Ende des himmlischen Friedens (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 30.07.2006, 13:28 (vor 6701 Tagen) @ helmut

Und außerdem, wer fliegt, braucht sich über Mobilfunk erst recht nicht aufregen.

Helmut, vermutlich kennen Sie nicht Jagdish Bhagwati. Der Mann ist Professor für Volkswirtschaft und Recht an der Columbia University New York. Bhagwati fliegt und regt sich dennoch über Mobilfunk auf. Und zwar über (den kommenden) Mobilfunk in Flugzeugen. Seine Überlegungen dazu hatte er ganz unaufgeregt am 13. Mai 2006 in einem Gastkommentar in der Finacial Times Deutschland zum besten gegeben.

Ende des himmlischen Friedens

Flugzeuge gehören zu den seltenen Ruheräumen, in denen man nicht vom allgegenwärtigen Handylärm geplagt wird. Doch in den USA soll Telefonieren an Bord erlaubt werden. Was dagegen zu tun ist.

Unser Recht auf Frieden und Ruhe wird dadurch garantiert, dass Taxifahrer mit Bußgeldern bestraft werden, wenn sie laut hupen. In Kalkutta und Karachi jedenfalls ist das altes Gewohnheitsrecht, denn dort mussten Taxifahrer jahrelang auf den überfüllten Straßen Fahrradfahrern, Kühen und anderen achtlosen Verkehrsteilnehmern ausweichen - oder sie aus dem Weg hupen. Und in Washington wie anderswo dürfen spätabends keine Flugzeuge mehr landen, damit die Anwohner in Flughafennähe ungestört schlafen können.

Das Recht auf ungestörten Schlaf gilt mittlerweile gemeinhin als Menschenrecht. Dagegen wird die ungezügelte Lärmbelästigung in vollen Bussen, Zügen, Restaurants und Kinos allgemein toleriert. Die akustische Verschmutzung breitet sich aus wie die Vogelgrippe - nur mit noch schlimmeren Folgen, zumindest für unseren Seelenfrieden und unsere geistige Gesundheit.

In den USA (und wahrscheinlich bald auch sonst überall auf der Welt) wird geprüft, ob der Gebrauch von Mobiltelefonen in Flugzeugen künftig erlaubt wird. Das brächte das Fass wirklich zum Überlaufen.

Laute Passagiere könnten dann hemmungslos drauflosquasseln, einfach mal Hinz oder Kunz anrufen, nur um Hallo zu sagen, oder auch geschäftliche Gespräche führen, die alle anderen Passagiere eigentlich nichts angehen. Was tun, wenn die US-Flugaufsicht FAA diesen Wahnsinn erlaubt? Es gibt immer Mittel und Wege.

Was kann man an Bord gegen die lästigen Telefonierer tun? Ein Bekannter von mir ärgerte sich früher - als in amerikanischen Restaurants noch geraucht werden durfte - immer sehr darüber, wenn ihm Zigarettenrauch in die Augen stieg. Deshalb kaufte er sich kurzentschlossen einen kleinen Handventilator, mit dem er den Qualmern am Nebentisch den Rauch wieder zurück in ihre verdutzten Gesichter blies.

Wahrscheinlich werden es Ihnen die Flugbegleiterinnen nicht durchgehen lassen, Handynutzer mit Ihrem CD-Player noch zu übertönen. Aber wie wäre es, wenn Sie selbst lautstark völlig inhaltsleere Telefonate mit einem imaginären Freund führten - ohne tatsächlich anzurufen natürlich? Einen Versuch ist es wert.

Aber wie lange und wie häufig hält man dieses Lärmwettrüsten durch, das der vulgäre Schreihals, den Sie übertönen möchten, am Ende wahrscheinlich doch für sich entscheidet?

Mit US-Sammelklagen dagegen vorzugehen ist wohl die wirkungsvollere Alternative. Man könnte Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen auffordern, Behörden und Fluggesellschaften zu verklagen, die die Verwendung von Mobiltelefonen in Flugzeugen genehmigen beziehungsweise die behördliche Genehmigungen umsetzen. Man könnte auch Sozialverbände und Rentnerlobbys dazu bringen, sich der Sammelklage anzuschließen, um die ungestörten und ruhigen Urlaubsreisen der immer größer werdenden Seniorenschar zu schützen.

Artikel 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantiert das Recht auf Privatleben. "Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und (...) notwendig ist für (...) das wirtschaftliche Wohl des Landes", heißt es dort. Zum Privatleben gehört zweifellos auch, dass man in Ruhe dösen kann, ohne überflüssiges Geplapper ertragen zu müssen, das ganz bestimmt nicht zum wirtschaftlichen Wohl irgendeines Landes beiträgt.

Was aber ist mit den Rechten der Handynutzer? Sie sind weniger wichtig als die der Mitreisenden, die von ihnen belästigt werden?

Tatsächlich könnten die Fluggesellschaften dem Redebedürfnis dieser Menschen ebenfalls gerecht werden, ohne dass die anderen Passagiere beeinträchtigt werden, die nur einen ruhigen Flug verbringen möchten: Für Handybenutzer könnte gegen eine zusätzliche Gebühr eine Telefonzelle an Bord zur Verfügung gestellt werden. Damit wären die Rechte der Telefonierer gewahrt, ohne dass die der anderen eingeschränkt würden.

Das Rauchverbot in Flugzeugen wurde eingeführt, als die negativen Folgen von Passivrauchen für die Gesundheit wissenschaftlich belegt waren. Ähnlich könnte es beim Handygebrauch im Flieger kommen. Die Beeinträchtigung muss nicht immer nur physischer Natur sein, sondern kann sich in mentalen Gesundheitsschäden niederschlagen. Nachweislich aber kann der Stress, dem man in einem engen Raum mit ständiger Lärmberieselung ausgesetzt ist, zu erhöhtem Blutdruck, Ermüdung und anderen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Damit argumentierten 2001 auch Kläger in einem Prozess um Fluglärm vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Es ist immer noch nicht eindeutig geklärt, ob die Strahlung von Mobiltelefonen bei Mitmenschen - im Flugzeug den Mitreisenden - zu sekundären Hirnschäden führen kann. Wäre das Schicksal gerecht, würden nur die Gehirne der Handybenutzer angegriffen. Aber wer wollte anfangs auch glauben, dass Zigaretten nicht nur den Rauchern, sondern auch ihren Familien schaden können?

Die beste Methode, sich gegen die Handy-Heimsuchung im Flugzeug zu wehren, wäre also vielleicht, den Mobilfunkbetreibern mit Haftungsansprüchen zu drohen. Man könnte sie an die Tabakkonzerne erinnern, die schließlich mit enormen Schadensersatzzahlungen konfrontiert waren. Drohende Geldstrafen dürften das beste Mittel gegen die zunehmende akustische Umweltverschmutzung durch Handys sein.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Sammelklage


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