Menschen in Angst (Allgemein)

Lilith, Samstag, 27.04.2013, 09:10 (vor 4240 Tagen) @ H. Lamarr

Wer die Bambergerin einmal erlebt hat weiß, sie ist eine glühende Überzeugungstäterin, keine profitorientierte Nutznießerin. Das macht die Sache für Pfarrer H. jedoch um Nichts besser. Bis 2006 war er dem Vernehmen nach physisch gesund, dann wurde er in Oberammergau leichtfertig mit der Angst vor Elektrosmog infiziert und steigerte sich in kürzester Zeit in eine beängstigend stark ausgeprägte EMF-Phobie, die ihm im Februar 2013 schließlich das Leben kostete.

Wie kommt es, dass sich ganz normale Bürger in derartige Ängste versetzen lassen? Hier wurde es bereits 2007 beschrieben:
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- Eine praktische Ärztin aus Bamberg stieg zur Schutzpatronin des Widerstands auf. -

Frau L. hat um Hilfe gerufen. Die Strahlen machen ihr zu schaffen. Ihr Haus sei leicht zu finden: Haibach bei Aschaffenburg, keine hundert Meter vom Sendemast entfernt.

Dr. med. Cornelia Waldmann-Selsam, Ärztin aus Bamberg, kommt mit dem Frühzug. Sie ist gerüstet wie immer, wenn es auf Visite geht ins Katastrophengebiet: roter Wanderrucksack, flotte Schutzkappe gegen die Wellen, im Handköfferchen das Strahlenmessgerät. ...

Dr. med. Waldmann-Selsam schreibt alles mit: Obstbäume krank, Kaninchen angefressen. "Das ist ganz typisch", sagt sie. "Frau L., Sie müssen dringend was tun gegen diesen Sender."

Für Waldmann-Selsam ist Handeln geboten, wo immer sie erscheint. Seit drei Jahren reist die Bamberger Ärztin von Sendemast zu Sendemast. An 250 Standorten hat sie bereits ermittelt, mehr als 2000 Leidende ringsum befragt, "oft sind ja ganze Straßenzüge krank". Die Leute erzählen von Kopfweh und Beklemmung, von Drehschwindel und Haarausfall. Dann schreitet die Frau Doktor durchs Zimmer mit ihrem Messgerät, das immerzu schaurig krächzt und knattert. Wer da noch arglos war, ist nun bekehrt.

Oft spricht die Wanderärztin auf Versammlungen vor Hundertschaften besorgter Bürger, sie schreibt Briefe an Politiker, Eingaben an Ämter. Unter den Mobilfunkgegnern im Land wird sie verehrt wie eine Schutzheilige. Ihr Dr. med. spendet der Bewegung den Schein der seriösen Wissenschaft.

Die Angst vor dem Mobilfunk tritt selten in Großstädten auf, umso heftiger in Haibach, Icking und Bruchhof, in Schlüchtern, Bischofsmais und Siedenbollentin.

Besonders schwer ist derzeit Oberammergau betroffen, wo sich ein Passionsspiel neuen Typs ereignet. An die 130 Bürger haben sich dort in den Arztpraxen gemeldet mit Beschwerden, die sie dem Mobilfunk zuschreiben: Kopfweh darunter, erhöhter Blutdruck, Zittrigkeit.

Im Sommer wurde obendrein bekannt, die Firma T-Mobile habe ihren Sender im Ort auf eine geringfügig andere Technik umgestellt. Kundige Bürger schalteten ihre Messgeräte ein; eine Art "tock-tock-tock" war zu vernehmen. Daraufhin kam es zu einem neuen Schub von Symptomen, schlimm wie nie. Der evangelische Pfarrer floh in den Wald. Unter den Strahlen, sagte er, fange er regelrecht an zu glühen.

Waldmann-Selsam eilte mehrmals zu Hilfe, maß Feldstärken und sammelte Klagen. Sämtliche 16 Ärzte des Ortes, Tier- und Zahnmediziner inbegriffen, sind auf ihrer Seite. Schon 2005 hatten sie einen "Oberammergauer Appell" gegen den Mobilfunk verabschiedet. ...

Die Bewegung gegen den Mobilfunk verdankt sich zu einem gut Teil der Medizinerzunft, und Waldmann-Selsam weist allen den Weg. "Sie ist unsere Jeanne d'Arc", sagt Markus Kern, ein Psychotherapeut in Kempten. Vor allem Naturheiler, Homöopathen und Seelenkundler sind es, die sich der Bewegung anschließen. ...

Die Beweisaufnahme ist einfach. Die Ärztin setzt sich in die Wohnstuben und fragt und fragt. Augenringe? Hautkribbeln? Wortfindungsstörungen? Allgemeiner Leistungsabfall bei Menschen und Obstbäumen? Oder vielleicht Gürtelrose?

Aller Jammer des Lebens steht unter Verdacht, von der Reizbarkeit des Ehegatten bis zum "unerträglichen Zischen im Kopf". Schlaflosigkeit kann ebenso senderbedingt sein wie übergroßer Schlafbedarf - "je nach Funkfrequenz". Selbst Gerüchte über die Nachbarn gehen in die Fallstudien ein: "Die Tochter lebe sehr zurückgezogen. Sie sei mager und blass. In den letzten Monaten habe man sie fast nicht mehr gesehen."

Selten verlässt die Ärztin ein Haus ohne reichen Ertrag an Belegen. Mehr als 50 000 Basisstationen des Mobilfunks stehen inzwischen in Deutschland. Es gibt also kaum mehr Beschwerden, welcher Natur auch immer, die außerhalb der Reichweite eines Sendemastes auftreten.
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(Alle Zitate aus: "Der Hamster ist Zeuge", DER SPIEGEL 18/2007. Hervorhebungen durch L.)
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"Wer die Dummbatzen gegen sich hat, verdient Vertrauen." (frei nach J.-P. Sartre)

Tags:
Psychotherapeut, Waldmann-Selsam, Kempten, Oberammergau, Ueberzeugungstäter, Mediziner, EMF-Phobie, Wortfindungsstörung, Aschaffenburg, Theologe, Icking, Haibach


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