Phantomrisiken schleichen sich in Politik und Wirtschaft (Allgemein)
Im Januar 2002 schrieb Thomas Müller für die Basler Zeitung den Artikel Phantomrisiken schleichen sich in Politik und Wirtschaft. Hier Auszüge des Artikels, der, obwohl vor zwölf Jahren geschrieben, nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat:
- Überspitzt lässt sich unser schiefes Risikoempfinden mit dem Satz zusammenfassen "Raucher fürchten, am Arbeitsplatz von einem Flugzeug erschlagen zu werden".
- Während diese klassischen Risiken ereignisbedingt immer wieder Aufmerksamkeit erregen, hat sich in den letzten Jahren ein neuer Risikotyp in die politische und gesellschaftliche Diskussion geschlichen, der weniger klar zu greifen ist, aber immer mehr um sich greift das Phantomrisiko.
Erfunden wurde der Begriff Ende der 80er Jahre von einem Wissenschaftsjournalisten des amerikanischen Topjournals "Science", der damit die Überreaktion einer sicherheitsversessenen Gesellschaft auf potenziell denkbare Gesundheitsrisiken karikieren wollte. Gemeint waren Risiken, die immer wieder Medien und Öffentlichkeit beschäftigen, zu denen immer wieder Studien und Gegenstudien erscheinen, ohne dass eine Gefahr durch entsprechende "harte" Daten je gestützt werden konnte. Typische Vertreter von Phantomrisiken sind die Zahnfüllung Amalgam und der buchstäblich allgegenwärtige Elektrosmog, der sich durch die epidemieartige Verbreitung von Mobiltelefonen in den letzten Jahren noch verdichtet hat. Der Rückversicherer Swiss Re griff den Begriff 1996 in einer Broschüre über Elektrosmog auf und definierte neutral: "Phantomrisiken sind denkbare, jedoch nicht beweisbare Risiken."
- Bei Phantomrisiken nützen diese Erfahrungswerte nichts, weil von ihnen eben gerade nicht bekannt ist, ob sie eine reale Gefahr darstellen. Streng genommen sind Phantomrisiken somit nicht versicherbar, was aber nicht heisst, dass sie nichts kosten.
- Elektrosmog wie grüne Gentechnik zeigen, dass es bei Phantomrisiken nicht darauf ankommt, wie gross ein Risiko wirklich ist, sondern als wie gross es empfunden wird. Letztlich wird eine gesellschaftliche Befindlichkeit oder Ambivalenz gegenüber einer Technologie oder einem Umwelteinfluss damit ausgedrückt. Je grösser das Unbehagen, desto grösser wird das Phantomrisiko empfunden und umso drastischer fallen die Massnahmen aus, die dann ergriffen werden (müssen). Manchmal durchaus zu Recht, wie sich oft erst im Rückblick zeigt.
Zu Beginn der 90er Jahre war die Infektion von Menschen mit der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit via Rindfleisch-Konsum ein Phantomrisiko. Tierversuche deuteteten eher darauf hin, dass Rinderwahn auf Menschen nicht übertragbar ist. Dennoch wurden in der Schweiz schon früh Massnahmen ergriffen, die nicht nur die Tiere vor Rinderwahnsinn, sondern auch die Menschen vor Creutzfeldt-Jakob schützen sollten. Mit dem ersten Menschen, der 1996 an einer neuen Variante von Creutzfeld-Jakob erkrankte, verwandelte sich das Phantomrisiko schlagartig in ein reales Risiko. Bis heute sind über 100 Menschen an der neuen Creutzfeldt-Jakob-Variante gestorben. Niemand weiss, wie viele Menschen noch erkranken werden.
Es gibt auch den umgekehrten Fall: das Waldsterben der achtziger Jahre. Prognosen, dass der deutsche und Schweizer Wald grossflächig absterben würde, erwiesen sich zum Glück als falsch und das Risiko als Phantom. Sie leiteten aber eine Verschärfung der Luftreinhalte-Vorschriften ein, von der nicht nur die Bäume, sondern auch Menschen profitieren.
- Versicherungen sehen diese Entwicklungen mit einer gewissen Sorge. Aus ihrer Sicht findet eine schwer bis nicht kalkulierbare Entkopplung des Zusammenhangs von Ursache und Wirkung statt. Etwa indem Gerichte auf gesellschaftlichen Druck hin "beschliessen", in schwachen elektromagnetischen Strahlen eine Krankheitsursache zu sehen. Dann könnte es plötzlich Wirkungen (Krankheiten) ohne Ursachen geben, die aber dennoch eingeklagt werden können ("Mein Handy machte mich krank"). Damit würde eine "Vermutungshaftung" drohen, deren Grundlage nicht ein kalkulierbares technologisches Risiko darstellt, sondern ein unkalkulierbares gesellschaftliches "Änderungsrisiko".
gesamter Thread:
- Swiss Re sieht Mobilfunkstrahlung nur als Phantomrisiko -
H. Lamarr,
13.03.2014, 20:50
- Swiss Re sieht Mobilfunkstrahlung nur als Phantomrisiko -
RDW,
13.03.2014, 22:03
- Programmierte Denkfehler - H. Lamarr, 13.03.2014, 23:04
- Swiss Re sieht Mobilfunkstrahlung nur als Phantomrisiko -
charles,
13.03.2014, 22:30
- Milupa-Urteil vs. Mobilfunk-Risiko - H. Lamarr, 13.03.2014, 23:37
- Diagnose-Funk unterschlägt Smartphone-Risiko im Sonar-Report - H. Lamarr, 14.03.2014, 00:37
- Phantomrisiken schleichen sich in Politik und Wirtschaft - Gast, 15.03.2014, 23:54
- Das sind "Emerging Risks" -
Gast,
22.03.2014, 00:41
- Die Versicherbarkeit von Emerging Risks in der Haftpflicht - H. Lamarr, 23.03.2014, 19:33
- Ergebnisse der EMF-Forschung sind nicht entscheidend ... - H. Lamarr, 23.03.2014, 19:10
- Sind die Risiken der Gentechnik durch Versicherungen gedeckt? - H. Lamarr, 23.03.2014, 20:02
- Die plötzliche Kehrtwende des Rückversicherers Swiss-Re -
H. Lamarr,
23.03.2014, 20:52
- Jakobs Virenscanner sieht Wikipedia als gefährliche Website - H. Lamarr, 24.03.2014, 01:18
- Swiss-Re-Beitrag: Berichtigung der Schadensumme -
H. Lamarr,
26.03.2014, 22:43
- Swiss-Re-Beitrag: Münchener Blendwerk und Desinformation - H. Lamarr, 27.03.2014, 00:22
- Swiss-Re-Beitrag: Dr. C. Newman starb mit 47 - H. Lamarr, 27.03.2014, 01:25
- Ein "Beleg" von Diagnose-Funker Hensinger -
H. Lamarr,
13.04.2014, 02:57
- Ein "Beleg" von Diagnose-Funker Hensinger -
Lilith,
13.04.2014, 09:30
- Diagnose-Funk wechselt von Grün nach SÖS - H. Lamarr, 13.04.2014, 19:07
- Ein "Beleg" von Diagnose-Funker Hensinger -
Lilith,
13.04.2014, 09:30
- Missbrauch der Swiss-Re-Risikoeinstufung -
H. Lamarr,
24.06.2014, 11:26
- tele-fon.de besteht auf Falschmeldung über Swiss Re -
H. Lamarr,
06.07.2014, 19:37
- tele-fon.de: Falschmeldung über Swiss Re gelöscht - H. Lamarr, 30.08.2019, 22:22
- tele-fon.de besteht auf Falschmeldung über Swiss Re -
H. Lamarr,
06.07.2014, 19:37
- Swiss Re über Elektrosmog: Jetzt sind Spinner dran am Thema - H. Lamarr, 18.09.2014, 22:49
- Science Brunch 21: »EMF aus Versicherungssicht« - Gast, 16.10.2014, 00:25
- Diagnose-Funk versucht es 2019 abermals mit Swiss Re -
H. Lamarr,
30.08.2019, 23:01
- So funktionieren Internet-Gerüchte - KlaKla, 31.08.2019, 07:59
- Swiss Re sieht Mobilfunkstrahlung nur als Phantomrisiko -
RDW,
13.03.2014, 22:03