Zwischen Hypothese und Evidenz: Verrender et al. vs. Leszczynski (Elektrosensibilität)

KI, Mittwoch, 17.09.2025, 21:08 (vor 2 Tagen)

Der finnische Wissenschaftler Dariusz Leszczynski ist der Überzeugung, das Aufspüren physiologischer Biomarker könnte Bewegung in die festgefahrene Diskussion um das Phänomen "Elektrosensibilität" bringen. Eine Arbeitsgruppe um Adam Verrender hat den Vorschlag aufgegriffen und untersucht, ob die Cortisolkonzentration von Probanden auf HF-EMF-Befeldung (2 W/kg) regiert. Dies war nicht der Fall. Leszczynski sieht sich dadurch nicht widerlegt, er sieht in der Studie der Arbeitsgruppe vielmehr methodische Fehler. Im Auftrag des IZgMF prüft ChatGPT, was an Leszczynskis Manöverkritik dran ist.

Warum reagierte Leszczynski in seinem Blog so gezielt auf die Studie von Verrender? Die für den Wahlfinnen enttäuschenden Ergebnisse dürften nicht der alleinige Grund gewesen sein, sondern auch Rodney Crofts Mitwirkung an der Arbeitsgruppe. Croft war von 2012 bis 2024 Mitglied der Icnirp-Kommission und in der Periode 2020 bis 2024 Vorsitzender der Kommission. Wenn also Leszczynski die Verrender-Studie kritisiert, kritisiert er damit indirekt auch sein bevorzugtes Angriffsziel Icnirp.

Im Anschluss nun die Bewertung von Leszczynskis wichtigsten Kritikpunkten an der Studie durch ChatGPT.

Nur ein Biomarker (Cortisol) untersucht

Leszczynski: zu eng gefasst, Omics-Ansätze wären besser.
Studie: hat bewusst nur Salivarkortisol untersucht, weil es einen theoretischen Anknüpfungspunkt gab (thermisch vermittelte Effekte über CBG-Bindung). Die Autoren selbst betonen, dass sie nicht auf „assoziative“ Biomarker-Suchen gehen wollten, sondern eine theoretisch plausible Hypothese testen.
Meine Einschätzung: Kritik ist berechtigt, wenn man nach „umfassenden Biomarkern für IEI-EMF“ sucht. Für die konkrete Hypothese (Hitze → CBG → Cortisol) ist der enge Fokus aber wissenschaftlich legitim.

Nicht erfasst: orale Kontrazeptiva

Leszczynski: kritisiert, dass der Einfluss nicht berücksichtigt wurde.
Studie: bestätigt im Diskussionsteil selbst, dass dies ein Limit ist. Frauen mit Pille haben erhöhte CBG-Level und eine abgeschwächte Kortisolantwort. Die Autoren schreiben, dass sie den Effekt nicht quantifizieren können, weil sie keine Daten erhoben haben.
Meine Einschätzung: Hier hat Leszczynski völlig recht. Das ist eine echte methodische Schwäche.

Keine IEI-/EHS-Betroffenen in der Stichprobe

Leszczynski: falsche Population, da man ja Effekte bei „Sensiblen“ erwartet.
Studie: untersuchte nur gesunde, junge Erwachsene (Ø 20,8 Jahre). Die Autoren selbst räumen ein, dass die Ergebnisse nicht auf andere Gruppen (ältere, Kranke, IEI-EMF-Betroffene) übertragbar sind.
Meine Einschätzung: Kritik ist korrekt. Allerdings hatten die Autoren ein anderes Ziel. Sie wollten grundsätzlich prüfen, ob HF-EMF → Cortisol-Effekt nachweisbar ist. Dass keine EHS-Betroffenen eingeschlossen wurden, reduziert die Relevanz für die Debatte um IEI-EMF, macht die Studie aber nicht "falsch".

Statistische Power

Leszczynski: meint, die Studie könnte zu schwach sein.
Studie: hatte 72 Teilnehmende, Power 0,8, Ziel: Effektgröße f = 0.15. Gefunden: Effektgröße praktisch 0 (ηp² < 0.001). Autoren schreiben, die Power-Frage sei irrelevant, da der Effekt schlicht nicht vorhanden war.
Meine Einschätzung: Leszczynski liegt hier eher daneben. Power war ausreichend für kleine bis moderate Effekte, und die Daten zeigten keine Spur eines Effekts.

Bias durch Studierende

Leszczynski: befürchtet, dass Studierende Erwartungen hatten.
Studie: Design streng doppelt verblindet, mit Gegenbalancierung und Kontrollvideos, und die Teilnehmenden wussten nicht, wann sie exponiert wurden.
Meine Einschätzung: Dieses Risiko wurde gut kontrolliert. Die Kritik erscheint schwach.

Fehlende Literaturbezüge

Leszczynski: beklagt mangelnde Auseinandersetzung mit anderen Biomarker-Ansätzen.
Studie: zitiert durchaus Belpomme, Irigaray u. a., kritisiert diese Arbeiten aber als methodisch unzureichend.
Meine Einschätzung: Die Literatur wird nicht ignoriert, sondern eingeordnet. Kritik ist hier überzogen.

Gesamtfazit

Starke Punkte der Kritik
► Nichtberücksichtigung oraler Kontrazeptiva → reale methodische Schwäche.
► Keine IEI-/EHS-Betroffenen → eingeschränkte Übertragbarkeit auf die eigentliche Zielgruppe.

Schwache Punkte der Kritik
► Vorwurf unzureichender Power – empirisch widerlegt.
► Vorwurf Bias durch Studierende – Design minimiert diesen.
► Vorwurf Literaturignoranz – Studie bezieht sich kritisch auf frühere Arbeiten.

Mein Urteil

Leszczynskis Kritik enthält wichtige Hinweise, aber sie schießt in Teilen über das Ziel hinaus. Verrender et al. haben eine enge, saubere Hypothese getestet (HF-EMF → Cortisol über thermische Mechanismen). Das Ergebnis (kein Effekt) ist methodisch solide, wenn auch eingeschränkt in der Generalisierbarkeit. Für die Frage "Erklärt HF-EMF IEI-EMF über Cortisol?" lautet die Antwort klar: nein, jedenfalls nicht in jungen gesunden Erwachsenen.

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