Bund & Länder einigen sich auf schnelleren Mobilfunknetzausbau (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 15.11.2023, 19:41 (vor 471 Tagen)

Am 6. November 2023 tagten die Ministerpräsidenten der 16 deutschen Bundesländer in Berlin. Abends machten sie dem Bundeskanzler ihre Aufwartung. Das Treffen war auch für die Mobilfunkbranche ergiebig, denn Bund und Länder einigten sich auf eine "Genehmigungsfiktion" und etliche andere Erleichterungen für die schnellere Errichtung von Mobilfunkmasten. Ob die Beschlüsse das Blockieren von Bauvorhaben durch organisierte Mobilfunkgegner nennenswert einschränken können, ist noch offen.

Der veröffentlichte Beschluss der Politspitzen lässt das Beben, das im November beschlossen wurde, nur schemenhaft erahnen. Vielleicht ist dies der Grund dafür, warum in den Medien zugunsten anderer Beschlüsse so gut wie nicht über die beschlossenen Neuerungen im Mobilfunknetzausbau berichtet wurde:

Der Bundeskanzler und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vereinbaren einen „Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung“. Er soll zur Verschlankung von Verfahren führen, indem das Recht modernisiert sowie Prüfschritte in Genehmigungsverfahren reduziert und standardisiert werden. Hierfür sieht der Pakt auch die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren mithilfe von Digitalisierung vor.

Erst die Anlage zu den Beschlüssen macht deren Tragweite für die Verdichtung der Mobilfunknetze in Deutschland deutlich. Aus der Anlage habe ich nur die Passagen zum Mobilfunk herausgepickt, was dort über Glasfaserausbau und Digitalisierung zu lesen ist bleibt dem verlinkten Original der Anlage vorbehalten. Der folgende kursiv gesetzte Auszug aus der Anlage ist inhaltlich identisch mit dem Original:

Beschlüsse für den schnelleren Mobilfunknetzausbau in Deutschland

[...] Flächendeckende, leistungsfähige und resiliente Telekommunikationsnetze sind heute von entscheidender Bedeutung für Staat und Verwaltung ebenso wie für die Wirtschaft und die Verbraucherinnen und Verbraucher. Um dieser besonderen Bedeutung Rechnung zu tragen, wird der Bund die Berücksichtigung des Ausbaus von Telekommunikationsnetzen verbessern. Auf diese Weise sollen Entscheidungen zugunsten eines beschleunigten Netzausbaus vor allem im Mobilfunk erleichtert werden.

Eine leistungsfähige und flächendeckende Mobilfunkversorgung bedarf möglichst unkomplizierter und standardisierter Regelungen, mit denen ein aufwärtskompatibler Stand der Technik bei der Infrastruktur schnell umgesetzt werden kann. Aufgrund bundes- und landesrechtlicher oder tatsächlicher Einschränkungen können jedoch nicht alle notwendigen Standorte realisiert werden, was zu Verzögerungen beim Ausbau der Mobilfunkversorgung führt.

Die Länder werden die Vereinheitlichung einer verfahrens- und genehmigungsfreien Errichtung von Mobilfunkmasten vorantreiben und die Anwendung ausweiten. Dabei sollen auch einheitliche Standards und Verfahrensfreiheit für Anlagen mit einer Höhe von bis zu 15 m im Innen- und bis zu 20 m im Außenbereich sowie für temporäre Mobilfunkanlagen bis zu 24 Monaten gewährleistet werden.

Für Mobilfunkmasten, die eine Baugenehmigung erfordern, werden die Länder eine Genehmigungsfiktion einführen, die nach Ablauf einer Frist von bis zu drei Monaten nach Eingang der vollständigen Unterlagen eintritt. Zugleich werden sie vorsehen, dass ein Antrag spätestens vier Wochen nach Eingang als vollständig gilt, wenn die Behörde nicht zuvor die Behebung von wesentlichen Mängeln gefordert hat.

Eine auf dem Building Information Modell (BIM) basierte Prüfung von Mobilfunkmasten kann ebenso dienlich sein, den Genehmigungsprozess zu beschleunigen. Zudem sollte das Potenzial genutzt werden, die Vorhaben digitaler Breitbandantrag (inkl. Wegerecht, Aufgabegenehmigung und verkehrsrechtliche Anordnung) und digitaler Bauantrag in Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes horizontal miteinander zu verknüpfen, um z.B. im Zuge der Genehmigung eines Funkmastes auch parallel den notwendigen Glasfaseranschluss beantragen zu können.

Geeignete Grundstücke für Mobilfunkmasten sind in vielen Fällen nur schwer zu finden. Deshalb wird sowohl bauplanungs- wie bauordnungsrechtlich zugelassen, dass Windenergieanlagen grundsätzlich auch als Mobilfunkmasten genutzt werden können. Im Übrigen erschwert die Pflicht, große Abstände auch im Außenbereich einzuhalten, diese Suche mitunter zusätzlich. Die Verringerung von Abständen trägt daher dazu bei, Ressourcen zu schonen und das Finden geeigneter Standorte zu erleichtern und beschleunigen. Sofern bei der Aufstellung von Mobilfunkmasten Abstandsflächen eingehalten werden müssen, werden die Länder daher die einzuhaltenden Abstände im Außenbereich so weit wie möglich reduzieren und sich auf einheitliche Maße einigen.

Um die Verfügbarkeit von Standorten für den Mobilfunknetzausbau zu erhöhen, wird der Bund prüfen, ob im Telekommunikationsgesetz für Netzbetreiber ein entgeltlicher Anspruch auf Mitnutzung von Gebäuden des Bundes, der Länder oder Kommunen für diesen Zweck geschaffen werden kann

Außerdem werden die Länder landesgesetzlich vorgegebene Anbauverbotsabstände an Straßen vereinheitlichen und so weit wie möglich verringern, um den Mobilfunkausbau entlang der Verkehrswege zu erleichtern.

Für die Verlegung von Telekommunikationsleitungen auf Straßengrundstücken ist derzeit für jede einzelne Baumaßnahme eine Zustimmung des Baulastträgers erforderlich. Fehlt diese, verzögern sich Ausbaumaßnahmen. Um solche Verzögerungen zu vermeiden, wird der Bund insbesondere die Bedingungen für die Fiktion der Zustimmung des Baulastträgers zur Erhöhung der Rechtssicherheit überarbeiten und die bereits geltenden Fristen nochmals reduzieren. Die Länder werden das Instrument der Rahmenzustimmung durch die Wegebaulastträger für den Glasfasernetzausbau entlang von Verkehrswegen erheblich ausweiten. Die damit verbundenen Prozesse werden digitalisiert, insbesondere der Zustimmungsprozess, der Austausch digitaler Planunterlagen, der Prozess der Beantragung einer Baulast und der Auskunft über eine Baulast.

Die Mobilfunkversorgung der Schienenwege erfordert Infrastruktur in Gleisnähe und Tunneln. Hier sind die Telekommunikationsunternehmen vor allem auf die Kooperation der Deutschen Bahn als Eigentümerin und Betreiberin der Eisenbahninfrastruktur angewiesen. Um die Sicherheit des Bahnverkehrs zu gewährleisten, gibt es umfangreiche Regeln und Richtlinien für die Anlagen und die Arbeiten am Gleis. In der im Juli 2022 von der Bundesregierung beschlossenen Gigabitstrategie ist das Ziel definiert, die bisherige Verfahrensdauer (bis zu drei Jahre und mehr) zu halbieren und ein Jahr Umsetzungszeit nicht mehr zu überschreiten.

Das in der Gigabitstrategie gesetzte Ziel, die bisherige Verfahrensdauer beim Ausbau der Mobilfunkversorgung in Bahntunneln zu halbieren wird vom Bund evaluiert. Es wird außerdem unmittelbar geprüft, ob die bisher eingeleiteten Maßnahmen ausreichen, um den gewünschten Beschleunigungseffekt zu erzielen. Sollte dies nicht der Fall sein, wird der Bund entsprechende gesetzliche Änderungen vornehmen. Zudem wird die Erweiterung der im Telekommunikationsgesetz derzeit bestehenden Regelungen geprüft, um die Mitwirkungspflichten der Eisenbahninfrastrukturunternehmen durch die Bundesnetzagentur wirksam durchsetzen zu können. Bund und Länder werden Möglichkeiten prüfen, ob die Betreiber von Schienen- und Straßennetzen gesetzlich verpflichtet werden sollten, Unterstützung für den Betrieb von Mobilfunkanlagen zu leisten, beispielsweise durch den Anschluss an Stromnetze und die Unterbringung von systemtechnischen Anlagen. [...]

Genehmigungsfiktion

Da die Erklärung der Genehmigungsfiktion etwas kurz geraten ist, dazu noch ein paar Worte. Der kryptische Begriff kommt aus dem Verwaltungsrecht und bedeutet, dass der Antrag eines Antragstellers (z.B. ein Bauantrag) bei Untätigkeit der Bewilligungsbehörde nach einer gewissen Wartezeit (häufig drei Monate) automatisch als bewilligt angesehen wird. Das JuraForum weiß dazu:

Die Genehmigungsfiktion ist kein allgemein anwendbares Rechtsprinzip, sondern bedarf einer spezifischen Rechtsvorschrift. Sie findet ihre juristische Grundlage im § 42a Abs. 1 VwVfG. Gemäß dieser Vorschrift tritt die Genehmigungsfiktion nur dann ein, wenn ein entsprechender Antrag auf Genehmigung gestellt wurde.

Nach Antragstellung ist die zuständige Behörde verpflichtet, innerhalb einer festgelegten Frist eine Entscheidung zu treffen und eine Verwaltungshandlung vorzunehmen. Erfolgt dies nicht, wird durch den Gesetzgeber eine Genehmigungsfiktion angenommen. Dies bedeutet, dass ein hypothetischer Verwaltungsakt angenommen wird, der den Antragsteller so stellt, als hätte die Behörde seinen Antrag positiv beschieden.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Stellungnahmen zum schnelleren Mobilfunknetzausbau

H. Lamarr @, München, Dienstag, 21.11.2023, 13:41 (vor 465 Tagen) @ H. Lamarr

Am 6. November 2023 tagten die Ministerpräsidenten der 16 deutschen Bundesländer in Berlin. Abends machten sie dem Bundeskanzler ihre Aufwartung. Das Treffen war auch für die Mobilfunkbranche ergiebig, denn Bund und Länder einigten sich auf eine "Genehmigungsfiktion" und etliche andere Erleichterungen für die schnellere Errichtung von Mobilfunkmasten.

Bereits im März 2023 hatte sich Hessen zu Erleichterungen im Ausbau der Mobilfunknetze entschlossen, nachzulesen hier. Zuvor gab es eine Anhörung in der zwei Kommunalverbände ihre Einschätzung der Erleichterungen vortrugen (Hessischer Städte- und Gemeindebund, Hessischer Städtetag), die BNetzA, mit Bitkom und VATM zwei Verbände der Telekommunikationsindustrie, die Mobilfunknetzbetreiber und Funkturmgesellschaften sowie vier Mobilfunkkritiker. Die Kommunalverbände begrüßten die Erleichterungen, äußerten jedoch Bedenken, dass ihnen die Kontrolle über den Netzausbau verloren gehen könnte. Bizarre Bedenken äußerte in dem verlinkten Papier ab Seite 24 der Mobilfunkkritiker Dietmar Hildebrand, der seine persönliche Einschätzung des Risikos Mobilfunk als Tatsachen schilderte und sich mit seinem Hinweis auf das US-Forschungsprojekt "Pandora" aus den 1960-er Jahren in den Dunstkreis von Verschwörungsmythologen bewegte. Kein Wunder, dass der Hessische Landtag sämtliche Einwände der Kritiker verwarf und die Erleichterungen mehrheitlich allein gegen die Stimmen der AfD beschlossen hat.

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