Spittal verschläft 8. Welttag der Elektrosensibilität (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 21.06.2025, 18:39 (vor 21 Stunden, 5 Minuten)

Die Stadt Spittal in Österreich und der Mobilfunk, das ist so eine Sache. Das liegt daran, dass Bürgermeister Gerhard P. Köfer 2007 einem Mobilfunknetzbetreiber die Baugenehmigung mit Hinweis auf Gesundheitsrisiken verweigerte und dafür rechtskräftig verurteilt wurde. Möglicherweise begeht das Rathaus der Stadt deshalb seit 2024 am 16. Juni demonstrativ den Welttag der Elektrosensibilität. Aber nur, wenn nichts dazwischenkommt.

[image]Blickfänger für den 8. "Welttag der Elektrosensibilität"
Bild: Cœurs d'EHS

Spittal beging vergangenes Jahr den privat von französischen "Elektrosensiblen" ausgerufenen Welttag der Elektrosensibilität, es war damals schon der 7. Welttag dieser Art, indem das Rathaus nach Einbruch der Dunkelheit gelb angestrahlt wurde. Gelb ist die Hausfarbe aller "Elektrosensiblen", weil sie sich, ähnlich wie früher Kanarienvögel in Bergwerken, als Frühwarner für eine unsichtbare Gefahr sehen. Kanarienvögel reagieren sehr empfindlich auf Gas, "Elektrosensible" hingegen wollen empfindlich auf Elektrosmog reagieren. Die anerkannte Wissenschaft spricht "Elektrosensiblen" ihre Symptome nicht ab, verneint jedoch einen Kausalzusammenhang mit Funkwellen und erklärt die Symptome mit dem NoCebo-Effekt.

Diesem Wunsch kommen wir gerne nach ...

Aus dem Blickwinkel der Wissenschaft ist es ziemlich sonderbar, lässt sich eine Stadt vor den Karren von "Elektrosensiblen" spannen. Bürgermeister Köfer erklärte dies 2024 so: "Die Arbeitsgruppe EHS-Wochen ist an mich herangetreten mit der Bitte, ob auch die Stadt Spittal mit einem sichtbaren Zeichen auf den Tag der Elektrohypersensibilität aufmerksam machen kann. Diesem Wunsch kommen wir gerne nach und lassen die Vorderseite des Rathauses am 16. Juni in der Farbe Gelb erstrahlen." Was für ein Entgegenkommen! Doch wo fängt dieses an und wo hört es auf? Würde Köfer auch für die Leute ein Zeichen setzen, die behaupten, Außerirdische hätten sie nachts auf ihr Raumschiff entführt, dort gegen ihren Willen operiert und sie danach zurück in ihr Bett gelegt?

Wie dem auch sei, am 16. Juni 2024 erstrahlte jedenfalls das Spittaler Ratshaus nachts in kanariengelb. Wohlgemerkt die Vorderseite des Gebäudes, nicht die Rückseite. Letzte Hoffnungen, der Aktion könnte vielleicht doch noch ein Funken Vernunft zugrunde liegen, zerstreuten die Verantwortlichen erfolgreich, indem sie auf der Website der Stadt ihr Bekenntnis zu dem Welttag ungeniert einräumten und zur vollendeten Desinformation der Besucher zwei PDFs des deutschen Anti-Mobilfunk-Vereins Diagnose-Funk anboten.

Schlaf Kindlein, schlaf, der Vater hüt die Schaaf ...

Doch als sich ein Jahr später am 16. Juni 2025 die Schatten der Nacht über Spittal senkten, wurde die Rathausfassade nicht gelb angestrahlt. Was war passiert? Wir wissen es nicht, einiges deutet aber darauf hin, dass die Arbeitsgruppe EHS-Wochen indisponiert war und schlichtweg vergessen hatte, die Rathausbediensteten an deren Lichtspiel für den 16. Juni zu erinnern. Das Kind lag im Brunnen, also was tun? Am 19. Juni wurde die Lösung des Problems auf der Website der Stadt verkündet. Die Vorderseite des Rathauses, so ist dort zu lesen, werde am 21. Juni 2025 in der Farbe Gelb erstrahlen. Kann man so machen, weil den Welttag der Elektrosensibilität sowieso kein Mensch kennt. Einen am 24. Dezember verpassten Heiligabend würde ich anstelle der Stadt aber nicht am 29. Dezember nachfeiern lassen.

Der Webmaster der Stadt machte es sich 2025 einfach: Er kopierte einfach den Text von 2024 und brachte ihn mit marginalen Änderungen auf aktuellen Stand. Immerhin ein Fortschritt: Die Verweise auf Diagnose-Funk wurden ersatzlos gestrichen.

Sinnfrei ist die Vergelbung des Rathauses am 21. Juni jedoch allemal. Vor allem deshalb, weil möglicherweise eine handvoll "Elektrosensible" am 16. Juni 2025 tatsächlich irgendwo irgendwelche Aktionen startete, die französische Initiatorin des sogenannten Welttags jedoch nie "EHS-Wochen" ausgerufen hat. Heißt: Wenn Aktionen, dann am 16. Juni. Die "EHS-Wochen" waren eine Erfindung aus Deutschland, mit der sich 2023 einige unter Großmannssucht leidende Mobilfunkgegner stärker in Szene setzen wollten. Nachdem dies misslang, versandeten die "EHS-Wochen" so schnell wie sie entstanden sind zurück zum Welttag der Elektrosensibilität, der 2025 in den Medien der D-A-CH-Länder so gut wie keinen Niederschlag mehr gefunden hat. Wenn also Spittal heute Abend sein Rathaus gelb anstrahlt, dürfte die Mehrheit der Passanten, welche dies bemerken, eher den Besuch einer chinesischen Wirtschaftsdelegation in der Stadt vermuten, als das Nachholen eines völlig bedeutungslosen "Welttags", den am 16. Juni 2025 mutmaßlich keine Stadt auf dieser Welt und mit Sicherheit keine einzige Weltstadt auf dem Radar hatte.

Klagenfurt, Hauptstadt Kärntens, strahlte zuletzt am 16. Juni 2024 nicht sein Rathaus gelb an, sondern sein Wahrzeichen, den Lindwurm. Dieses Jahr fand sich in den Medien dazu keine Meldung mehr.

Hintergrund
Gerhard Köfer war von 1997 bis 2013 Bürgermeister von Spittal und er ist es seit 2021 erneut. Er wurde als einziger der 31 Beschuldigten (Mitglieder des Gemeinderats) im März 2016 wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Monaten bedingter Haft verurteilt – weil er keine Sitzung einberufen hatte, obwohl er gesetzlich dazu verpflichtet gewesen wäre. Der Oberste Gerichtshof wies seine Nichtigkeitsbeschwerde ab, das Urteil wurde Anfang 2017 rechtskräftig. Da die Strafe unter einem Jahr lag, musste Köfer nicht zurücktreten, weiß ChatGPT.

Am 16. Juni begehen überzeugte Elektrosensible in Europa den "Welttag der Elektrosensibilität". Ausgerufen hat diesen 2018 nicht die Uno, die WHO oder sonst eine internationale Institution, sondern Magali Lesure (56), Vorsitzende des französischen Vereins Cœurs d'EHS (Ein Herz für EHS). Deshalb muss sich der EHS-Welttag den 16. Juni teilen mit dem internationalen "Tag des afrikanischen Kindes" und dem in Irland begangenen "Bloomsday" zu Ehren des Schriftstellers James Joyce.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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