E-Mobilität: BfS meldet Magnetfeldspitzen über EU-Referenzwerten (Forschung)
Ein 463 Seiten umfassender Forschungsbericht, herausgegeben vom Bundesamt für Strahlenschutz, dokumentiert umfangreiche Messungen und Berechnungen zur Magnetfeldexposition in und an elektrisch betriebenen Fahrzeugen. Der Bericht zeigt, dass bei "sportlicher" Fahrweise lokal teils deutliche Überschreitungen der abgeleiteten EU-Grenzwerte möglich sind – insbesondere im Fuß- und Unterschenkelbereich. Auch auf E-Motorrädern und in öffentlichen Verkehrsmitteln können die zulässigen Referenzwerte lokal überschritten werden.
Dieser Bericht fasst die Ergebnisse umfangreicher systematischer Messungen und numerischer Berechnungen im Hinblick auf die Exposition von Personen durch Magnetfelder im Inneren von Fahrzeugen mit elektrischen Antriebssystemen während des Fahrens zusammen.
Methodik
◄ Lage der elektrischen Komponenten in einem VW Passat PHEV (orange = Hochvoltkomponenten; gelb = 12-V-Komponenten)
Bild: Forschungsbericht
Nach einer umfassenden Literaturrecherche und der Optimierung bzw. Entwicklung geeigneter Messmethoden erfolgten systematische Messungen an einer Auswahl von insgesamt elf rein elektrisch betriebenen (EV) und zwei Plug-In Hybrid-Automobilen (PHEV). Die Auswahl der Fahrzeuge erfolgte sowohl auf Grundlage technischer Spezifikationen als auch auf Basis von Zulassungs- bzw. Bestandszahlen in Deutschland, mit dem Ziel einer möglichst großen Repräsentativität der untersuchten Fahrzeugstichprobe. Zu Vergleichszwecken wurde auch ein konventionelles Fahrzeug mit Verbrennungsmotor betrachtet. Zusätzlich wurden Messungen an vier Zweirädern mit Elektroantrieb (ein Kleinkraftrad, zwei Leichtkrafträder und ein Kraftrad) durchgeführt. Die Messungen erfolgten zunächst unter definierten Fahrbedingungen auf Fahrzeugprüfständen und auf einer Teststrecke, und anschließend mit allen zweispurigen EV und PHEV zusätzlich auch während einer 90-minütigen Fahrt im Realverkehr. Ergänzend wurden schließlich auch Messungen der magnetischen Immissionen in Fahrzeugen des öffentlichen Fern- und Nahverkehrs (ICE-, IC- und Regionalzüge, S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn) mit elektrischen Antriebssystemen durchgeführt, um die in den Fahrzeugen für den Individualverkehr auftretenden magnetischen Immissionen mit jenen in öffentlichen Verkehrsmitteln zu vergleichen.
Sanfte Fahrweise
Die im Rahmen dieses Vorhabens durchgeführten über 975.000 Einzelmessungen der magnetischen Feldstärke in zweispurigen Fahrzeugen bestätigen bisher in der Literatur berichtete Daten nur insofern, als die in EV und PHEV lokal messbaren Spitzenwerte der magnetischen Feldstärke bei „sanfter“ Fahrweise bis zu knapp über 100 μT betragen und die Ausschöpfung der Referenzwerte der EU-Ratsempfehlung 1999/519/EG im zweistelligen Prozentbereich liegen können. Wenngleich angemerkt werden muss, dass ein direkter Vergleich mit den Daten aus der Literatur aufgrund der methodischen Heterogenität in vielen Fällen zumindest schwierig, wenn nicht unmöglich ist.
Sportliche Fahrweise
Darüber hinaus konnte jedoch klar gezeigt werden, dass in vielen Fahrzeugen bei „sportlicher“ Fahrweise die Magnetfeldimmissionen deutlich größer sein können und dass lokal eine deutliche Überschreitung der Referenzwerte möglich ist (typischerweise im Fuß- und Unterschenkelbereich). Grund dafür sind zumeist transiente Vorgänge in Zusammenhang mit Brems- und/oder Beschleunigungsmanövern. Dass sich dieser Befund in bisher veröffentlichten Daten in dieser Form nicht wiederfindet, ist mit großer Wahrscheinlich darin begründet, dass die in diesem Forschungsvorhaben angewendete Messmethodik bezüglich Umfang und Systematik als bisher beispiellos angesehen werden muss.
Basisgrenzwerte werden eingehalten
Durchgeführte numerische Berechnungen der von diesen lokalen Magnetfeldexpositionen verursachten induzierten elektrischen Feldstärken in den Füßen bzw. im Unterschenkel anatomischer Körpermodelle zeigen bei den untersuchten Fahrzeugen jedoch keine Konflikte mit den Basisgrenzwerten für die im Körper induzierten elektrischen Feldstärken gemäß den ICNIRP-Empfehlungen aus 2010. Ergänzend zu den Ergebnissen bezüglich der Exposition während des Fahrens zeigte sich, dass es in den meisten Fahrzeugen (auch beim untersuchten Fahrzeug mit Verbrennungsmotor) beim Einschalten lokal zu deutlichen Überschreitungen der Referenzwerte für die Allgemeinbevölkerung kommt. Außerdem wirken auch andere elektrische Verbraucher, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem elektrischen Antriebssystem stehen, als Ursache für Magnetfeldimmissionen, die teils sogar deutlich höher sind, als jene vom elektrischen Antriebssystem stammenden. Es ist davon auszugehen, dass sich diese beiden Expositionsarten beim Fahren in bestimmten Situationen auch expositionserhöhend überlagern.
Blinder Fleck in der Norm EN IEC 62764-1
Die Tatsache, dass die größten Expositionsindizes durch transiente Vorgänge verursacht wurden, lässt die derzeit für Immissionsmessungen in Fahrzeugen entwickelte Norm EN IEC 62764-1 in besonders kritischem Licht erscheinen. Denn in dieser Norm ist die Erfassung von transienten Vorgängen, die kürzer als 200 ms sind, nicht vorgesehen. Insofern kann diese Norm nicht als ausreichend für eine umfassende strahlenschutztechnische Bewertung der in Fahrzeugen auftretenden magnetischen Felder basierend auf dem aktuellen Bewertungsparadigma der ICNIRP-Empfehlungen angesehen werden. Im Hinblick auf durch Beeinflussung des Zellenmembranpotenzials vermittelte Effekte, sind den Empfehlungen zufolge auch kurzzeitig auftretende Spitzenwerte der Magnetfeldimmissionen für die Bewertung heranzuziehen.
Auch E-Motorradfahrer betroffen
Die durchgeführten Messungen an den einspurigen Fahrzeugen stellen derzeit die einzigen verfügbaren systematisch erhobenen Messdaten dar und zeigen ebenfalls die Möglichkeit von lokal eingegrenzten (im Fuß- bzw. Unterschenkelbereich) Referenzwertüberschreitungen bei „sportlicher“ Fahrweise. Hier zeigt sich jedoch konsistent, dass die Ursache nicht in transienten Vorgängen liegt, sondern an den erwartbaren, bei zunehmender Last deutlich oberwellenbehafteten Magnetfeldern der Motorströme beim Beschleunigen. Wie auch im Fall der untersuchten zweispurigen Fahrzeuge zeigten durchgeführte numerische Berechnungen, dass die von den lokalen Magnetfeldexpositionen verursachten induzierten elektrischen Feldstärken in den Füßen bzw. im Unterschenkel bei den untersuchten einspurigen Fahrzeugen ebenfalls keine Konflikte mit den Basisgrenzwerten für die Allgemeinbevölkerung gemäß ICNIRP 2010 verursachen.
Platzwahl in öffentlichen Verkehrsmitteln beachten
Die zu Vergleichszwecken durchgeführten Messungen in elektrisch betriebenen öffentlichen Verkehrsmitteln mit 15.kV/16,7 Hz Oberleitungsversorgung zeigten, dass auch dort Ausschöpfungen der Referenzwerte für die Allgemeinbevölkerung gemäß 1999/519/EG im zweistelligen Prozentbereich möglich, bzw. an einigen Passagierplätzen sogar typisch sind. In den untersuchten Straßenbahnen bzw. U-Bahnen (versorgt über 800 V Gleichstromoberleitungen) traten an einzelnen Passagierplätzen sogar Überschreitungen der Referenzwerte gemäß 1999/519/EG auf.
Quelle: Bestimmung von Expositionen gegenüber elektromagnetischen Feldern der Elektromobilität: Vorhaben 3620S82473, Ergebnisbericht – Teil 1: Elektromagnetische Felder beim Fahren
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –