Das Gutachtendilemma (Allgemein)
In der vom Bundesumweltminister angeforderten
Empfehlung der Strahlenschutzkommision:
Grenzwerte und Vorsorgemaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor elektromagnetischen Feldern
vom 13./14. September 2001
teilt die SSK die ihr vorliegenden wissenschaftlichen Informationen in 3 Kategorien ein:
Wissenschaftliche Hinweise liegen vor, wenn einzelne Untersuchungen, die auf einen Zusammenhang zwischen einer Gesundheitsbeeinträchtigung und elektromagnetischen Feldern hinweisen, nicht durch voneinander unabhängige Untersuchungen bestätigt sind und durch das wissenschaftliche Gesamtbild nicht gestützt werden.
Ein wissenschaftlich begründeter Verdacht auf einen Zusammenhang zwischen einer Gesundheits-beeinträchtigung und elektromagnetischen Feldern liegt vor, wenn die Ergebnisse bestätigter wissenschaftlicher Untersuchungen einen Zusammenhang zeigen, aber die Gesamtheit der wissenschaftlichen Untersuchungen das Vorliegen eines kausalen Zusammenhangs nicht ausreichend stützt.
Wissenschaftlich nachgewiesen ist ein Zusammenhang zwischen einer Gesundheitsbeeinträchtigung und elektromagnetischen Feldern, wenn wissenschaftliche Studien voneinander unabhängiger Forschungsgruppen diesen Zusammenhang reproduzierbar zeigen und das wissenschaftliche Gesamtbild das Vorliegen eines kausalen Zusammenhangs stützt
Bei der ihrer Empfehlung zugrunde liegenden Analyse stützt sich die SSK dann aber ausschließlich auf die "wissenschaftlichen Nachweise" und kommt dadurch zwangsläufig zu dem von vornherein angestrebten und von der Mobilfunkindustrie begrüßten Ergebnis, daß eine Verschärfung des gegenwärtigen Grenzwertkonzeptes nicht erforderlich ist. Ein typisches Beispiel für ein
Gutachtendilemma
das Dieter Wandschneider*) zutreffend wie folgt beschreibt: Die Schnelligkeit und Komplexität des Fortschritts in Wissenschaft und Technik machen die für unser Leben relevanten Sachverhalte immer undurchsichtiger. So können Entscheidungen in Wirtschaft und Politik nur noch mit Hilfe sachverständiger Gutachter gefällt werden. Daß die Gutachten mehrerer Sachverständiger zum gleichen Problem dann in der Regel divergieren, wird in der Öffentlichkeit angesichts der eigenen Inkompetenz in dieser Frage als außerordentlich quälend empfunden. Lassen die Gutachter dann noch Selbstkritik und Redlichkeit hinsichtlich der Prämissen, unter denen das Gutachten zustande kam, vermissen, ist sofort die Frage nach den hinter dem Gutachten stehenden Interessen zu stellen. Bei Prämissendeutlichkeit dagegen können sich scheinbar widersprechende Gutachten als wechselseitig einander ergänzende Aussagen erweisen und einen kontroversen Streit in eine komplementäre, in der Sache weiterführende Diskussion überführen.
*) Dieter Wandschneider: Das Gutachtendilemma. Über das Unethische partikularer Wahrheit. In "Verantwortung in Wissenschaft und Technik " Mannheim 1989