Revival: Smog - längst erfoscht? - Denkste! (Allgemein)
Mal 'normaler' Smog: da glaubte die Wissenschaft also, schon alles erforscht zu haben. "Altes Thema - Risiko im Griff"! Und jetzt ...
Vergleiche zur "Elektrosmog"-Forschung erbeten! (M.K.)
Atmosphäre
Saubere Luft - Ende einer Illusion?Von Joachim Müller-Jung
28. Januar 2004 Luftverschmutzung - das klingt wie ein Griff in die Mottenkiste der Ökologiebewegung. Tatsächlich ist das Thema für die Umweltorganisationen schon lange zweitrangig. Abgehakt. In Zeiten, da die Umweltämter längst begonnen haben, die Meßapparate für Schwefeldioxyd - dem Hauptverursacher des berüchtigsten Wintersmogs - abzubauen und selbst Ozonwarnungen im Radio Geschichte geworden sind, wirkt die Forderung nach sauberer Luft in der Tat anachronistisch.
Doch in der Fachwelt, vor allem aber in den nationalen und internationalen Behörden wie Weltgesundheitsorganisation und Europäische Kommission, ist man dabei, genau diese Illusion zu zerstören. Anlaß dazu geben die jüngsten Forschungsergebnisse und Messungen zu den Partikeln in der Luft, die oft auch als Schweb- oder Feinstaub bezeichnet werden. Das Bundesumweltministerium hat diese Partikeln - offizielles Stichwort: PMx für Particulate Matter verschiedenster Größen - neben dem Klimaschutz zum Schwerpunktthema dieses Jahres erkoren.
Grenzwerte treten in Kraft
Das Thema brennt aber nicht nur den deutschen Umweltbehörden auf den Nägeln. Im Januar nächsten Jahres treten nach einer mehrjährigen Übergangsphase, in denen eine im Jahr 1999 verabschiedete Europäische Richtlinie in nationales Recht umgesetzt wurde, Grenzwerte für die Belastung mit Schwebstaub in Kraft. Die Jahresmittelwerte dürfen für Partikeln, die kleiner als zehn Mikrometer sind, den Wert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft nicht überschreiten. Außerdem darf, um auch die Spitzenwerte an hochbelasteten Stellen in Grenzen zu halten, der an einem Tag ermittelte Durchschnittswert nicht öfter als 35mal im Jahr höher als 50 Mikrogramm pro Kubikmeter sein.
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Rückgang in den 90er Jahren
In den neunziger Jahren hat man nicht zuletzt hierzulande zwar einen Rückgang der Belastung mit Mineral-, Metall-, Ruß- und Biopartikeln um bis zu ein Fünftel registriert. Aber seit drei Jahren tendieren die Werte eher wieder nach oben. Im Februar und März vergangenen Jahres hat man fast europaweit eine rätselhafte Episode mit extremen Aerosolkonzentrationen gemessen, die nicht nur die angepeilten Grenzwerte sprengte, sondern Hinweise dafür liefert, daß die Grundbelastung insgesamt zu hoch ist.
Auch Jürgen Schneider von der Weltgesundheitsorganisation sprach von "besorgniserregenden Belastungen": Eine allgemeine Verringerung der Partikelkonzentrationen sei erforderlich, nicht zuletzt vor dem Hintergrund, daß es sich bei den Grenzwerten nicht etwa um Schwellenwerte handelt, unterhalb denen keine gesundheitliche Wirkung zu befürchten sei. Schon bei Werten ab 10 bis 20 Mikrogramm - dem derzeit fast überall meßbaren "Hintergrundwert" also - sei mit einem erhöhten Risiko für Lungenkrebs, vor allem aber für Herzkrankheiten zu rechnen. Dies wird auf Entzündungsreaktionen der mitunter tief ins Lungengewebe eindringenden und dort je nach Beschaffenheit mitunter jahrelang verbleibenden Partikeln zurückgeführt.
Datenlage verbessert
In den vergangenen zwei bis drei Jahren hat sich nach Überzeugung Schneiders die Datenlage enorm verbessert, und durch Studien aus verschiedensten Teilen der Welt sei eindeutig gezeigt worden, daß Partikeln die Gesundheit schon in verhältnismäßig geringen Mengen beeinträchtigen. Eine Einschätzung, die Josef Cyrys vom GSF-Forschungszentrum in Neuherberg nicht nur bestätigte, sondern durch die in Ostdeutschland etwa mit der Bitterfeld-Studie gewonnenen Erkenntnisse noch unterstrich. In einem Statusbericht der wichtigsten nationalen Arbeitsgruppe, der in der Zeitschrift Umweltmedizin in Forschung und Praxis (Bd. 5, S. 257) vor kurzem veröffentlicht wurde, heißt es: "Die Arbeitsgruppe kommt zu dem Ergebnis, daß eine weitere Absenkung der Grenzwerte zu einer relevanten Minderung des gesundheitlichen Risikos führt."
Mit anderen Worten: Die Grenzwerte müssen weiter und schneller heruntergesetzt werden. Erst ab dem Jahr 2010 sollen sie halbiert werden, doch die Experten drängen auf einen früheren Termin. Die von der Europäischen Kommission eingesetzte Arbeitsgruppe wird, so Bruckmann, in den nächsten Wochen eine Empfehlung herausgeben, den Jahresmittelwert vor allem für die feineren, bis 2,5 Mikrometer großen Partikeln auf maximal 10 bis 20 Mikrogramm festzusetzen.
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Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.01.2004, Nr. 23 / Seite N1