Klaus & Claus: Senioren fabulieren gegen Mobilfunk (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 10.04.2025, 23:18 (vor 1 Tag, 22 Stunden, 17 Min.)

Vor 20 Jahren waren Klaus Buchner (heute 84) und Claus Scheingraber (77) bekannte Figuren der deutschen Anti-Mobilfunk-Szene. Dann wurde es still um die Senioren. Jetzt traten beide noch einmal ins Rampenlicht, Klaus im Februar 2025, Claus im April.

Klaus Buchner trat am 25. Februar 2025 unentgeltlich im Rudolf-Steiner-Haus, Hamburg, auf. Sein Vortrag titelte "Mobilfunk - Welche Risiken sind aus der aktuellen Forschung bekannt?" und dauerte ein knappes Stündchen. Buchners Parteifreunde in Hamburg hauten mächtig aufs Blech und ließen wissen: "Als promovierter Physiker und Dozent für Mathematik an der Technischen Universität München, bringt er eine wissenschaftlich objektive Sichtweise und tiefes Fachwissen in die Diskussion um die gesundheitlichen Gefahrenpotenziale von elektromagnetischer Strahlung." Diese Sichtweise kann ich nicht teilen, für mich ist Buchner ein Populist, der seine persönliche Meinung als Tatsachen verbreitet und dem der tatsächliche Stand des Wissens über das Risiko Mobilfunk ein ewiges Rätsel bleiben wird. So gesehen war der Veranstaltungsort eine ausgezeichnete Wahl, denn was Buchner seinem Publikum auftischte hat mit Wissenschaft mMn nichts zu tun, mit Anthroposophie hingegen viel.

Augenscheinlich verfing Buchners Panikmache bei den weniger hellen Kerzen unter seinen Zuhörern, erkennbar an Ausrufen des Schreckens, die vom Saalmikrofon ab Minute 2:25 mehrfach festgehalten wurden.

Claus Scheingraber trat am 8. April in München auf. Der Verein für "Elektrosensible" verkündete dies ziemlich schwammig so: "Herr Dr. Scheingraber vom Arbeitskreis Elektrobiologie e.V. hält einen Vortrag zum Thema "Welche Arten von physikalischen Feldern stellen für den Menschen eine gesundheitliche Belastung dar". Da der akademische Grad "Dr." äußerst vielsagend ist, erlaube ich mir zu präzisieren, dass Claus Scheingraber Zahnarzt war. Der Arbeitskreis, dem Scheingraber seit 1991 vorsteht, hat sich unter anderem der "Anerkennung von Elektrosensibilität" verschrieben, womit klar ist, warum der Verein für "Elektrosensible" Scheingrabers Vortrag bewirbt. Zweiter Vorstand des Arbeitskreises ist Herbert Tobischek, ein Musikwissenschaftler aus Essen.

Die Richtwerte, die sich der Arbeitskreis für auskömmlichen Elektrosmog ausgedacht hat, sind hier zu bestaunen. Wie durch ein Wunder stehen die Werte des Arbeitskreises im Einklang zu den Richtwerten der Baubiologie, die seit August 2024 in neunter Fassung vorliegen und faktisch gleichwertig sind.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Buchner: Bayer. Staatsregierung plant Psychiatrisierung von EHS

H. Lamarr @, München, Freitag, 11.04.2025, 21:33 (vor 1 Tag, 0 Stunden, 2 Min.) @ H. Lamarr

Klaus Buchner trat am 25. Februar 2025 unentgeltlich im Rudolf-Steiner-Haus, Hamburg, auf.

Und dort benötigte der Ex-Bundesvorsitzende der ÖDP keine fünf Minuten, um den versammelten Hamburger Anthroposophen die bayerische Staatsregierung als Fleischwerdung des Bösen zu präsentieren. Wir starten zur Minute 1:18 des oben verlinkten Videos:

[...] Wenn an irgendeiner Stelle eine Funkquelle neu entsteht, sei es ihr W-Lan zu Hause, ihr Schnurlostelefon oder der Sender gegenüber gleich vorm Fenster, dann merken die meisten nichts. Zum Glück. Es sind anfänglich weniger als fünf Prozent, das steigert sich dann im Laufe der Zeit, aber anfänglich ganz wenige Prozent nur, die Beschwerden haben. Die Beschwerden sind unspezifisch. Diese sind zum Beispiel Schlafstörungen, Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme, Kopfschmerzen, Nasenbluten und so weiter. Jetzt, wenn jemand sagt, da draußen ist der Funkmast, ich habe seit der Zeit Kopfschmerzen, dann wird der Arzt Probleme haben. Denn es gibt meines Wissens nach 2000 Ursachen für Kopfschmerzen. Wie soll er gerade das rausbringen? Und dann hat die bayerische Staatsregierung jetzt zum Beispiel noch veranlasst, dass eine Schrift entsteht, wie man mit Umweltkranken umgeht [Oh nein! Zwischenruf aus dem Publikum] und da steht drin, wenn jemand sagt, er ist durch Funkstrahlung gestört, dann soll man ihn in die psychiatrische Behandlung bringen [Nein! Das steht da drin? Zwischenrufe aus dem Publikum]. [Buchner weiter:] Es ist noch nicht veröffentlicht, das ist geplant. Ja, aber - äh - ich muss leider sagen ich kenne einige Fälle wo das passiert [Oh Gott! Zwischenruf]. Also die Leute dürfen sich im Allgemeinen keine große Hilfe erwarten. [...]

Kommentar: Selbstverständlich plant die bayerische Staatsregierung nicht die Psychiatrisierung von EHS. Klaus Buchner hat da, wie so oft, wahrscheinlich von fern etwas läuten gehört und aus wenigen lückenhaften Fakten, mit viel Fantasie und noch mehr Mitteilungsdrang die oben zitierte Story vom toten Pferd gedrechselt. Und aller Voraussicht nach weiß auch Buchner, dass an seiner Story bestenfalls ein Körnchen Wahrheit dran ist. Denn nachdem der verstörte Saal seine Worte unverhofft ernst genommen hat und nachfragte, beeilt sich Buchner zu versichern, dass die besagte Schrift noch nicht existiert, sondern geplant sei. Heißt im Klartext: Es gibt nichts zum Nachlesen. Mit solchen fadenscheinigen Ausflüchten rettet sich Buchner liebend gerne aus brenzligen Situationen und schickt seine Zuhörer ins unverbindliche Nichts, aus dem auf eine konkrete Frage noch nie eine substanzielle Antwort kam. Wahrscheinlich ist diese trostlose Unverbindlichkeit mit ein Grund dafür, dass sich anlässlich der jüngsten Bundestagswahl nur 0,2 Prozent der Wähler für die ÖDP erwärmen konnten.

Was Klaus Buchner sich sonst noch an Schnitzern in der Mobilfunkdebatte geleistet hat, könnte ein Buch füllen. Da es das Buch indes nie geben wird, hier einige leichter verdauliche Faktenchecks über wilde Behauptungen des ÖDP-Politikers.

Eine Schnellsuche im www hat keine Anhaltspunkte für die jüngste Behauptung Buchners ergeben. Im Gegenteil: Mit dem "IndikuS-Projekt" (2020 bis 2022) hat das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit eine interdisziplinäre Herangehensweise an umweltattribuierte Symptomkomplexe erarbeitet, zu denen auch EHS gehören. Antrieb für das Projekt war die Erkenntnis, dass die Versorgung dieser Patient*innen als nicht ausreichend empfunden wurde. Von "psychiatrischer Behandlung" ist in dem Projektbericht nichts zu finden. Nahtlos schlüssig ist dies für mich nicht. Denn wenn sich für die Symptome eines EHS partout keine körperlichen Ursachen finden lassen, ist mMn eine psychiatrische Behandlung der letzte Ausweg, bevor ein Betroffener als nicht therapierbar nachhause geschickt werden muss.

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