Charité lässt Korrektur fehlerhafter Doktorarbeiten zu (Forschung)
Gast, Dienstag, 15.11.2011, 19:18 (vor 4767 Tagen)
Wer in seiner Doktorarbeit gepfuscht hat, darf nachbessern. Nach diesem Grundsatz verfährt zurzeit die Berliner Charité. Wie die "Süddeutsche Zeitung" schreibt, hat die dortige Promotionskommission entschieden, dass zwei Ärztinnen ihre Doktorarbeit überarbeiten dürfen. In den Dissertationen waren gravierende Fehler entdeckt worden - so schwerwiegend, dass sie dem Bericht zufolge auch einen Entzug des Doktorgrades rechtfertigen könnten. Die Entscheidung der Kommission stößt bei Experten auf Kritik. Der von der Deutschen Forschungsgesellschaft eingesetzte Ombudsmann für die Wissenschaft, Wolfgang Löwer, merkt an: Die Charité könne sich nicht um die Frage herumdrücken, ob der Doktortitel jeweils zu Recht verliehen worden sei. © Copyright Deutschlandradio Kultur
Wir diskutierten darüber hier
Charité prüft Reflex-Studie (Berlin) auf Unregelmäßigkeiten
Reflex-Studie: Berlin kritisiert indirekt Prof. Adlkofer
Spiegel Artikel: Fälschung an der Charité
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Reflex, Tauber, HL60-Zellen, Berlin, Khubnazar, Fehlverhalten, Entzug, Charité
Charité-Doktorarbeit: zehn Monate - auf Bewährung
H. Lamarr , München, Mittwoch, 16.11.2011, 11:53 (vor 4766 Tagen) @ Gast
Der Beitrag in der Süddeutschen Zeitung vom 14. November 2011 titelt "Dr. med. nachgebessert". Da der Artikel (noch) nicht online steht, hier ein paar Takte zum Inhalt:
- Frau Dr. K. hat von der Charité zehn Monate Zeit bekommen, ihre beanstandete Doktorarbeit nachzubessern.
- Lässt sich Frau Dr. K. nicht auf das Angebot ein (was gegenwärtig anscheinend noch nicht fest steht), kann ihr der Titel doch noch aberkannt werden.
- Die nachgebesserte Doktorarbeit muss neu begutachtet werden.
- Die Entscheidung der Charité Nachbessern zuzulassen sei "höchst ungewöhnlich“, sagt Wolfgang Löwer, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingesetzter Ombudsmann für die Wissenschaft.
- Die Arbeit zum Mobilfunk enthalte "zweifelsohne schwere Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis“, sagt Ulrich Dirnagl (Mitglied der Promotionskommission), aber eine externe Kommission habe keine betrügerische Intention feststellen können. Dem Votum der externen Kommission habe sich die Promotionskommission angeschlossen.
- Die Charité gebe das Votum der externen Kommission nicht heraus und nenne die Mitglieder nicht, um sie vor einer „Schlammschlacht“ zu bewahren, sagt Ombudsmann Karl Sperling.
- Die Promotionskommission sei mehrheitlich der Meinung gewesen, dass sich die Dissertation durch Umarbeitung retten lasse. Dabei habe sie neben ihrer Verantwortung für die Wissenschaft auch ihrer Verantwortung für die junge Ärztin Rechnung getragen. „Es kann ja nicht darum gehen, deren Leben zu zerstören“, sagt ein Mitglied, das ungenannt bleiben will. Schließlich seien Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis dem Doktoranden, „der naiv in seine Arbeitsgruppe gerate und sich den Gepflogenheiten seines Betreuers anpasse“, am wenigsten anzulasten.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
Zweite Chance an der Charité - ein vergiftetes Geschenk...
AnKa, Samstag, 19.11.2011, 16:37 (vor 4763 Tagen) @ Gast
Wer in seiner Doktorarbeit gepfuscht hat, darf nachbessern. Nach diesem Grundsatz verfährt zurzeit die Berliner Charité. Wie die "Süddeutsche Zeitung" schreibt, hat die dortige Promotionskommission entschieden, dass zwei Ärztinnen ihre Doktorarbeit überarbeiten dürfen. In den Dissertationen waren gravierende Fehler entdeckt worden - so schwerwiegend, dass sie dem Bericht zufolge auch einen Entzug des Doktorgrades rechtfertigen könnten. Die Entscheidung der Kommission stößt bei Experten auf Kritik. Der von der Deutschen Forschungsgesellschaft eingesetzte Ombudsmann für die Wissenschaft, Wolfgang Löwer, merkt an: Die Charité könne sich nicht um die Frage herumdrücken, ob der Doktortitel jeweils zu Recht verliehen worden sei. © Copyright Deutschlandradio Kultur
Das ist ein bedenkenswürdiger Vorgang.
Wenn man den Schilderungen im SZ-Artikel vom 14.11. folgt (Titel: "Dr. med. nachgebessert"), dann werden von der Berliner Charité weder Zusammensetzung und fachliche Befähigung, noch die Gutachtensschrift der angeblich "externen" Kommission nach draußen mitgeteilt. Wohl aber deren Empfehlung: Doktorand(inn)en, deren Arbeiten in begründetem Fälschungs-/Datenfabrikationsverdacht stehen, sollten an der Berliner Charité posthum eine "zweite Chance" angeboten bekommen, ihre Arbeit nachzubessern.
Wird das so durchgeführt und also grundsätzlich möglich, dann könnten andere Doktoranden mit Fug und Recht auf Gleichbehandlung pochen, und mehr: sie -oder gleich die Politik- könnten mittelfristig eine Regel einklagen, die dieses Verfahren institutionalisiert. Anderenfalls würde diesem in der Charité ersonnenen Verfahren auf Dauer der Geruch der Willkür anhaften.
Ärgerlich, vielleicht aber auch in Wirklichkeit lustig, ist es, dass eine der in der extremen Mobilfunkgegnerszene herbeigesehnten Der-Mobilfunk-verursacht-Zellschäden-Arbeiten mitbetroffen ist. Das kann noch unterhaltsam werden.
Die Doktorandin, die diese Arbeit verfasst hat und jetzt im Verdacht steht, Daten fabriziert, also betrogen zu haben, sollte sich das Angebot der Charité zweimal überlegen. Wer würde im Wissenschaftsbetrieb mit so einer Sonderregelung schon glücklich? Fachlich gesehen, bedeutet die angebotene Zehn-Monats-Frist doch eine ernste Aufforderung an die arme Frau: liefern Sie solide, also replizierfähige Ergebnisse ab. Darauf darf man dann gespannt sein. Das Angebot ist ein Danaergeschenk. Fein heraus ist am Ende in jedem Fall die "soziale" Charité. Die Dumme aber, weil: Alleinverantwortliche, ist nun, und bleibt ab dann, die Doktorandin. Und die Voraussetzungen sind auch in anderer Hinsicht fragwürdig. Vermutlich besteht auch ein Abhängigkeitsverhältnis. Oder gar mehrere. Wissenschaft, abzuliefern unter Druck. Man denke diese Geschichte weiter. Sie ist anrüchig.
Vielleicht wäre es nach einiger reiflicher Überlegung denn doch geschickter, auch die Doktorandin wählte den Weg eines ehemaligen Verteidigungsministers. Und würde wenn möglich irgendwann auch benennen, wer ihr da eventuell geholfen hat, auf Abwege zu driften. Pathetisch formuliert, hat ja Wissenschaftlichkeit etwas mit dem Bemühen um die Wahrheit, die ganze, zu tun.
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"Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere." (Groucho Marx)
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Datenfabrikation, Zellschäden
Charité: denn sie wussten (nicht?), was sie tun
Alexander Lerchl , Sonntag, 20.11.2011, 11:16 (vor 4762 Tagen) @ AnKa
bearbeitet von Alexander Lerchl, Sonntag, 20.11.2011, 11:50
Wenn man den Schilderungen im SZ-Artikel vom 14.11. folgt (Titel: "Dr. med. nachgebessert"), dann werden von der Berliner Charité weder Zusammensetzung und fachliche Befähigung, noch die Gutachtensschrift der angeblich "externen" Kommission nach draußen mitgeteilt. ...
So ganz extern war die Kommission nicht. Der Vorsitzende war der Ombudman der Charité, Prof. Sperling ...
Wird das so durchgeführt und also grundsätzlich möglich, dann könnten andere Doktoranden mit Fug und Recht auf Gleichbehandlung pochen, und mehr: sie -oder gleich die Politik- könnten mittelfristig eine Regel einklagen, die dieses Verfahren institutionalisiert. Anderenfalls würde diesem in der Charité ersonnenen Verfahren auf Dauer der Geruch der Willkür anhaften.
Genau davor habe ich die Promotionskommssion vor ihrer Entscheidung am 17. Oktober gewarnt. Leider erfolglos.
Die Doktorandin, die diese Arbeit verfasst hat und jetzt im Verdacht steht, Daten fabriziert, also betrogen zu haben, sollte sich das Angebot der Charité zweimal überlegen. Wer würde im Wissenschaftsbetrieb mit so einer Sonderregelung schon glücklich? Fachlich gesehen, bedeutet die angebotene Zehn-Monats-Frist doch eine ernste Aufforderung an die arme Frau: liefern Sie solide, also replizierfähige Ergebnisse ab. Darauf darf man dann gespannt sein. Das Angebot ist ein Danaergeschenk. Fein heraus ist am Ende in jedem Fall die "soziale" Charité. Die Dumme aber, weil: Alleinverantwortliche, ist nun, und bleibt ab dann, die Doktorandin. Und die Voraussetzungen sind auch in anderer Hinsicht fragwürdig. Vermutlich besteht auch ein Abhängigkeitsverhältnis. Oder gar mehrere. Wissenschaft, abzuliefern unter Druck. Man denke diese Geschichte weiter. Sie ist anrüchig.
Genau. Vor ein paar Tagen habe ich den Vorstandsvorsitzenden der Charité, die Dekanin und die Promotionskommission angeschrieben, bislang aber (wie erwartet) keine Antwort erhalten:
"Sehr geehrter Herr Professor Einhäupl,
Sehr geehrte Frau Professor Grüters-Kieslich,
Sehr geehrte Mitglieder der Promotionskommission der Charité,
beim Lesen des Artikels in der Süddeutschen Zeitung vom Montag („Dr. med. nachgebessert“) ist mir aufgefallen, dass von einem „Urteil“ bzw. „Votum“ der „externen Kommission“ berichtet wird, dem sich die Promotionskommission angeschlossen habe. Mit dieser Äußerung der Kommission ist offenbar der Passus gemeint, der „keine betrügerische Intention feststellen“ konnte.
Was mich nun wundert: Zum Einen ist Herr Sperling, Ombudsman der Charité, nicht nur Mitglied, sondern auch Vorsitzender dieser „externen“ Kommission gewesen, was die Angelegenheit nicht eben angenehmer macht. In diesem Lichte erklärt sich natürlich auch die Äußerung von Herrn Sperling, die Mitglieder nicht zu nennen, um sie vor einer „Schlammschlacht“ zu bewahren ...
Zum Anderen ist mir nach wie vor vollkommen schleierhaft, warum die PK so entschieden hat. Und: Wie soll das denn weiter gehen? Selbst wenn Frau Dr. XXX sich jetzt daran setzt, die Arbeit zu verbessern, was soll denn „verbessert“ werden? Sie müsste
- die Originaldaten beifügen und erklären, dass sie diese durch 2, 3, 5 bzw. 7 dividiert hat, „um typische und vergleichbare Comet-Parameter, wie sie üblicherweise in der Literatur gefunden werden, zu erhalten ...“ (Zitat Tauber);
- erklären, dass die Daten mit zwei völlig unterschiedlichen Verfahren und zu unterschiedlichen Zeitpunkten generiert wurden;
- einräumen, dass sie zum Teil wesentlich weniger Zellen analysiert hat als ursprünglich angegeben;
- die Bilder der Zellen erneut auswerten, da die Bilder zum Teil nicht vorhanden waren bzw. doppelt ausgewertet wurden (gibt es überhaupt noch auswertbare Bilder; gibt es noch die entsprechende Software?);
- statistische Auswertungen vornehmen (wie geht das, wenn die Originaldaten nicht mehr beschafft werden können, s.o.?);
- erklären, wie die Zellen wirklich exponiert wurden (Stichwort „Bandverstärker“);
Da die „aufgebesserte“ Dissertation natürlich noch einmal begutachtet werden muss, stellt sich die Frage, wer das machen soll / wird, da die Namen der Gutachter (Referent / Korreferent) schließlich laut Promotionsordnung veröffentlicht werden müssen. Ein höchst undankbarer Job, kann ich mir vorstellen, da die erheblichen Mängel der Arbeit ja nicht verschwinden / verschwiegen werden dürfen.
Wenn die Arbeit schließlich begutachtet worden ist, ergeben sich zwei mögliche Ergebnisse: Annahme oder Ablehnung. Im Falle der Annahme: Wird es eine erneute Disputation geben? Im Falle der Ablehnung: Bedeutet das automatisch den Entzug des Doktorgrades? Falls ja, mit welcher Begründung?
Mit freundlichen Grüßen
Alexander Lerchl"
Das wird alles noch sehr interessant werden.
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"Ein Esoteriker kann in fünf Minuten mehr Unsinn behaupten, als ein Wissenschaftler in seinem ganzen Leben widerlegen kann." Vince Ebert
Staatsanwalt lässt zu Guttenberg vom Haken
H. Lamarr , München, Mittwoch, 23.11.2011, 12:01 (vor 4759 Tagen) @ Gast
Wer in seiner Doktorarbeit gepfuscht hat, darf nachbessern.
Und weiter: ...
Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen gegen Guttenberg ein. Karl-Theodor zu Guttenberg kann aufatmen: Die Staatsanwaltschaft Hof hat die Ermittlungen gegen den früheren Verteidigungsminister im Zuge der Plagiatsaffäre eingestellt. Der Politiker musste 20 000 Euro an die Deutsche Kinderkrebshilfe zahlen. Das teilte der Oberstaatsanwalt mit.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –