Mobilfunklehrpfad: Zehn Marterpfähle für Neugierige (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Freitag, 07.03.2025, 23:52 (vor 1 Tag, 14 Stunden, 8 Min.)

Wahlen ist ein Dorf im Kanton Basel-Landschaft. Der dort beheimatete schweizerische Verein "Strahlungsfreier Kirchturm Wahlen" ist ein bislang eher zurückhaltend agierender Akteur. Pöbeleien wie von Gigaherz-Jakob oder Polit-Sumpfblasen wie von Diagnose-Funk sind mir auf der Website des Vereins nicht aufgefallen. Dessen dunkle Seite ist ein sogenannter Mobilfunklehrpfad.

Eigenen Angaben zufolge will "Strahlungsfreier Kirchturm Wahlen" informieren über die Mobilfunktechnik, wissenschaftliche Fakten, aktuelle Studien und deren Ergebnisse. Doch das wollen alle Anti-Mobilfunk-Vereine. Die wenigsten halten die Versprechungen ein und informieren ihre Anhänger, die Mehrzahl hingegen übt sich in der einfachsten Form von Desinformation, nämlich in der konsequent alarmierend einseitigen Information, bei der alles Entwarnende unter den Teppich gekehrt wird.

Auf dem ersten Blick trifft dies auf den Wahlener Verein nicht zu, denn aus ihm ist ein "Mobilfunklehrpfad" hervorgegangen. Das sind derzeit zehn knallgelbe Informationstafeln zu folgenden Themen aus der Mobilfunkdebatte:

Tafel 1 (Themenübersicht)
Tafel 2 (Elektrohypersensibilität)
Tafel 3 (Natur)
Tafel 4 (Mobilfunkstrahlung)
Tafel 5 (Krebs)
Tafel 6 (Kuh und Kalb)
Tafel 7 (5G)
Tafel 8 (Kirche)
Tafel 9 (Kinder)
Tafel 10 (Schädigungsrisiken)

Im Original der Liste sind den Tafeln Links zu den angebotenen "Informationen" unterlegt. Anlässlich von buchbaren unentgeltlichen "Führungsterminen" können Besucher den Rundgang auch geführt absolvieren. Über die fachliche Qualifikation der Führer gibt es jedoch keinerlei Angaben. So kann es leicht passieren, dass engagierte Mobilfunkgegner ohne fachlichen Hintergrund (Experten von Googles Gnaden) Besucher buchstäblich an der Nase herumführen.

Die Versprechungen der Veranstalter lassen indes keinen Argwohn aufkommen:

Die Infotafeln der Mobilfunklehrpfade bieten Ihnen Einblick in die wissenschaftlich erforschten Risiken und widerspiegeln den heutigen Stand der Forschung neutral.

Der Themenweg zeigt Ihnen auf, wie Sie die Mobilfunktechnologie massvoll einsetzen können und klärt sachlich auf über mögliche Folgen für unsere Gesundheit, die Natur, die Umwelt und die Gesellschaft.

Zwischen den Versprechungen und den tatsächlich angebotenen "Informationen" tut sich mMn jedoch kein Graben auf, sondern ein alles und jeden verschlingender Abgrund. Zu dieser Einschätzung brachte mich der Hintergrund von Tafel 2 (Elektrohypersensibilität), in dem die Desinformation in nahezu jedem Absatz fröhliche Urstände feiert. Von wegen sachliche und neutrale Information. Die Mobilfunkgegner in Wahlen geben sich nur dem Anschein nach seriös, indem sie z.B. ihre Quellen nennen. Doch diese Quellen sind kein Querschnitt des aktuellen Informationsspektrums, sondern gezielt einseitig auf Alarmismus ausgerichtet. Der Verein in Wahlen unterscheidet sich damit nicht von anderen Vereinen dieser Art.

Die Krönung der mehr oder weniger falschen Behauptungen auf der Seite ist aus meiner Sicht diese Passage:

Kann EHS in Studien nachgewiesen werden?
Ja. Eine der ersten Studien darüber stammt aus 1961 und weist mit dem Frey-Effekt die Wahrnehmungsfähigkeit von hochfrequenter Strahlung durch Menschen nach. [...]

Ein typisches Beispiel für "Prämisse stimmt, die Schlussfolgerungen aber sind falsch". Überzeugte Elektrosensible reagieren ihren Bekundungen zufolge ab sehr schwacher HF-EMF (Mobilfunk) teilweise unter 1 µW/m² (z.B. Suzanne S.). Der Frey-Effekt (auch bekannt als "Mikrowellenhören) tritt hingegen erst bei starken Impulsspitzen von 10 W/m² bis 100 W/m² Leistungsflußdichte unter bestimmten Randbedingungen auf (kurze Impulsdauer um 50 µs). Das sind Expositionen, die beim Militär (Radar) vorkommen können, nicht aber im häuslichen Umfeld oder in der Öffentlichkeit. Den Effekt dennoch als Nachweis für EHS zu missbrauchen, halte ich deshalb für eine äußerst grobe Irreführung.

Der Gedanke, dass der Verein als Mitveranstalter "Nationaler Mobilfunk-Fachtagungen" auftreten möchte, kann einem schon die Haare zu Berge stehen lassen. Anscheinend soll das die Wiedergeburt von Gigaherz-Jakobs Nationalen Elektrosmog-Kongressen werden, die bis 2013 9-mal jährlich stattfanden und 2014 Gott sei Dank auf Nimmerwiedersehen eingestellt wurden. Sichtbar nachgeweint hat der unsäglich und angeblich erfolgreichen Veranstaltungsreihe seinerzeit niemand.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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