2001 - Sender Holzkirchen (Radio free Europe) für tot erklärt (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Montag, 27.07.2015, 21:45 (vor 3409 Tagen) @ H. Lamarr

Am 11. April 2001 verkündete der Elektriker Hans-U. Jakob aus Schwarzenburg, Schweiz, auf der Website seines Vereins Gigaherz, der Mittelwellensender Holzkirchen bei München sei aus gesundheitlichen Gründen stillgesetzt worden. Originalton (siehe Screenshot weiter unten):

Nach Schwarzenburg BE (am 28.3.98) musste am 9.4.2001 zum 2.Mal in der Geschichte der Menschheit ein internationaler Radiosender aus gesundheitlichen Gründen stillgelegt werden.

Woher der damals 63-Jährige seine Information hat verrät er nicht. Jakob war an den Bürgerprotesten gegen den Kurzwellensender Schwarzenburg beteiligt und inszeniert sich seit der Stilllegung dieses Senders als Held, der die Kleinstadt von angeblich tödlichem Elektrosmog befreit hat. In seiner Meldung behauptet der fanatische Schweizer weiter:

Diesmal ist es der Mittelwellensender von Radio-Freies-Europa in Holzkirchen bei München, welcher wie seinerzeit der Kurzwellensender Schwarzenburg, der Anwohnerschaft bis 10km Distanz, eine Unmenge gesundheitlicher Probleme bis vorzeitige Todesfälle brachte. Die HF-E-Feldstärken, welcher die Bevölkerung sowohl in Holzkirchen wie in Schwarzenburg ausgesetzt war, lagen durchwegs zwischen 0.4 und 4 Volt pro Meter. Exakte Aufzeichnungen von beiden Sendern sind beim Autor erhältlich.

Das Brisante an der Sache ist, dass Mobilfunksender der Anwohnerschaft exakt dieselbe Belastung bringen. Das kommt daher, dass direkt vor einer Kurzwellen- oder Mittelwellensendeantenne keine bewohnten Gebiete liegen. Diese waren in Schwarzenburg erst ab 750m Distanz und in Holzkirchen ab 1km Distanz zu finden. Mobilfunksender dagegen befinden sich mitten in Siedlungen, oft direkt auf Schulhäusern oder Kindergärten. Und während Kurz- und Mittelwellenstrahlung in der Regel auf über 100m über Grund abgestrahlt wird, tun dies Mobilfunksender direkt über den Dächern bewohnter Häuser.
[...]
An beiden Orten, Holzkirchen wie Schwarzenburg, streiten die Senderbetreiber vehement ab, die Schliessung aus gesundheitlichen Gründen durchgeführt zu haben und stellen wirtschaftliche Ueberlegungen in den Vordergrund.
Das ist unglaubwürdig, weil man sowohl in Holzkirchen wie in Schwarzenburg bereits je 5 bis 10 Millionen für die Planung neuer, stärkerer Anlagen in den Sand gesetzt hatte. In Schwarzenburg kommt dazu, dass die Weiterführung des Sendebetriebes die ständige Anwesenheit von 200 Polizeigrenadieren erfordert hätte, um Anlagen und Bedienpersonal vor der aufgebrachten Bevölkerung zu schützen. Das fällt natürlich auch unter wirtschaftliche Gründe.

Mit Sicherheit ist die Schliessung der beiden Sender aber auf die Angst der Betreiber vor weiteren Langzeit-Gesundheitsstudien, wie auf die Angst vor der in den beiden Vereinen SFO und SchoK gut organisierten Bevölkerung zurückzuführen. Einer Bevölkerung die dank eigenen Erhebungen und eigenen umfangreichen Feldstärkemessungen gelernt hat, ehrliche Wissenschafter und Experten von gekauften zu unterscheiden.

Nachzutragen bleibt, dass die Erkrankung beider Bevölkerungsgruppen, Holzkirchen wie Schwarzenburg, weit unterhalb, das heisst zwischen 0.5 und 10% der gesetzlich erlaubten Grenzwerte stattfanden.

Screenshot (Ausschnitt) der Original-Falschmeldung aus dem Jahr 2001
*****************************************************************
[image]
*****************************************************************

So weit, so gut. Und was ist nun so schlimm daran?

Die dramatische Geschichte des wild gewordenen Elektrikers aus Schwarzenburg hat den kleinen Schönheitsfehler: Sie stimmt nicht.

Denn der Sender Holzkirchen (genauer Standort: Oberlaindern) kümmerte sich nicht um die Meldung Jakobs und funkte munter fast drei Jahre weiter bis zum 31. Dezember 2003. Dann wurde der Sendebetrieb tatsächlich eingestellt, weil sich a) die politische Ost-West-Großwetterlage weitgehend entspannt hatte und die weitere Existenzberechtigung von Auslandssendern hinterfragt wurde und b) das Internet sich als weitaus wirtschaftlicherer Vertriebskanal für weltweiten Nachrichtenaustausch abzeichnete. Reihenweise wurden seither Großsender in aller Welt verschrottet.

Wie kam es zu der Falschmeldung?

Jakob hatte übersehen, dass der Sender Holzkirchen nicht nur auf Mittelwelle sendete, sondern auch auf Kurzwelle. Tatsächlich wurde einem Bericht des Münchner Merkur vom 10. April 2001 zufolge der 100-kW-Mittelwellensender wegen schlechter Abstrahleigenschaften am bayerischen Standort von Holzkirchen nach Ungarn verlegt, von dort sei das Zielgebiet Balkan besser zu versorgen. Die vier Kurzwellensender (je max. 150 kW Sendeleistung) aber würden weiter senden. Im Gegensatz zu dem Mittelwellensender würden sie jedoch "nach oben" strahlen, um über Reflexion an der Ionosphäre sehr weit entfernte Gebiete zu erreichen.

Die Jubelmeldung des schweizerischen Elektrikers vom 11. April 2001 ist also nichts anderes als eine Falschmeldung. Dies muss irgendwann auch Hans-U. Jakob bemerkt haben, denn heute sucht man die diese alte Falschmeldung vergeblich auf der Website des Vereins Gigaherz, sie wurde Mitte 2004 diskret entsorgt. Übrig blieb eine zweite Jubelmeldung, mit der Jakob am 17. Dezember 2003 die Abschaltung des Holzkircheners Kurzwellensenders verkündete und Wahrheit mit einem seiner Märchen verwob:

Die in Washington gegen den amerikanischen Staat eingereichte Klage der Bewohner von Holzkirchen, Valley, Warngau und Weyarn (30km südlich von München) zeigt Wirkung. Der interkontinentale Kurzwellensender von „Radio Freies Europa“, ein Propagandasender der USA, in der Gemeinde Valley gelegen, wird per 31.12.03 seinen Betrieb endgültig einstellen, ohne dass es zum Prozess kommt. Die Gemeinde Valley wird das Gelände käuflich erwerben und für den Abbruch besorgt sein.

Nichts deutet darauf hin, die "Klage der Bewohner" hätte tatsächlich irgendeine Auswirkung auf die Aufgabe des Standorts gehabt. Jakob ist bekannt dafür, Sachverhalte falsch zu verstehen und falsche Schlüsse zu ziehen. Der Mann hat sich abseits der Realität eine Scheinwelt eingerichtet, in der er sich wohl fühlt und den Präsident eines Vereins geben darf. Der Don Quijote von Schwarzenburg hat es nicht auf Windmühlen, sondern auf Sendeanlagen aller Art abgesehen.

Hintergrund
Sender Holzkirchen (Wikipedia)
Website der Bürgerinitiative gegen den Sender Holzkirchen
Warum der Sender Schwarzenburg wirklich abgebrochen wurde

--
Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Jakob, Windmühlen, Falschmeldung, Schwarzenburg, Oberlaindern, Kurzwellensender, SchoK


gesamter Thread:

 RSS-Feed dieser Diskussion

powered by my little forum