Prof. Adlkofers Kommentar: viele Worte ohne Substanz (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Montag, 09.03.2015, 23:55 (vor 3536 Tagen) @ H. Lamarr

Aus meiner Sicht hätte Prof. Adlkofer besser noch einmal über seinem Text geschlafen, dann gleich zu Anfang hat er da einen dicken Hund drin, der das verzerrte Verhältnis des Ex-Tabaklobbyisten zu freier Forschung schön auf den Punkt bringt.

Also, schaun mer mal ...

JBS Haldane, groß als Mensch und groß als Wissenschaftler, hat die Erfahrungen seines Lebens in einem Satz zusammengefasst: „The unexpected always happens“ (Das Unerwartete geschieht immer). Wie recht er hat, hat soeben Professor Alexander Lerchl von der privaten Jacobs University in Bremen unter Beweis gestellt. Er, der als Mitglied der Strahlenschutzkommission (SSK) dem Strahlenschutz zum Hohn jahrelang die Interessen von Industrie und Politik vertreten und dabei Wissenschaftler wie Lennart Hardell und mich, deren Forschungsergebnisse mit den seinigen nicht in Einklang zu bringen waren, als Datenfälscher beschimpft hat, veröffentlicht plötzlich eine Arbeit, die alles, was er bisher behauptet hat, ad absurdum führt.

So etwas könnte Ihnen nicht passieren, Herr Adlkofer, nicht wahr? Dass Sie unerwartet eine entwarnende Studie zu EMF-Risiken vorlegen, womöglich gar eine gescheiterte Wiener "Reflex"-Replikation. Aber: Warum eigentlich kann Ihnen das nicht passieren? Ist es nicht erste Aufgabe eines Wissenschaftlers, ergebnisoffen zu forschen, um, wenn es denn so ist, das, was er bisher erforscht hat, rigoros auf den Kopf zu stellen? Ja klar, selbstverständlich ist es unter regulären Bedingungen so. Dass Sie sich über diese Selbstverständlichkeit so verwundert zeigen, spricht Bände über Ihr Verständnis von Forschung, vielleicht auch über Ihre jahrzehntelangen Erfahrungen in der Tabakforschung. Zusatzbemerkung: Natürlich ist es ebenso Quatsch, Lerchl führe sich mit seiner Tillmann-Replikation selbst ad absurdum. Sie tun gerade so, als ob Wissenschaftler keine widersprüchlichen Ergebnisse finden dürften. Dabei ist doch gerade die Kontroverse Motor des Erkenntnisgewinns.

„Besondere Brisanz kommt neuerdings einer noch nicht publizierten, aber bei einem Workshop in Berlin im Mai 2008 vorgestellten Studie aus dem Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin in Hannover zu. In dieser Untersuchung wurde gezeigt, dass die UMTS-Strahlung bei Mäusen selbst zwar nur eine geringe gentoxische Wirkung im Sinne der Tumorinitiation besitzt, aber eine recht ausgeprägte epigenetische im Sinne der Tumorpromotion aufweist. Bei pränatal mit dem Kanzerogen N-Äthylnitrosoharnstoff (ENU) behandelten Mäusen verursachte die UMTS-Strahlung bei einer Intensität weit unterhalb des geltenden Grenzwertes eine signifikant über die Wirkung von N-Äthylnitroso-harnstoff hinausgehende Zunahme der Tumorrate in Leber und Lunge. Diese Wirkung trat ein, wenn die Strahlenexposition unmittelbar nach der Verabreichung von N-Äthylnitrosoharnstoff noch im Mutterleib einsetzte und nach der Geburt lebenslang fortgesetzt wurde. Die UMTS-Strahlung allein führte lediglich zur Entstehung präkanzeröser Herde in der Leber der Tiere“.

Also gut, Sie haben es schon 2008 gewusst, dass da etwas ganz Großes auf uns zukommt. Nur, mit Verlaub Herr Professor, Ihre Behauptung "... verursachte die UMTS-Strahlung bei einer Intensität weit unterhalb des geltenden Grenzwertes eine signifikante [...] Zunahme der Tumorrate ...", die ist falsch! Sie ist deshalb falsch, weil Mäuse keine Menschen sind und 4,8 W/m² für eine Maus eine SAR weit über Grenzwert bedeutet. Details dazu bitte hier nachlesen. Danke, dass Sie Ihren Fehler noch einmal selbst so deutlich herausgestellt haben.

Die Studie wurde zwar von Tillmann et al. 2010 publiziert [2], geriet aber trotz ihrer immensen wissenschaftlichen Bedeutung weitgehend in Vergessenheit.

Soso, Studien von immenser Bedeutung geraten also einfach mal so in Vergessenheit. Wie kommen Sie darauf? Machen wir doch mal einen kleinen Bummel durch einige wichtige Studien-Reviews. Die IARC hatte 2011 anlässlich ihrer 2B-Wertung die Tillmann-Studie sehr wohl auf dem Schirm, schauen Sie einfach mal in den IARC-Monograph 102 rein. Die Arbeitsgruppe fand damals ein Haar in der Suppe: "The Working Group noted that this experimental model had not been used previously in other studies of hazard identification, and its concordance with the human carcinogenic response is unknown." Hört sich nicht ganz so nach "immenser" Bedeutung an. Ein Jahr später hat auch das Norwegische Institut für öffentliche Gesundheit in seiner Review von 2012 die Tillmann-Studie nicht vergessen. Ich hoffe Sie können norwegisch. Und, ganz frisch hätte ich noch den Entwurf der WHO vom Dezember 2014 für ihren neuen EHC-Monograph. Auch dort ist die Tillmann-Studie berücksichtigt, die Experten dieser AG haben allerdings gleich zwei Haare in der Tillmann-Studiensuppe gefunden: Zum einen hatten die Versuchstiere eine anfangs unerkannte Helicobacter-Hepaticus-Infektion, was die Lebertumoren erklären könnte, zum andern wird eingewendet: "The lack of an ENU+sham exposure group makes it difficult to draw definitive conclusions on this study." Mit Ihrer Immense-Bedeutung-Einschätzung, Herr Adlkofer, die Sie vermutlich aus Ihrer falschen Grenzwertinterpretation abgeleitet haben, stehen Sie ganz alleine da. Und von "in Vergessenheit geraten" kann bezüglich Tillmann et al., 2010, ebenfalls keine Rede sein, das haben Sie frei erfunden. Wahrscheinlich findet sich die Tillmann-Studie noch in weiteren nationalen Reviews, schauen Sie doch selbst einmal.

Warum auch immer, es blieb Lerchl, dem lautstarken Prediger der Harmlosigkeit der Mobilfunkstrahlung, vorbehalten, den Fraunhofer-Versuch mit Mitteln des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) zu wiederholen. Offensichtlich waren die dabei erhaltenen Ergebnisse so eindeutig, dass sich angesichts der zahlreichen Mitwisser ihr Vertuschen von vornherein als unmöglich erwies. Lerchl, dem es bisher mittels abwegiger Versuchsplanung, manipulativer Eingriffe in den Versuchsablauf und willkürlicher Datenanalyse immer gelungen war, seine Ergebnisse den Wünschen seiner Auftraggeber anzupassen [3], blieb diesmal nichts anderes mehr übrig als die Flucht nach vorne anzutreten.

Wem die Sachargumente fehlen, der schreibt einen solchen Stuss zusammen. [Und weil sich Franz Adlkofer zudem im Rest seines Kommentars zu Lennart Hardell verirrt, der mit der Lerchl-Studie nicht das geringste zu tun hat, nutze ich die Gunst der Stunde, mich wieder um anderes als um inhaltsleere Kommentare zu kümmern.]

Werter Herr Adlkofer, ich habe viele schlechte Kommentare von Ihnen gelesen, schlecht wegen mangelhafter Faktenlage und ausufernder Polemik, doch ihr jüngster Kommentar ist mMn der schlechteste von allen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Argumentationsnotstand, Toxikologie, Signifikant, Kontroverse, Sachargumente


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