Gesundheitstipp" hat zu HF-EMF bekanntlich seit eh und je ein kriegerisches Verhältnis. Diesmal versucht das Blatt auf bewährt fragwürdige Weise Babyphones in Misskredit zu bringen. Das Bemühen wirkt provinziell, denn die internationale Forschung gibt keinerlei Anlass, an der Unbedenklichkeit von Babyphones zu zweifeln.

Ich erinnere mich vage an eine Studie (damals war ich noch Vorsitzender des A6 (Nichtionisierende Strahlung) der SSK), die bestätigte, dass Babyphones die Grenzwerte tatsächlich überschritten, u.a. weil die Abstände Babyphone - Baby extrem gering sind. Mit gesundheitlichen Auswirkungen hatte das nichts zu tun.

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"Ein Esoteriker kann in fünf Minuten mehr Unsinn behaupten, als ein Wissenschaftler in seinem ganzen Leben widerlegen kann." Vince Ebert

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