WHO-Projekt "systematische Reviews": Schlussbericht von Verbeek (Forschung)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 23.09.2025, 13:56 (vor 2 Tagen)

Die Sonderausgabe von Environment International (2025) bündelt erstmals zwölf systematische Reviews zu den gesundheitlichen Wirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder (HF-EMF), erstellt im Auftrag der WHO. Grundlage ist ein international koordinierter Kraftakt mit fast 90 Fachleuten, die über vier Jahre hinweg Daten sichteten, bewerteten und nach streng standardisierten Verfahren zusammenfassten. Die Ergebnisse bilden das Fundament für die kommende WHO-Monographie zu HF-EMF. Der jetzt vorgelegte Schlussbericht zu dem WHO-Projekt wird Mobilfunkgegner enttäuschen.

Titel: Systematic reviews and meta-analyses for the WHO assessment of health effects of exposure to radiofrequency electromagnetic fields, an introduction (Volltext).
Autoren: Jos Verbeek et al., Environment International (2025)

Der Artikel ist der Schlusspunkt der Sonderausgabe, welche die systematischen Reviews für die WHO zur gesundheitlichen Wirkung von HF-EMF vorstellt. Ziel ist die wissenschaftliche Basis für die Aktualisierung der WHO-Monographie zu HF-EMF (Environmental Health Criteria, EHC), deren jüngste Ausgabe aus dem Jahr 1993 stammt. Am Ende wurden es zwölf Reviews. Das liegt daran, dass die ursprünglich zehn geplanten Themen (gemäß WHO-Priorisierung von sechs Endpunkten) teilweise auf mehrere Reviews aufgeteilt wurden.

Das Projekt bestand aus drei Schritten:

Scoping Review: Ab 2012 erfassten Experten mehrere Tausend Publikationen zu HF-EMF und Gesundheit.

Priorisierung: In einer Umfrage unter über 300 Fachleuten wurden aus 34 möglichen Endpunkten sechs priorisiert: Hitzewirkungen, Krebs, Fertilität, Kognition, subjektive Symptome und oxidativer Stress.

Systematische Reviews: Internationale Teams bearbeiteten die Themen getrennt nach Human- und Tierstudien, nach streng standardisierter WHO-Methodik (Peco-Format, Ohat-Handbuch, Grade).

Ergebnisse im Überblick

Krebs (Humanstudien): Auf Basis von 74 Studien moderat sichere Evidenz für keinen oder nur geringen Effekt bei Gliomen und Lymphomen. Für Schilddrüsen- und Mund/Rachenkrebs war die Evidenz niedrig bis sehr niedrig.

Krebs (Tierstudien): Zehn Langzeitbioassays und zahlreiche weitere Studien. Hier wich das Team vom Protokoll ab: Statt die geplante Synthese über relatives Risiko zu nutzen, wurde ein Effekt angenommen, wenn zwei Einzelstudien signifikante Resultate zeigten – selbst wenn andere Studien Nullbefunde hatten. Auf dieser Grundlage wurde "hoch- bis moderat-sichere" Evidenz für Effekte bei fünf Krebsarten berichtet (siehe auch: Mevissen-Review für WHO: kritische Bewertung durch das BfS). Diese Abweichung führte zu intensiven Diskussionen mit Herausgebern und Gutachtern; ob die Methode valide ist und ob alternative Ansätze zu denselben Schlüssen führen, ist gegenwärtig offen.

Fertilität: In Tierstudien gesicherte Evidenz für keine oder kleine Effekte auf Wurfgröße, zugleich aber hochsichere Evidenz für deutliche negative Effekte auf männliche Fertilität. Humanstudien dagegen sehr wenige und von sehr niedriger Aussagekraft.

Kognition: Humanexperimente zeigten konsistent moderat bis hoch sichere Evidenz für keinen oder kleinen Effekt; Beobachtungsstudien dagegen sehr wenige und schwache.

Symptome: Experimente lieferten moderat sichere Evidenz für keinen oder geringen Effekt; Beobachtungsstudien nur sehr niedrige Evidenz.

Oxidativer Stress: Ergebnisse extrem variabel, von starken Zunahmen bis zu deutlichen Abnahmen. Die Evidenz wurde wegen methodischer Schwächen sehr niedrig eingestuft.

Stärken und Herausforderungen

Die Harmonisierung der Methoden und die Veröffentlichung geprüfter Protokolle sorgten für Transparenz und Vergleichbarkeit. Die Arbeitslast war allerdings deutlich höher als erwartet, und die Pandemie erschwerte die Zusammenarbeit zusätzlich. Die auffälligste methodische Abweichung war die Tier-Review zu Krebs, die im Ergebnis zu einem deutlich anderen Bild als die übrigen Analysen führte.

Fazit

Die zwölf Reviews bieten die bislang umfassendste und methodisch stringenteste Aufarbeitung der Evidenzlage zu HF-EMF. Insgesamt finden sich für die meisten Endpunkte keine oder nur kleine Effekte, doch die Qualität der Evidenz schwankt erheblich. Eine abschließende gesundheitspolitische Bewertung übernimmt nun die WHO-Arbeitsgruppe (Task-Group), welche die Ergebnisse analysiert und in die neue WHO-Monographie einarbeitet.

Hinweis: Dieses Posting ist eine Co-Produktion von ChatGPT (Recherche) und H. Lamarr (Text)

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tier-Review: Dokumentierte Abweichungen vom Studienprotokoll

H. Lamarr @, München, Dienstag, 23.09.2025, 18:26 (vor 2 Tagen) @ H. Lamarr

Krebs (Tierstudien): Zehn Langzeitbioassays und zahlreiche weitere Studien. Hier wich das Team vom Protokoll ab: Statt die geplante Synthese über relatives Risiko zu nutzen, wurde ein Effekt angenommen, wenn zwei Einzelstudien signifikante Resultate zeigten – selbst wenn andere Studien Nullbefunde hatten. Auf dieser Grundlage wurde "hoch- bis moderat-sichere" Evidenz für Effekte bei fünf Krebsarten berichtet (siehe auch: Mevissen-Review für WHO: kritische Bewertung durch das BfS). Diese Abweichung führte zu intensiven Diskussionen mit Herausgebern und Gutachtern; ob die Methode valide ist und ob alternative Ansätze zu denselben Schlüssen führen, ist gegenwärtig offen.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Die Autoren der Tier-Review wurden nicht etwa bei heimlichen Abweichungen vom Studienprotokoll erwischt, sie haben die Abweichungen vielmehr selber in ihrer Review transparent dokumentiert. Insgesamt räumen sie auf diese Weise fünf Abweichungen vom Protokoll ein (recherchiert hat diese ChatGPT):

Dokumentierte Abweichungen vom Protokoll (laut Supplementary Data 1)

Expositionskriterien
Im Protokoll war vorgesehen, nur Studien mit klarer Dosis-/Expositionsangabe einzuschließen.

Geändert wurde dies dahingehend, dass auch Studien ohne genaue numerische Angaben berücksichtigt wurden, sofern die Exposition qualitativ plausibel war.

Bewertung des Bias-Risikos
Ursprünglich sollte ausschließlich das Ohat-Tool (Office of Health Assessment and Translation) angewendet werden.

Später wurden zusätzliche, speziell angepasste Kriterien für die Bewertung eingeführt, um methodische Schwächen der Tierstudien genauer erfassen zu können.

Endpunkte
Einige Krebsarten bzw. Tumorarten, die im Protokoll nicht explizit erwähnt waren, wurden nachträglich in die Analyse aufgenommen, wenn sie in den Primärstudien vorkamen.

Die Definition von Primär- und Sekundärendpunkten wurde teilweise neu justiert.

Synthesemethodik
Statt ausschließlich die im Protokoll vorgesehene quantitative Risikoschätzung (z. B. relatives Risiko) anzuwenden, wurde zusätzlich eine "signifikanzbasierte" Vorgehensweise gewählt: Wenn mindestens zwei unabhängige Studien ein signifikantes Ergebnis zeigten, wurde dies als Hinweis auf einen Effekt gewertet – auch wenn andere Studien Nullbefunde lieferten.

Berichterstattung und Transparenz
Ergänzend zu den geplanten Tabellen wurden neue Darstellungsformen (z. B. narrative Synthesen, zusätzliche Abbildungen) eingeführt, die im ursprünglichen Protokoll nicht vorgesehen waren.

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– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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