Semmelweis ist nicht das Problem, sondern Dr. Ahus (Elektrosensibilität)

H. Lamarr @, München, Freitag, 16.01.2009, 18:43 (vor 5812 Tagen) @ caro

Mit dem Anbringen einer Schutzfolie am Fenster ist ihr nicht geholfen - im Gegenteil. Sie hier immer wieder als "Beispiel" anzuführen ist völlig abwegig.

Die Krankheit von Frau Semmelweis ist hier nicht so bedeutsam, caro, wie Sie es darstellen. Bedeutsamer ist das, was "Dr. Ahus" mit Frau Semmelweis machte. Der Mann gilt als normal und er hat Frau Semmelweis allein aufgrund ihrer Schilderungen zur hochgradigen ES erklärt und ihr den Auszug aus der Wohnung angeraten. Das ist mMn der eigentliche Knackpunkt der Geschichte, nicht die Schizophrenie von Frau Semmelweis. Denn Ahus ist nach wie vor auf Beutezug unterwegs. Fanatische Mobilfunkgegner wie er nehmen an Truppen was sie nur kriegen können und es ist ihnen sch...egal, ob die Leute schizophren sind oder nicht, denn es kommt nur drauf an, die Anzahl der Betroffenen mit allen Mitteln nach oben zu treiben. Die Logik dahinter: So viele Betroffene können nicht irren. Tun sie aber. Weil Leute wie Ahus die Akquise übernehmen, tappen Ängstliche aufgrund dramatischer und verzerrter Darlegung in die aufgestellte Angstfalle.

Wir haben übrigens - wie schon mal angedeutet - seit der Weihnachtsfeiertage einen neuen Fall, der ebenfalls Stein und Bein schwört, ES zu sein. Die etwa 60-jährige Frau leidet eigenen Angaben zufolge seit langem unter einer Angststörung. Die habe sie wegen Medikamenten bekommen, die ihr nach einer Brustkrebs-OP in jungen Jahren verabreicht wurden. Aufgrund der Medikamente sei sie schon mit 35 in den Wechsel gekommen. Seither, so sagt sie, sei sie elektrosensibel. Sie hat schon vor vielen Jahren einen Baubiologen in der Wohnung gehabt, lebt ganz Öko und verdächtigt allerlei Feldquellen (NF und HF). Und Sie ist ebenso rabiat wie Frau Semmelweis, was die Nachbarn anbelangt. Eine Nachbarin will nämlich nicht auf ihr DECT verzichten, sie bräuchte es wegen des krebskranken Ehemanns in der Wohnung. Prompt staucht unsere neue Klientin die Nachbarin zusammen, es sei ja kein Wunder, wenn der Mann Krebs bekommen habe, mit DECT in der Wohnung! DECT verursacht in der Welt der Frau also definitiv Krebs. Gut möglich, dass sie mit dieser These jetzt auch noch diese abwegige Angst in die Wohnung der Nachbarin exportiert hat und dem vielleicht bettlägrigem Mann erst einmal das Telefon weggenommen wird.

Auch in diesem Fall sehe ich das Problem nicht allein bei der Frau, die in psychotherapeutischer Behandlung ist und - so sagt sie - sogar die Kosten für die Fahrten in einem strahlungsfreien Taxi (Fahrer schaltet alle Funkquellen ab) von der KK erstattet bekommt, sondern in den schrillen und substanzlosen Panikmeldungen, wie sie von allseits bekannten Mobilfunkkritikern immer wieder neu aufgetischt werden. Ein geistig kerngesunder und nicht betroffener Mensch mag die Botschaften dieser Leute als puren Quatsch belächeln, so wie es die überwiegende Mehrzahl auch tut. Aus eigener Erfahrung weiß ich aber, dass schon die eigene Betroffenheit den Blick trüben kann, und dass der Quatsch zumindest eine Zeit lang für bare Münze genommen wird. Richtig arm dran sind die psychisch Angeschlagenen, die dem Quatsch nicht entrinnen können oder wollen, weil er vielleicht schon integraler Bestandteil der Krankheit geworden ist. Meine Logik: Gäbe es die Schauergeschichten der Fanatiker nicht, gäbe es die aberwitzigen EMF-Erklärungsmodelle der Betroffenen nicht, sondern andere. So richtig auf den EMF-Geschmack gebracht haben soll unsere neue Kundin übrigens ein gewisser "Dr." Maes mit seinem Buch über die Gefahren des E-Smogs.

Wieder nur ein Einzelfall, werden Sie einwenden. Stimmt. Aber inzwischen steht es für mich außer Frage, dass die E-Smog-Debatte eine enorme Anziehungskraft auf psychisch labile oder auch kranke Menschen hat. Die gefürchtete Psycho-Ecke, von der hier immer wieder im Zusammenhang mit der Abschiebung Betroffener geschrieben wurde, aus meiner Sicht ist sie bittere Realität und alles andere als eine Erfindung von Frau Kaul. Wieviele ES sich nun in dieser Ecke befinden weiß niemand. Und deshalb sollte man dort mal genauer hingucken, um wenigstens grob abschätzen zu können, wieviele Menschen mit der EMF-Krücke durch die Gegend humpeln. Denn die können sich mMn nicht selbst befreien, die brauchen nun wirklich professionelle Hilfe.

Die hier beschriebene Schattenseite der E-Smog-Debatte, nämlich die buchstäblich "krank- oder in die Keller geredeten" Menschen, ist es mMn wert, ebenso diskutiert zu werden wie die erste Bedeutungsebene der Debatte. Ich hoffe, ich stehe mit dieser Meinung nicht alleine da. Denn was Doris dazu zu sagen hatte, war für mich schon mal erhellend, weil Schielen auf einen "Krankheitsgewinn" offenbar kein rein bayerisches Phänomen ist.

Und damit erst gar kein Missverständnis aufkommt: Nein, ich glaube nicht, dass jeder ES einen psychischen Defekt hat, es gibt sicherlich auch psychisch gesunde ES. Ich würde aber dennoch die Psychoecke mal gerne aus der angeblichen Schmuddelecke ans Licht holen und sie nicht nur immerzu hastig aus Diskussionen rausfliegen sehen. Anka setzte sich schon früher mal für die saubere Psychoecke ein, die nur von einigen mit einer vermeintlich peinlichen Schmuddelecke gleichgesetzt wird.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Schizophren, Angststörung, Semmelweis, Schizophrenie, Einzelfall, Psychoecke, Betroffenheit, Mobilfunkopfer


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