Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4.2.04; 'Wissenschaft'
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Medizin
Ein Schatten über dem Röntgenbild Von Reinhard Wandtner
04. Februar 2004 Nur wenige andere Hilfsmittel haben die Medizin derart vorangebracht wie das Röntgen. Ungezählte Menschen verdanken dieser Erfindung ihr Leben. Doch so segensreich das Röntgen ist - es hat auch Schattenseiten. Denn wie jede Art von energiereicher Strahlung birgt auch die Röntgenstrahlung ein Risiko. Sie kann Krebs auslösen. Für den einzelnen ist diese Gefahr zwar überaus klein. Auf die ganze Bevölkerung bezogen klingt das aber ganz anders, wie jetzt eine britische Studie zeigt. Amy Berrington de González und Sarah Darby vom Radcliffe-Krankenhaus der Universität Oxford haben für 15 Länder berechnet, wie viele Krebserkrankungen möglicherweise dem Röntgen anzulasten sind ("Lancet", Bd. 363, S. 345). Für Deutschland kamen sie auf die Zahl 2049 pro Jahr.
In der Studie wurde die Häufigkeit von Röntgenuntersuchungen in den einzelnen Ländern berücksichtigt, wobei man Zahlen aus den Jahren 1991 bis 1996 zugrunde legte. Es ging nicht nur um das klassische Röntgen, sondern auch um dessen moderne Variante, die Computertomographie. Diese führt mitunter zu einer beträchtlichen Strahlendosis. In die Berechnung gingen außerdem die geschätzten Strahlendosen für die verschiedenen Organe des Körpers ein. Zudem berücksichtigten die Autorinnen der Studie einen wichtigen Aspekt - das Alter. Weil sich eine durch Strahlung induzierte Krebserkrankung erst nach etlichen Jahren bemerkbar machen wird, sinkt das Risiko mit zunehmendem Alter. Die Forscherinnen berechneten die Dosis, die sich bis zum 75. Lebensjahr ansammelt.
Keine lineare Ableitung möglich
Damit von der Strahlendosis auf das Krebsrisiko geschlossen werden kann, bedarf es einer Bezugsgröße. Als solche dient meistens die Krebsrate, die nach den Atombombenabwürfen in Hiroshima und Nagasaki ermittelt wurde. Die damals aufgetretene Strahlendosis liegt allerdings gewöhnlich weit über derjenigen, die vom Röntgen herrührt. Im internationalen Strahlenschutz herrscht die Überzeugung vor, daß das Krebsrisiko kleiner Dosen leicht falsch eingeschätzt wird, wenn man es linear von hohen Dosen ableitet. Die beiden Forscherinnen, die das gleichwohl gemacht haben, räumen ein, daß ihre Zahlen möglicherweise zu hoch sind. Diese Ansicht vertreten auch Peter Herzog und Christina Rieger von der Universität München in einem Kommentar in "Lancet" (S. 340).
Unter den 15 in der Studie berücksichtigten Industrieländern nimmt Deutschland mit 1,2 Röntgenuntersuchungen pro Person und Jahr neben Japan (1,5) einen Spitzenplatz ein. Nach Überzeugung der britischen Forscherinnen sind in Deutschland 1,5 Prozent aller Krebserkrankungen dem Röntgen zuzuschreiben. Daraus leiten sie die Zahl von 2049 Krebsfällen ab. In Großbritannien, wo am wenigsten geröntgt wird - rund 0,5 Untersuchungen pro Person und Jahr -, sind nur 0,6 Prozent aller Krebserkrankungen dem Röntgen anzulasten. Ein besonders niedriges Risiko ergab sich auch für Polen (0,6 Prozent) sowie für Finnland, Kuweit und die Niederlande mit jeweils 0,7 Prozent.
Deutsche röntgen besonders häufig
Daß in Deutschland besonders oft geröntgt wird, ist schon durch frühere Untersuchungen belegt worden, zuletzt vom GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit in Neuherberg und dem Bundesamt für Strahlenschutz. Demnach kamen im Jahr 1997 auf 1000 Einwohner jährlich 1665 Röntgenaufnahmen. Jeder einzelne ist dadurch einer Strahlendosis von rund zwei Millisievert im Jahr ausgesetzt. Damit entfallen auf die diagnostische Anwendung von Röntgenstrahlen rund 40 Prozent der gesamten, aus allen natürlichen und künstlichen Quellen stammenden Strahlenbelastung von 4,6 Millisievert im Jahr.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.02.2004, Nr. 29 / Seite N1
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Röntgenstrahlen, Röntgenaufnahmen