Vetopedia sammelt Fallgeschichten von "Elektrosensiblen" (Elektrosensibilität)
In der Selbstdarstellung nennt sich Vetopedia die "freie Enzyklopädie der Gegenstimmen". Unter anderem sammelt diese Website Fallgeschichten von Impfgegnern und "Elektrosensiblen". Stand heute erzählt Vetopedia 157 EHS-Fallgeschichten. Das wären mehr als auf jeder anderen Website mit ähnlicher Zielrichtung. Doch der Schein trügt und im Hintergrund zieht ein alter Bekannter die Fäden.
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Bild: Vetopedia
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Die Startseite des Webauftritts bietet gegenwärtig acht Themenkacheln an, eine davon hat die Titelzeile "Mobilfunkschäden" mit dem Untertitel "Menschen bezeugen, dass Mobilfunk negative Auswirkungen auf ihre Gesundheit hat!" Wer auf die Kachel klickt, sieht einen Zähler (geschädigte Zeugen) der von 0 auf heute 157 innerhalb weniger Sekunden hochzählt. Und damit von Anfang an niemand auf die abwegige Idee kommt, auf einer seriösen Website gelandet zu sein, thront über der ersten Fallgeschichte im Kopf der Seite die Bekanntmachung eines kleinen Verschwörungsmythos:
Längst existieren zehntausende wissenschaftliche Studien, die die Strahlung von Mobilfunk, WLAN, Smartmetern usw. als definitiv gefährlich und gesundheitsschädigend nachgewiesen haben. Diese Studien werden aber von Kartellmedien, Politik, Justiz usw. konsequent verschwiegen oder sogar aktiv unterdrückt.
So gebrieft kann man sich eine EHS-Fallgeschichte nach der anderen hereinziehen, wenn einem danach ist. Zusätzlich zur Geschichte bietet Vetopedia zu jedem Fall ein wenig Informationssystematik an:
► Anzahl von Studien oder Fachartikeln, welche angeblich die in der Fallgeschichte genannten Symptome des Zeugen bestätigen. Lobenswert: Die Anzahl wird nicht mit einem Zufallszahlengenerator ermittelt, sondern mit einer verlinkten Liste von Studien/Fachartikeln belegt.
► Strahlenquellen, welche die Symptome hervorrufen.
► Erstes Auftreten der Beeinträchtigung.
► Strahlenquelle im Schlafzimmer.
Anfangs sind der Fallzähler und der Studienzähler noch ganz nett. Ruft man jedoch eine mit einem Zähler verknüpfte Seite (z.B. die Startseite) öfter nacheinander auf, nervt die Verzögerung durch diese Spielerei von Mal zu Mal mehr.
Mit der heißen Nadel gestrickt
Wer eine Erklärung erwartet, nach welchen Kriterien die richtige Anzahl an Studien oder Fachartikeln zu einem bestimmten Fall aus den angeblich zehntausenden von Quellen herausgefiltert werden, wartet vergeblich, denn nichts wird erklärt. Der zuständige Algorithmus ist offenkundig auch noch nicht ganz ausgereift, denn bei einem Test mit dem Eintrag des "Elektrosensiblen" Hans Zeh wurden mir heute 127 Studien angekündigt, aber nur 111 geliefert. Nicht weiter schlimm, denn a) hätte ich mir weder 111 noch 127 Abstracts in Englisch angeschaut, weil sich mir b) partout nicht erschließt, was mir der Erfinder dieser seltsamen Information damit mitteilen möchte.
Unklar ist, ob Betroffene ihre Geschichten selbst eingestellt haben oder ob ihre anderswo erzählten Geschichten vom Betreiber mit Copy-Paste der Vetopedia einverleibt werden. Unklar ist auch, warum nur wenige bekannte "Elektrosensible" in der Sammlung vertreten sind und die meisten Namen einem nichts sagen. Zu diesen Unbekannten zählt der Fall von Monika O., der momentan auf Seite 6 der Sammlung präsentiert wird (Errichtung einer Mobilfunkantenne auf dem Dach des Wohngebäudes). Bizarr ist dieser Fall, weil angeblich nicht weniger als sechs Personen einer Familie von teils kuriosen Symptomen betroffen waren, nämlich Monika (mutmaßlich der Infektionsherd), ihr Ehemann, die Tochter, zwei Enkelsöhne und eine Schwiegertochter. Gut möglich, dass es sich bei den Angehörigen um Fälle von EHS-by-Proxy gehandelt hat. Alle sechs beteuern, nach einem Wohnungswechsel 2004 wären sämtliche Beschwerden verschwunden. Wie naiv, als ob ein Wohnungswechsel ein ultimativer Beweis zulasten der Antenne wäre.
157 Fallgeschichten in rd. 5 Monaten
Die erste EHS-Fallgeschichte (von Martina aus Bad Wildungen) erschien vermeintlich am 1. Januar 1999 auf Vetopedia. So jedenfalls präsentiert sich die Geschichte, wenn man die älteste Seite (derzeit Seite 7) der Sammlung aufruft und nach unten scrollt. Das Datum stimmt aber nicht, denn die Domain vetopedia.org wurde erst 2010 registriert und zeigte erstmals 2019 Inhalte. Das echte Datum des Eintrags von Martina sieht man, klickt man auf ihren Namen. Dann wird vermeintlich deutlich: Der älteste EHS-Eintrag auf Vetopedia ist vom 23. Oktober 2025! Im Klartext würde das bedeuten: Alle 157 Fallgeschichten wurden in den vergangenen 16 Tagen auf dem Portal eingestellt. Ganz so krass ist es aber nun doch nicht, denn der Eintrag von Martina ist zwar der erste in der Liste der 157 EHS, aber nicht der älteste. So wurde der Fall von "Manfred" (derzeit Seite 5) schon am 10. Juni 2025 eingestellt (das ist heute vor 151 Tagen gewesen). Halten wir also verbindlich fest: Seit etwa Juni 2025 müht sich Vetopedia, der Welt möglichst viele Fallgeschichten von "Elektrosensiblen" zu präsentieren, darunter steinalte aus den Kindertagen des GSM-Mobilfunks.
Null Haftung
Doch wer hat ein Interesse, sich im www oder sonst wo 157 EHS-Fallgeschichten zusammenzusuchen und im Eiltempo aufzulisten? Das Impressum der Site irritiert mit der Auskunft: "Jeder Autor eines Video- oder Textbeitrages ist für den Inhalt seiner Publikation verantwortlich." Als Grund für den Haftungsausschluss heißt es dort weiter, in vielen Fällen sei eine lückenlose Prüfung der Einträge nicht möglich, Vetopedia übernehme deshalb keine Verantwortung für die Richtigkeit der Zeugenberichte. Das bedeutet im Klartext: Die Fallgeschichten können den Tatsachen entsprechen, genauso gut aber auch Märchen sein. Was von Fall zu Fall zutrifft, niemand weiß es. Vor Gericht haben z.B. Augenzeugen entgegen der Volksmeinung keineswegs unumstößliche Beweiskraft. Sie gelten vielmehr als unzuverlässig, weil menschliche Wahrnehmung und Erinnerung viel fehleranfälliger sind, als man gemeinhin glauben mag. Wer Märchen erzählt, kann dies bewusst tun, um zu täuschen, oder es passiert jemandem unbewusst im guten Glauben, dass es kein Märchen ist, sondern die reine Wahrheit.
Überraschung: Site-Betreiber ist ein alter Bekannter
Als Ansprechpartner bei Vetopedia nennt das Impressum Markus Knecht. Der Name sagt mir nichts, die Postanschrift Hauptstr. 72 in 9430 St. Margrethen am Bodensee hingegen schon. Denn an gleicher Stelle residiert klagemauer.TV und Panorama-Film. Das bedeutet: Vetopedia ist ein Projekt des bekannten Laienpredigers Ivo Sasek. Dieses Puzzleteil vervollständigt das Bild. Denn seitdem Sasek von dem deutschen "Elektrosensiblen" Uli Weiner mit der fixen Idee infiziert wurde, ebenfalls "elektrosensibel" zu sein, hat Sasek den Kampf gegen Mobilfunk mit allen Mitteln zur Chefsache erklärt. Ein neues Mittel ist jetzt die Präsentation möglichst vieler "Elektrosensibler" auf Vetopedia. Sie sollen als lebender Beweis für die angebliche Schadwirkung elektromagnetischer Felder auf Menschen wahrgenommen werden. Darauf fällt herein, wer nichts weiß und deshalb alles glauben muss. Dabei würde es schon genügen, nur den Haftungsausschluss der Vetopedia zu lesen, um zumindest den Anfangsverdacht aufkommen zu lassen, von dem Portal nach Strich und Faden für dumm verkauft zu werden.
◄ In St. Margrethen betreibt Ivos Saseks Panorama-Film ein Kino
Bild: Google Maps
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Hintergrund
Die Kachel "Mobilfunkschäden" gibt es erst seit einigen Monaten auf der Startseite der Vetopedia, zuvor hieß diese Kachel "Mobilfunk und Krebs" mit dem Untertitel "An Krebs erkrankt oder gestorben?" Hier sollte eine Statistik zeigen, in welchem Abstand krebskrankte Menschen zur nächsten Mobilfunksendeanlage leben. Im Dezember 2023 hatten sich erst 21 Personen eingetragen, im Januar 2025 waren es 28. Wer sich diese Aktion ausgedacht hat, wusste anscheinend nicht, dass sich aus dem horizontalen Abstand zu einer Mobilfunksendeanlage die Exposition einer Person nicht zutreffend ableiten lässt. Denn die schlichte Formel je kürzer, desto schlimmer trifft nicht zu. Das Projekt "Mobilfunk und Krebs" war deshalb von Anfang an zum Scheitern verurteilt und nicht erst wegen der schwachen Resonanz in der Bevölkerung. Mutmaßlich im Juni 2025 wurde es aufgegeben und durch das neue Projekt "Mobilfunkschäden" ersetzt.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –