Neue Rattenstudie (Allgemein)

Alexander Lerchl @, Dienstag, 22.06.2010, 09:59 (vor 5290 Tagen)

Über eine Studie, die ich im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz an und mit Ratten durchführen werde und die von der hiesigen Tierschutzkommission genehmigt wurde, ist schon berichtet worden .
Ich würde ganz gerne hier im IZgMF-Forum einige Hintergrundinformationen zur Verfügung stellen und die Fragestellung sowie das experimentelle Vorgehen diskutieren. Das könnte ganz interessant werden. Andere Foren scheiden m.E. aus, da sie z.B. wie das hese-Forum, trotz des "wissenschaftlichen Anspruchs" eben diesem Anspruch nicht genügen (auf die Beantwortung dieser Frage warte ich fast auf den Tag genau schon zwei Jahre!) und andere Plattformen aus bekannten Gründen ebenfalls nicht in Frage kommen.

Hintergrund der Fragestellung ist die Tatsache, dass immer mehr Kinder mit dem Handy telefonieren und bislang nicht klar ist, ob ihr Gehirn, das sich noch in der Entwicklung befindet, hierdurch eventuell gefährdet ist. Bislang gibt es für diese Annahme keine Gründe, aber ein proaktives Vorgehen ist besser als einfach abzuwarten. Die WHO hatte schon früher darauf hingewiesen, und wird dies sehr bald wieder tun, dass tierexperimentelle Studien auf diesem Gebiet hohe Priorität haben. So weit der Hintergrund.

Was wollen wir also tun? Das Studiendesign ist so angelegt, dass Ratten möglichst früh exponiert werden sollen, um die Vergleichbarkeit mit der Entwicklung des menschlichen Gehirns im frühkindlichen Alter zu gewährleisten. „Möglichst früh“ bedeutet eine Abwägung, da die Tiere zur Exposition in sog. „Restrainer“ verbracht werden müssen (s.u.), was man bei ganz jungen Ratten wegen der Gefahr des Abkühlens nicht ohne Weiteres machen sollte, andererseits aber so früh sein sollte, dass damit die Vergleichbarkeit mit dem Reifungsgrad des menschlichen Gehirns gegeben ist.

Konkret werden die Ratten ab dem 14. Lebenstag exponiert. Das entspricht, ausgehend vom Hirngewicht und der Hirngewichtszunahme, einem Alter von ca. 7 – 12 Monaten beim Menschen, ist also ausreichend früh. Zu diesem Zeitpunkt sind die Augen der jungen Ratten schon geöffnet und sie haben Fell, so dass Auskühlungseffekte ausgeschlossen sind (nebenbei wurden in Versuchen anderer Forscher auch wesentlich jüngere Ratten in Restrainer verbracht, ohne dass dies negative Auswirkungen gehabt hätte).

Die Ratten werden an die Situation (Verbringung in die Restrainer) langsam gewöhnt, und zwar am ersten Tag für 15 Minuten, am zweiten für 30 Minuten, bis sie am Ende der 1. Woche für 2 Stunden pro Tag in den Restrainern verbleiben. Während der gesamten Versuchsdauer von ca. 18 Monaten werden die Tiere pro Tag 2 Stunden exponiert und verbleiben in dieser Zeit in den Restrainern. Da Ratten nachtaktiv sind und die Exposition während des Tages erfolgt, werden sie vermutlich die meiste Zeit schlafen (was Kollegen bestätigten; solche Restrainer werden auch bei anderen Versuchen eingesetzt).

Warum Restrainer (hier ein Ausführungsbeispiel)? Die Exposition soll so erfolgen, dass Telefonate mit dem Handy simuliert werden. Hier gelten für Menschen andere (höhere) Teilkörper-Grenzwerte (SAR) als für die Exposition vom ganzen Körper (Ganzkörper-Grenzwerte). Für die allgemeine Bevölkerung gilt als TK-Grenzwert 2 W/kg, während der GK-Grenzwert bei 0,08 W/kg liegt. Für beruflich Exponierte sind die Werte um Faktor 5 höher (10 W/kg bzw. 0,4 W/kg). Nun könnte man theoretisch im tierexperimentellen Ansatz so verfahren, dass man die ganze Ratte (also auch das Gehirn) einem möglichst hohen SAR-Wert aussetzt, was aber deswegen nicht geht, weil dann thermoregulatorische Mechanismen greifen; einfacher formuliert: die Ratten werden warm und steuern gegen. Das ist für verschiedene Nagerspezies nachgewiesen (eine Arbeit an Mäusen findet sich hier, dort auch weitere Literaturstellen). Bereits bei 2 W/kg sind solche Effekte zu erwarten.

Uns geht es aber um das Szenario bei einem Telefonat mit dem Handy, wo nur ein kleiner Teil des Körpers (Kopfhaut, Schädeldeck, Gehirn) die Strahlung absorbiert. Das wird dadurch erreicht, dass nur der Kopfbereich der Tiere exponiert wird, und das setzt voraus, dass die Ratten so fixiert werden, dass nur der Kopfbereich von oben exponiert wird.

Es werden 5 Gruppen von Ratten mit jeweils 24 Tieren untersucht:

- Gruppe 1: Käfigkontrolle (keine Exposition)
- Gruppe 2: Scheinexposition (0 W/kg)
- Gruppe 3: SAR = 0,4 W/kg
- Gruppe 4: SAR = 2 W/kg
- Gruppe 5: SAR = 10 W/kg

Der SAR-Wert gilt für das Gehirn. Exponiert wird mit GSM-Signalen (gepulst) bei 900 MHz.

Die Zahl von 24 Tieren pro Gruppe entstammt einer Power-Analyse, basierend auf publizierten Ergebnissen anderer Forschergruppen. Ausgehend von der Variabilität der Verhaltenstests können Unterschiede im Bereich von ca. 15-25% statistisch sicher erfasst werden.

Die Gruppen 2 – 4 werden verblindet exponiert bzw. scheinexponiert, d.h. keiner der Personen, die an dem Experiment beteiligt sind, ist bekannt, ob und wie stark die Exposition ist. Erst nach Ende des gesamten Versuchs inkl. statistischer Auswertung wird der Code gebrochen.

Biologische Endpunkte:
- Die Ratten werden in standardisierten und vielfach weltweit genau so durchgeführten Experimenten auf ihr Verhalten untersucht, ohne dass ihnen Leid zugefügt wird:

1) Open Field Test (Erkundungsverhalten, Test auf Ängstlichkeit)

2) Radial Maze Test (Orientierungs- und Lerntest mit Belohnung (Futter))

3) Water Maze Test (Orientierungs- und Lerntest; die Tiere lernen, dass im Becken an einer Stelle, die sie nicht sehen können, ein Sockel ist. Die maximale Zeit im - angewärmten - Wasser ist pro Ratte und Versuch 1 Minute; Ratten können sehr gut schwimmen!)

4) Rota-Rod-Test (Untersuchung der motorischen Koordination)

Diese Verhaltensversuche werden dreimal durchgeführt: in juvenilen (ca. 2 Monate), adulten (ca. 10 Monate) und präsenilen (ca. 17 Monate) Ratten.

5) Am Ende des Versuchs werden alle Tiere schmerzfrei getötet, anschließend erfolgt die Bestimmung der Integrität der Bluthirnschranke durch etablierte Verfahren.

Durch den Vergleich der Gruppen kann insgesamt beurteilt werden, ob die Exposition das Verhalten geändert hat bzw. die Bluthirnschranke geschädigt wurde. Trotz der generellen Limitierung der 1:1 Übertragbarkeit von Experimenten an Tieren auf den Menschen wäre Effekte der Exposition, würden sie festgestellt, ein wichtiger Indikator für Wirkungen auf das sich entwickelnde Nervensystem. Wichtig ist, dass das Experiment ein „worst-case“ Szenario ist, da beim Menschen solche extremen SAR-Werte im Gehirn von bis zu 10 W/kg nicht vorkommen.

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"Ein Esoteriker kann in fünf Minuten mehr Unsinn behaupten, als ein Wissenschaftler in seinem ganzen Leben widerlegen kann." Vince Ebert

Tags:
Tiere, Teilkörper-Grenzwert, Verhalten, Ratten, Tierschutz, Gewichtszunahme


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