Wie sich das ZDF narren lässt: ein Erfahrungsbericht (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 20.04.2017, 12:45 (vor 2784 Tagen) @ H. Lamarr

Die dubiose Doku über den "elektrosensiblen" Mann im Märchenwald ist noch gar nicht fertig kritisiert, da rollt schon der nächste Angriff einer öffentlich rechtlichen TV-Anstalt auf den gesunden Menschenverstand: Diesmal ist es das ZDF, das am 2. April 2017 von 16:30 Uhr bis 17:00 Uhr in der Reihe Prisma die Dokumentation "Krankmacher Handy?" ausstrahlen möchte.

Wie die Sendung "Krankmacher Handy?" zeigt, ist es nicht sonderlich schwierig, dem ZDF einen Bären aufzubinden. Das Problem sitzt mMn in den Redaktionen der Sender, wenn dort der kritische Geist allzu behäbig ein Nickerchen hält und zugleich der "Quotendruck" seichte Boulevardkost für den Zuschauer ins Programm presst.

Im Vergleich zu der schrägen Elektrosmog-Story mit dem angeblich "elektrosensiblen" Professor hat das ZDF freilich schon ganz andere Dinger einstecken müssen. In der Sendung "Wetten, dass ...?" narrte 1988 ein Redakteur des Satire-Magazins Titanic ganz Deutschland. Der an diesem Ostersonntag verstorbene Bernd Fritz gab seinerzeit wider besseren Wissens vor, er können die Farbe von Buntstiften allein durch Schlecken an einem Stift erkennen. In einem Spiegel-Interview gab Fritz Einzelheiten seines Coups preis, die ich hier in Auszügen wiedergebe:

Fritz: Ich hatte damit gerechnet, dass die Fachleute fragen, ob es überhaupt möglich ist, Buntstifte am Geschmack zu erkennen. Oder dass sie Faber-Castell anrufen. Deren Chemiker hätte ihnen sofort gesagt: Man schmeckt nur das Leinöl, das dem Tonmehl beigemischt wird, und das ist bei allen Farben gleich. Aber die Redaktion prüfte das offensichtlich nicht weiter. Da realisierten wir, dass das große ZDF im Detail eigentlich armselig, unprofessionell und unbedarft war.

einestages: Sie wurden ohne weiteren Test zur Sendung eingeladen?

Fritz: Nein, ich wurde noch zu einer Vorprüfung von einer Redakteurin und ihrer Assistentin eingeladen. Die besaßen noch nicht mal ihren eigenen Buntstiftkasten, weil ihr Budget so knapp war! Ich musste meinen eigenen mitbringen. Eigentlich hatte ich mich so vorbereiten wollen, dass ich die Stifte mit Geschmacksstoffen präpariere. Aber ich habe bei meinen Proben festgestellt: Ich könnte mir noch nicht mal das merken. Und dann dachte ich: Ist völlig wurscht, ich fahr da einfach mal hin. Die hatten noch nicht einmal etwas, um mir die Augen zu verbinden, ich musste selbst ein Küchenhandtuch organisieren und es mir eigenhändig umbinden. Das hab ich natürlich so gemacht, dass ich drunter durchgucken konnte.
[...]
einestages: Warum wollten Sie denn das ZDF bloßstellen?

Fritz: Wir sahen uns bei der "Titanic" als eine Art Elite von unten. Das ZDF dagegen war eine große Institution, die ungeheure Souveränität und Seriosität ausstrahlte. Wir wollten das vermeintlich Große und Großartige vorführen und zeigen, wie wenig dahintersteckt. Wir wollten es in die menschliche Sphäre runterholen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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