Erste Stadt trennt sich von ihrem Mobilfunk-Standortkonzept (Allgemein)
"Standortkonzepte" werden von "unabhängigen Standortplanern" gegen Honorar entworfen. Sie zeigen Standorte für Mobilfunk-Sendeanlagen, die aus Sicht des Planers optimal geeignet sind. Optimal bedeutet: Ein Mobilfunkbetreiber kann von so gefundenen Standorten seinen Versorgungsauftrag gut erfüllen, Anwohner eines Sendemasten können auf geringstmöglich Immission hoffen. Kritiker bemängeln an dieser vermeintlichen Win-Win-Situation, dass Gemeinden das Geld zum Fenster hinauswerfen, weil Mobilfunkbetreiber zum Nulltarif besser planen könnten als jeder unabhängige Standortplaner, der ohnehin auf Daten angewiesen ist, die er ausschließlich vom Betreiber des geplanten Standorts bekommt.
Kitzingen hat 2007 für gut 42'000 Euro so ein Standortkonzept für die Fläche der Großen Kreisstadt anfertigen lassen (PDF, 87 Seiten).
Jetzt, acht Jahre später, gibt die Stadt dieses Standortkonzept faktisch auf. In einer Sitzung des Verwaltungs- und Bauausschusses am 5. März 2015 heißt es, das Konzept sei nicht zielführend:
In den beiden Informationsveranstaltungen im Juni bzw. Juli 2014 in der Alten Synagoge zu Mobilfunkthemen haben sich die jeweiligen Referenten auf konkrete Nachfrage von Teilnehmern gegen die Aufstellung bzw. Fortschreibung solcher Konzepte ausgesprochen. Für eine Stadt in der Größenordnung wie Kitzingen und vor allem vor dem Hintergrund einer stets fortschreitenden technischen Entwicklung des Mobilfunks ist eine (längerfristige) Festlegung auf konkrete Mobilfunkstandorte nicht zielführend. Außerdem sind die Interessen und Belange der am Markt vertretenen Netzbetreiber den Gemeinden nicht bekannt. Eine einvernehmliche Abstimmung von Konzepten mit den Betreibern gestaltet sich häufig als schwierig. Viel mehr wird stattdessen eine gebiets- oder fallbezogene Betrachtung bei Standortfragen empfohlen. Hierzu hat der Gesetzgeber auch Förderprogramme aufgelegt, um z.B. durch Messungen günstige Standorte im Hinblick auf Immissionsminimierung oder zur Berücksichtigung städtebaulicher Belange zu ermitteln.
Meines Wissens ist dies das erste mal, dass sich eine Stadt öffentlich von ihrem Mobilfunk-Standortkonzept verabschiedet. "Die bisherigen Beschlüsse des Stadtrats [...] sind damit hinfällig", stellt das Dokument mit Blick auf die Mobilfunkbeschlüsse lakonisch fest.
Ein konkretes Beispiel zeigt, warum der Stadt das Standortkonzept keine Hilfe mehr ist. Etwa 250 m östlich des Gewerbegebietes Goldberg soll ein neuer laut Antrag 45 Meter hoher Sendemast errichtet werden. Grund: Ende des Jahres 2014 ist ein Vertrag ausgelaufen. Seitdem besteht ein erhebliches Versorgungsdefizit im östlichen Bereich des Stadtteils Siedlung und vor allem im Ortsteil Hoheim, der bislang über keine direkte Mobilfunkversorgung durch den Betreiber Vodafone (D2-Netz) verfügt.
"Die im Standortkonzept von 2007 enthaltenen Standortvorschläge für das Gewerbegebiet Goldberg eignen sich nicht", schreibt die Verwaltung von Kitzingen, "da einerseits ein Zugriff auf geeignete Grundstücke nicht möglich war und andererseits bestehende Gebäude nicht die baulichen Voraussetzungen für die Aufnahme eines (kleineren) Mobilfunksendemastes erfüllen."
Womit sich die 82 Seiten des 42'000 Euro teuren Standortkonzepts der Binsenweisheit geschlagen geben müssen, der zufolge Papier geduldig ist.
Trotz der objektiven Sinnfreiheit von Mobilfunk-Standortkonzepten werden Gemeinden landauf und landab nicht müde, solche Konzepte, nicht selten auf Drängen von organisierten Mobilfunkgegnern, zu bestellen. Auf diesem Weg hoffen Räte, sich Ruhe in ihrer Gemeinde zu erkaufen. Ein Trugschluss. Wie geschickt "unabhängige Standortplaner" vorgehen, um Aufträge für ihre wertlosen Gutachten zu ergattern, ist hier beschrieben. Und den kritischen technischen Blick auf ein Standortkonzept gibt es hier.
--
Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –