Eine Zahnärztin über Zahnmetalle und Funkeinwirkung (Forschung)

H. Lamarr @, München, Freitag, 19.06.2015, 13:04 (vor 3448 Tagen) @ H. Lamarr

Wenn Zahnärzte in jungen Jahren beim Physikunterricht nicht aufgepasst haben, kann dies später zu falschen Schlüssen und unzutreffenden Diagnosen führen. Richtig schlimm wird es, wenn das Unwissen auch noch öffentlich dokumentiert wird, nicht in Fachzeitschriften, dort würde fachkundiger Protest wahrscheinlich nicht lange auf sich warten lassen, sondern in Publikumszeitschriften. Nachfolgend ein Beispiel, publiziert in der Zeitschrift Schrot & Korn, das zeigt, wie laienhaft eine niedergelassene Zahnärztin sich die Wirkung von Zahnmetall unter Funkimmission vorstellt:

Ein Patient mit jeweils fünf Implantaten (künstlichen Zahnwurzeln aus Titan) auf beiden Seiten des Oberkiefers bemerkte eine zunehmende Pickel- und Pustelbildung auf der rechten Wange in Form eines abgegrenzten etwa fünf Zentimeter breiten Streifens. Weder sein Haus- noch der Hautarzt wußten Rat. Auch rein zahnmedizinisch war keine Ursache für diese Veränderungen festzustellen. Auf gezieltes Befragen erzählte der Mann, daß er als vielreisender Geschäftsmann fast ständig im Auto mit seinem Handy am rechten Ohr telefonierte. Da der Verdacht bestand, daß die Implantate ähnlich einer Antenne die Funkwellen seines Handys verstärken könnten und sich dies vielleicht als Hautreaktion bemerkbar mache, ließ der Patient sofort eine Freisprechanlage in sein Auto installieren und reduzierte seine Funktelefonate auf das allernotwendigste. Schon nach kurzer Zeit verschwanden die Hautentzündungen und traten nicht mehr auf.

Seit 17 Jahren nun wird dieser Unsinn verbreitet. Würden Zahnmetalle tatsächlich auftreffende Funkwellen verstärken, der Zahnärztin wäre für ihre Entdeckung der Nobelpreis in Physik sicher.

Aus meiner Sicht gibt es für den Hautausschlag einen plausibleren Grund, als die pseudowissenschaftlich begründete EMF-These der Zahnärztin. Autofahren mit dem Handy am Ohr ist bekanntlich verboten. Der Geschäftsmann musste daher bei seinen verantwortungslosen Fahrten ordentlich geschwitzt haben. Das Handy mit der bakteriell verseuchten Tastatur an der Backe (1998 waren die Geräte noch größer) verhinderte zudem ein Verdunsten des Schweißes. Klar, dass den Mann eine Freisprecheinrichtung erlöst hat. Freilich nicht wegen des Verdachts der Zahnärztin, sondern weil die unappetitliche lauwarme Bakterienbrühe an der Backe verhindert wurde.

Der Vorwurf an die Zahnärztin ist nicht, dass sie von Funkwellenausbreitung keine Ahnung hat, denn wer weiß schon alles. Nein, der Vorwurf ist, dass sie mit ihrer dilettantisch zusammengebastelten Erklärung in die Öffentlichkeit geht und dort eine Falschinformation verbreitet, die bei Laien unbegründetes Unbehagen über angebliche Risiken von Funkwellen auslöst. Wenn Umfragen dann feststellen, dass sich 30 Prozent der Bundesbürger von Funk bedroht sehen, dann hat auch die Zahnärztin mit ihrer Patientenepisode und der unqualifizierten Schlussfolgerung ihren Anteil daran.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Amateur, Zahnarzt, Pseudowissenschaft, Kommerz


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