Mobilfunk-Anhörung: Wie führe ich Abgeordnete in die Irre? (Allgemein)
Was mag im Kopf eines Politikers vorgehen, wenn ihm, wie geschehen, ein Vertreter des BUND in einem Packen Papier unter anderem folgendes Textfragment serviert:
Kommentar Franz Adlkofer
"Besonderes Gewicht misst sie der Tatsache bei, dass inzwischen an die 50 % aller Wissenschaftler in diesem Forschungsbereich die Mobilfunkstrahlung als potenzielles Gesundheitsrisiko ansehen."
Wahrscheinlich bleibt haften, dass 50 Prozent der Wissenschaftler Mobilfunkstrahlung als ungesund einstufen.
Womit das Ziel der Desinformation auch schon erreicht ist.
Ich habe mich auf die Suche nach dem augenscheinlich aus dem Zusammenhang gerissenen Zitat gemacht und bin - wo sonst - bei dem Anti-Mobilfunk-Verein Diagnose-Funk fündig geworden.
Dort findet sich das Zitat von Franz Adlkofer im Kontext. Das Ganze ist ein bisschen wirr präsentiert, weil das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt wird: Man liest zuerst einen Kommentar zu einem Zeitungsartikel, ohne den Artikel vor sich zu haben. Bei mir hat dies den ersten Eindruck erweckt, Nina Lakhani sei eine Wissenschaftlerin, die im "Independent" Ihre Meinung über mögliche Gesundheitsrisiken des Mobilfunks zum Ausdruck bringt.
Doch dieser erste Eindruck ist falsch. Nina Lakhani ist keine Wissenschaftlerin, sondern Journalistin des Independent. Eine ausgesprochen produktive Jounalistin, seit 16. September 2011 hat sie (Stand heute) 163 Artikel für das britische Blatt geschrieben. Das macht ziemlich genau und ohne Pause einen Artikel alle 2 Tage. Beispielsweise am 14. Mai 2012 hatte es ihr ein anderes Thema angetan: Majority of adults think children should be protected from tobacco marketing, doch dazu verfasste Herr Adlkofer keinen Kommentar.
Schauen wir uns im Original an an, was Nina Lakhani zu der oben zitierten Passage tatsächlich geschrieben hat:
"The research is split almost 50:50, on whether mobile phones pose a health hazard or not."
Ach soooo! Ja das ist keineswegs spektakulär, das ist lediglich die in Prozentpunkte gefasste Behauptung, die ich schon 2002 bei meinem Einstieg in die Mobilfunkdebatte vorfand: Die Wissenschaft befindet sich in einer Pattsituation, deshalb geht in der Mobilfunkdebatte nichts vorwärts und nichts rückwärts. Überliefert werden solche Botschaften durch Munkeln & Raunen sogenannter Szene-Insider, dies erklärt auch, warum Nina Lakhani für ihr "almost 50:50" die Quelle im Dunkeln lässt.
Eine zeitlang habe ich früher diese 50:50-Behauptung blind geglaubt und sie für bare Münze genommen. Das hat sich geändert. Von einem Patt kann mMn keine Rede sein, selbst nach der IARC-Einstufung für HF-Felder nicht. Es ist nur eine sehr kleine Minderheit der ungefähr 450 Wissenschaftler, zusammen geschlossen in der BEMS, die Mobilfunkstrahlung (unterhalb der Grenzwerte) als potenzielles Gesundheitsrisiko ansehen. Wer anderer Meinung ist, möge bitte erklären, warum bei der jüngsten BEMS-Jahrestagung in Brisbane die einhellige Meinung vorherrschte, es bestünde kein Anlass, die Grenzwerte für Hochfrequenz zu ändern (Quelle: Josef Opitz, BNetzA, während der Anhörung am 5. Juli in München). Von 50:50 kann bei einer solchen Gemengenlage keine Rede sein.
Fazit: Es ist objektiv nicht ersichtlich, wieso der alarmierende Allerweltsartikel der Journalistin Nina Lakhani bei Franz Adlkofer und damit bei Diagnose-Funk eine solche Aufwertung erfahren hat, dass sogar eine deutsche Übersetzung des Artikels auf der Website von Franz Adlkofer als PDF zu haben ist (Hinweis: der Link bei Diagnose-Funk ist tot). Die journalistische Qualität des Artikels ist aus meiner Sicht gering, es ist eine willkürliche Aufzählung von Alarmfragmenten, bei der offen bleibt, wo denn Lakhani ihre Informationen abgegriffen hat: Bei den zitierten Wissenschaftlern selbst oder aus dem Sumpf von Stellungnahmen, der im Internet anzutreffen ist. Ich tippe auf Letzteres, wer spätestens alle zwei Tage ein Ei legen muss, hat für mehr gar keine Zeit.
Das mMn Bemerkenswerteste aber ist, dass der BUND-Mann Bernd Rainer Müller das belanglose Zitat der britischen Tageszeitungsjournalistin von Franz Adlkofer im Juni 2012 übernimmt, nur um es einen Monat später brühwarm den Mitgliedern des Umweltausschusses im Bayerischen Landtag (in seiner Begleitdokumentation) wie einen Hühnerschenkel zum Konsumieren anzubieten. So als wäre die Fifty-Fifty-Feststellung von einer renommierten Wissenschaftlerin, die weiß, wovon sie redet. Aus meiner Sicht ist das eine üble Irreführung der Abgeordneten.
[Admin: Fortsetzung hier]
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –