Belo Horizonte hier, Reportage vom "Todesdorf" dort (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 25.09.2011, 21:59 (vor 4813 Tagen) @ AnKa

Man mag sich darin täuschen, aber es scheint z.Zt. eine Studie zu angeblichen Krebsfällen in der brasilianischen Stadt Belo Horizonte, angeblich verursacht durch einen dortigen Mobilfunksender, regelrechte Begeisterungsstürme in den Reihen der alarmistischen Mobilfunkgegnerbewegung auszulösen.

Ja, das passiert regelmäßig.

"Das Todesdorf" - Erschütternde Reportage der größten israelischen Tageszeitung
In Israels größter Tageszeitung Yediot Ahronot ist am Samstag eine mehrseitige ausführliche Reportage über Häufungen von schweren Krankheitserkrankungen, insbesondere Leukämie und Gehirntumor, in der Nähe eines starken Rundfunksenders ("Hillel") erschienen [Anm: nahe dem Ort Isfiya]. Dieser wurde 1962 errichtet, 1999 wurde die Strahlungsemission reduziert, 2002 wurde der Sender ganz abgeschaltet. Für viele Menschen leider viel zu spät. Nach dem Bericht wurden die Grenzwerte eingehalten. Der Anwalt David Mena vertritt 40 Krebsopfer oder deren Angehörige, inzwischen sind weitere 20 Fälle dazugekommen. 25 Menschen von jung bis alt, starben inzwischen an den Folgen, die meisten an Leukämie und Gehirntumor, fast in allen Fällen schritt die Krankheit sehr schnell fort. Die Zeitung hat 40 Opfer bzw. deren Angehörige detailliert befragt und die Fakten gesammelt. Wissenschaftler bestätigten deutlich erhöhte Krebsraten.

*grusel*, *angst*, *schüttel*, *ALARM*

Das war am 14. März 2003. Die einschlägigen Blätter der Szene berichteten über diese Geschichte, die so schön ins Konzept passt, allen voran die seinerzeit führenden Elektrosmognews (ein Klon davon bei UMTSNO).

Warum ich das jetzt bringe?

Deshalb.

Dort gibt eben jene Iris Atzmon, die 2003 noch Alarm geschlagen hat, nichts Geringeres als: Entwarnung. Dass sie das tut ist anerkennenswert.

[Conclusion: There was evidence for an increased risk of cancers which were associated with chemicals in manufacturing and agriculture and electronics, where there may have been exposures to EMF, but study did not confirm the suspicion of increased cancer risks associated with radiation for most cancer types in this village. Misclassification of past exposures could explain the negative finding.]

Nicht anerkennenswert sind elektrosmognews und UMTSNO und die anderen Alarmseiten, die sich 2003 mit der Alarmmeldung schmückten, bei keiner dieser Seiten finden sie derzeit auch nur einen Hinweis darauf, dass sich der Verdacht von 2003 zerstreut hat.

Das ist die größte Krux mit all diesen Panikseiten: Sie bringen mit großem Fleiß aus den fernsten Winkeln der Erde Meldungen, gerne auch absurde, Hauptsache es lässt sich damit irgendwie Angst vor Elektrosmog erzeugen oder nähren. Eine Verfolgung der verbreiteten Geschichten aber findet nicht oder bestenfalls nur in Ausnahmefällen statt. Der Grund ist offensichtlich: Berichtigungen oder Entwarnungen dienen nicht den Interessen der Panikseiten, Alarme, die als Fehlalarme identifiziert wurden, bleiben unkommentiert weiter im Netz.

Neulich habe ich beim BfS nachgefragt, wieso eine bestimmte Seite aus deren Webauftritt verschwunden sei, ob das BfS vielleicht nicht mehr zu den Inhalten stehe. Nein, sagte man mir, man habe die Seite routinemäßig entfernt, weil sie nach rund zehn Jahren veraltet sei. Eine solche Pflege findet bei den Panikseiten nicht statt, die nehmen die Verbreitung veralteten Schrotts mMn gerne billigend in Kauf. Stellenweise wird das Zeug sogar ohne Datumsangaben gebracht, da ist der zufällig vorbeikommende Surfer dann völlig aufgeschmissen: er kann nicht erkennen, dass ihm Schnee von gestern serviert wird.

Aus meiner Sicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis (auch) über die "Belo-Horizonte"-Studie entweder diskret Gras wachsen wird - oder die Wissenschaftsgemeinde die Arbeit mal genauer unter die Lupe nimmt. Bislang war es dann regelmäßig so, dass nach einer kritischen Betrachtung von der anfänglichen "Begeisterung" in der Szene nicht mehr viel übrig blieb. Forschen Sie z.B. mal nach Spuren der berühmt/berüchtigten C-Netz-Studie von Dr. Oberfeld, auch die wurde - bevor betretenes Däumchendrehen einsetzte - in der Szene gefeiert wie jetzt eben die "Belo-Horizonte"-Studie. "Gefeiert" bedeutet: ein oder zwei Site-Betreiber bringen eine Geschichte groß raus, der Rest läuft über die Vernetzung der Szene von ganz alleine. Daraus resultiert das Klon-Syndrom: Durch das (gewünschte) unkontrollierte Verbreiten einer Meldung kriegen Sie die nachträglich nicht mehr unter Kontrolle, etwa um Mist zu löschen oder zu berichtigen: Für mich das Erfolgsmodell der Infektion ahnungsloser Ratsuchender mit Desinformation (ohne gesetzliche Regelungen wird sich dieser Krebsbefall des www mMn nicht eindämmen lassen).

Der Fall "Belo-Horizonte" ist hierzulande ursprünglich von "hese" erschlossen worden, warum die das Heft an Diagnose-Funk abgegeben haben weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass sie sich allesamt schwer tun werden, Kritik an dieser Studie wahrzunehmen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Israel, Belo-Horizonte-Studie, Atzmon


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