Kommerzialisierung der Anti-Mobilfunk-Szene (Allgemein)
Der Kommerz war schon immer diskreter Begleiter der Anti-Mobilfunk-Szene. Gefühlt drückt im Maschinenraum jeder zweiten Bürgerinitiative ein fleißiger Baubiologe oder Heilpraktiker die Knöpfe. In der Schweiz wird hingegen versucht, das Geschäft mit Messtechnik zu beleben. Und zwei Anti-Mobilfunk-Vereine mischen kräftig mit.
 
Das kleinere Übel: Gigaherz
Ein Beispiel für unverhohlene Schleichwerbung ist dieser Strang im Gigaherz-Forum. Die unregistrierte Teilnehmerin "Anabela" gibt sich nicht viel Mühe, ihren scheinheiligen Anzeigentext für den mMn maßlos überteuerten Elektrosmog-Detektor "Safe and Sound Pro II" zu kaschieren. Elisabeth Buchs (Forum-Admin) sperrt die Schleichwerbung jedoch nicht aus, nein, die gutgläubige "Elektrosensible" kommentiert das Werbeposting auch noch. Das ermuntert die technisch völlig unbedarfte Anabela zu noch mehr Werbung, diesmal für ein nutzloses Produkt der US-Firma Stetzer Electric. Stetzer dominiert in Nordamerika den von Elektrosmog-Phobikern geprägten "Filtermarkt" mit Tiefpassfiltern für Haushaltsstrom. Diese Filter sind für jeden, der nicht unter Elektrosmog-Phobie leidet, genauso verzichtbar wie die hierzulande so beliebt wie objektiv nutzlosen Netz-Freischalter.
 
Das größere Übel: Schutz vor Strahlung
Ist es bei Gigaherz mit Elisabeth Buchs ein Vorstandsmitglied des Vereins, das Schleichwerbung nicht sperrt, sondern fördert, fällt bei dem Verein Schutz vor Strahlung die Förderrolle der Präsidentin Rebekka Meier zu. Im Gegensatz zu Buchs ist Meier jedoch viel aktiver am Geschehen beteiligt. Die gelernte Uhrmacherin verbreitet seit Jahren systematisch und gratis irrationale Ängste gegenüber Elektrosmog (HF-EMF). Das ist die Saat. Die Ernte findet in Gestalt von kostenpflichtigen Tageskursen statt. Doch das ist nur ein Teil der Ernte, der andere Teil ist der Verkauf von "Messgeräten" an Teilnehmer des Kurses "Strahlung messen". Dazu bietet ein nicht näher benanntes Mitglied des Vereins Sammelbestellungen für zwei der "bewährtesten Messgeräte" an:
►  E-Smog-Spion 5G. von der Firma Endotronic (ohne Sonderzubehör) für Hoch- und Niederfrequenz, zum Preis von 480 CHF.
►  Spektrumanalysator tinySA Ultra+ ZS-407 mit Standard-Zubehör zum Preis von 140 CHF.
Der E-Smog-Spion ist ein altmodisch wirkendes, ebenfalls maßlos überteuertes Gerät, das auch von Deutschlands Parade-"Elektrosensiblen" fleißig beworben wird. Statt einer numerischen oder analogen Messwertanzeige hat es eine LED-Kette, wobei jeder LED ein Messwert zugeordnet ist. Der Pegelsprung von einer LED zur nächsten beträgt etwa 6.dB. Abhängig vom gemessenen Pegelwert leuchtet eine LED in der Kette auf. Diese unorthodoxe und aus der Zeit gefallene Messwertanzeige ist so ungenau, dass ich auf der Website des Herstellers keine Angaben zum Messfehler finden konnte, der gerne mit dem Euphemismus "Messgenauigkeit" verschleiert wird. Der unbestreitbare Vorteil des Geräts: Da es so gut wie nichts einzustellen gibt, kann man auch fast nichts falsch machen. Der E-Smog-Spion ist damit für alle geeignet, die von Elektromesstechnik keinen Schimmer haben, aber trotzdem irgendwas messen möchten. Doch dafür sind mMn 480 CHF (etwa 513 €) viel zu teuer, selbst 100 € halte ich für das Schätzeisen noch für unangemessen viel. In der Endotronic-Preisliste steht das Gerät derzeit mit 524 €, dieser Händler bietet es für 499 € zuzüglich Versandkosten an. Wenn der Verein Schutz vor Strahlung es für 480 CHF verhökert, dann ist das kein besonders günstiger Sonderpreis, vielmehr streicht das namenlose Vereinsmitglied die volle Händlermarge ein.
Besser sieht es bei dem überraschend günstigen Spektrumanalysator (tinySA Ultra+ ZS-407) aus, den der Verein für 140 CHF anbietet (etwa 150 €). Beim Händler für Europa ist das in den Niederlanden entwickelte Gerät derzeit für 169.€ (netto) zuzügl. Versand gelistet, sodass der Vereinspreis merklich günstiger ist. Allerdings warnt der Hersteller vor illegalen Raubkopien. Wer sparen möchte, nimmt die Version ZS-406, deren obere Grenzfrequenz nicht bei 8 GHz liegt, sondern bei 6 GHz, dafür ist der Preis beim autorisierten Händler für Europa mit 125 € aber ein Schnäppchen.
Die Dokumentation im www ist vorbildlich, es werden nicht nur die Stärken des kleinen Spektrumanalysators hervorgehoben, sondern auch seine Schwächen. Alles in allem habe ich bei diesem Gerät sehr viel weniger Bedenken als bei dem E-Smog-Spion. Mit einer Ausnahme: Mag der SA in den Händen eines versierten Messtechnikers brauchbare Resultate zeigen, habe ich große Zweifel, ob das Gerät in den Händen eines z.B. Metzgereifachverkäufers sinnstiftend ist. Denn nicht alles was der SA anzeigt ist auch real. Ein Fachmann erkennt solche Artefakte, ein Laie schlägt damit grundlos Alarm. So gesehen ist es von Rebekka Meier ein Stück verantwortungslos, Laien einen Spektrumanalysator zum verführerischen Spottpreis anzudrehen. Denn die Folgen von Fehlmessungen muss nicht sie ausbaden, das müssen kommunale, kantonale und Stellen des Bundes tun. Möglicherweise ist aber genau das der Hintergedanke der Kurse "Strahlung messen".
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –