Süddeutsche Zeitung vom 23.02.2004
RWTH Aachen
Die Drittmittel-Universität
Ein Erfolgsgeheimnis der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule ist ihre enge Beziehung zur Industrie. [/b
Von Jutta Göricke
Die Elite trägt Dreadlocks und Jeans, ist Oberingenieurin und kämpft gegen Verschleißerscheinungen. Kirsten Bobzin, 37 Jahre jung und auf dem Weg zur Professorin, entwickelt an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen Beschichtungen, die Oberflächen schützen: solche von Werkzeugen, Implantaten oder Turbinenschaufeln. Finanziert wird ihre Arbeit zu 95 Prozent aus Drittmitteln. Eine Summe, die selbst für Aachener Verhältnisse außergewöhnlich hoch ist. Von den 528 Millionen Euro, die der Hochschule als Haushalt zur Verfügung stehen, [b]kommen 142 Millionen aus der Industrie oder von öffentlichen Auftraggebern. Das ist Spitze in Deutschland.
Diese Abhängigkeit von der Industrie werfen Kritiker der RWTH immer wieder vor. Doch die enge Beziehung ist das Erfolgsgeheimnis der Hochschule, die einst erklärtermaßen zu dem Zweck gegründet wurde, den Bergwerken und Metallhütten des Aachener Kohlereviers und des Ruhrgebietes zuzuarbeiten. 1870 ging das Polytechnicum, wie die RWTH damals noch hieß, mit 32 Lehrern und 223 Studenten im repräsentativen Gründungsbau am Templergraben in Betrieb.
Schwerpunkt Technik
Heute besuchen 31.000 Studierende die Hochschule, Tendenz neuerdings wieder steigend. Sie werden von etwa 400 Professoren und 2000 wissenschaftlichen Mitarbeitern betreut. Ein Bevölkerungsanteil, der in der 250.000-Einwohner-Stadt an der Grenze zu Belgien und Holland deutlich wahrnehmbar ist. Der technische Schwerpunkt ist geblieben; fast 40 Prozent sind bei den Ingenieurwissenschaften eingeschrieben; hinzu kommen Naturwissenschaftler und Mathematiker. Das prägt die Stadt, vor allem das Nachtleben. Der karohemdige Maschinenbauer, der auf der Suche nach einer netten Damenbekanntschaft durch die Clubs streift und dabei immer nur auf andere karohemdige Maschinenbauer trifft, ist in Aachen sprichwörtlich. Werkstoffwissenschaftlerin Bobzin ist schon wegen ihres Geschlechts eine Ausnahme-Erscheinung, da fällt die Rasta-Frisur auch nicht weiter ins Gewicht.
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Exzellente Adresse
Rektor Burkhard Rauhut sitzt im Hauptgebäude, das ein wenig aussieht wie eine Miniatur-Ausgabe des Berliner Reichstags. Er weiß, welche Bedeutung die Hochschule für den Standort Aachen hat und arbeitet eng mit der örtlichen Industrie- und Handelskammer zusammen. In den letzten 20 Jahren gab es allein etwa 800 Ausgründungen aus Forschungsprojekten. In der Region haben sich Konzerne wie Ericsson und Ford mit ihren Forschungszentren angesiedelt. Mitsubishi hat sein europäisches Halbleiterwerk in der Nachbarschaft gebaut. Positive Signale für die von Arbeitslosigkeit gebeutelte Gegend.
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Mittel nach Leistung
Wozu braucht die Hochschule da eigentlich Geisteswissenschaftler? Damit die Ingenieure über das nachdenken, was sie tun, sagt Mathematiker Rauhut und führt ein fakultätsübergreifendes Projekt über Kreativität zwischen Metallbauern, Philosophen und Germanisten an. Das sind ganz andere Töne als noch in den achtziger Jahren, als man die Philosophische Fakultät abschaffen wollte.
Fünf Ingredienzen brauche es zu einer Elite-Uni, glaubt Rektor Rauhut: Hervorragende Lehrer, ebensolche Studenten, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Betreuern und Betreuten, eine spitzenmäßige Ausstattung - und Management. Hervorragende Professoren sind vorhanden: Da wären etwa die sechs Leibniz-Preisträger zu nennen, natürlich Ingenieure, aber auch der Bauhistoriker Michael Jansen, der, weltweit beachtet, seit Jahren Relikte der Mohenjodaro-Kultur im Industal ausbuddelt. Eine gute Ausstattung gibt es auch, zumindest dort, wo Drittmittel vorhanden sind. Und da kommt das Management ins Spiel.
Seit einem Jahr hat die RWTH einen Globalhaushalt. Sie kann frei über ihre Finanzen verfügen und kommt damit "hervorragend klar", auch wenn die Zuwendungen aus Düsseldorf großzügiger sein dürften, so der Rektor. Bereits seit 1978 gebe es eine leistungsorientierte Mittelverteilung zwischen den Fakultäten sowie Controlling-Strukturen und einen Drittmittel-Report. Wenn ein Professor bei der Eintreibung von Geldern weit unter dem Durchschnitt liegt, wird er zum Gespräch mit Dekan und Kanzler geladen. Ein eigens eingerichtetes Büro recherchiert Fördermöglichkeiten durch die EU. Seine eigene Aufgabe sieht der Rektor in der Moderation zwischen den Akteuren. "Management by Story-telling" nennt er das. Nach außen will er die "Marke" RWTH darstellen. Das dürfte leicht gelingen: Charmant und eloquent vertritt er seine Sache.
Auch Kerstin Bobzin muss überzeugend auftreten können. Denn ihr Job ist es - neben Forschung, Verwaltungsarbeit und Studentenbetreuung - die Arbeitsergebnisse an mögliche Auftraggeber zu vermitteln: um Drittmittel zu akquirieren. Schließlich hängt daran das Institut und damit auch ihr Arbeitsplatz. Elite? Ja, man habe schon das Bewusstsein, dass Aachen weit vorne liege. Aber darauf stolz zu sein, sei in Deutschland schwierig, meint Bobzin. Wohl deshalb gingen die Baseball-Kappen mit dem RWTH-Emblem auch nicht so gut. Obwohl, sagt sie, eigentlich sei die Zeit doch reif dafür.
(c)SZ vom 23.2.2004
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