Strahlenangst in Herrischried - ein Erlebnisbericht (Allgemein)

Dorfreporter, Sonntag, 20.01.2013, 09:22 (vor 4314 Tagen)

16.1.2013, Herrischried: Der Sitzungssaal der Rotmooshalle war am Abend voll besetzt - 130 Besucher hatten sich zu einer Katastrophenveranstaltung besonderer Art eingefunden. "Heimlich", so der veranstaltende Verein "Lebenswerter Hochrhein" und ein Referent der lokalen katholischen Gemeinde, sei im Sommer ein TETRA-Sender in Probebetrieb gegangen. Bei Bürgern hätten sodann Gesundheitsstörungen eingesetzt - Schlafstörungen, Nasenbluten, Schmerzen, 
Depressionen. "Nur zufällig" habe man die TETRA-Strahlung festgestellt. Dabei habe doch das Landratsamt behauptet, der Sender werde erst ab März 2013 angeschaltet.

Bei technischen Einrichtungen ist es üblich, vor Inbetriebnahme einen Probebetrieb zu fahren. Was also nicht unbedingt eine "Heimlichkeit" gewesen sein muss, gerann in Herrischried zum Element in einer Verschwörungsstory, die bereits seit Monaten erzählt wird. Plötzlich erkrankende Bürger und ein Landesamt, das diese auch noch hinters Licht führt - Grund genug, das Alarmglöcklein zu läuten. Auch der Bürgermeister machte mit. Über das Amtsblatt wurden Fragebögen verteilt. Die luden ein, Krankheiten und Befindlichkeiten zu melden.

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Bild: Blick von außen in den Sitzungssaal

Herrischried hat 2.700 Einwohner. Deren 107 an der Zahl haben einen Fragebogen abgegeben. Eine Quote von 3-5% der Bürger, die im Verlauf eines halben Jahres in irgendeiner Weise erkranken, dürfte im Bereich statistischer Normalität liegen. Wahrscheinlich sogar darunter. Die Fragebogenaktion hätte demnach bloß Selbstverständliches erhoben.

TETRA - schuld am Ehestreit?

Dennoch, die Veranstalter des lokalen TETRA-Widerstandes fühlen sich ermutigt, den Kampf gegen TETRA aufzunehmen. Von besonderem Ehrgeiz ist dabei offenbar der kath. Gemeindereferent Reinhard Lang getrieben. Der Kirchenmann berichtete in der Rotmooshalle exklusiv über bisherige Ergebnisse aus der Fragebogenaktion: "Einschlafprobleme", "häufiges Aufwachen", "Gewichtszunahme" und "Nasenbluten" seien berichtet worden. Bei vielen habe sich eine verdächtige "Gereiztheit" eingestellt. So manche Ehescheidung könne man auch einmal in diesem Lichte betrachten. Und beim Arzt stünden in letzter Zeit viel mehr geparkte Autos als früher vor der Tür, so habe er beobachtet.

Im Angesicht dieser beängstigenden Entwicklungen sprachen an diesem Abend Kronzeugen der Mobilfunkgefahren vor: Der angeblich elektrosensible Funktechniker Uli Weiner und der Umweltmediziner Dr. Joachim Mutter. Beide gelten in der kleinen süddeutschen Mobilfunk-Alarmszene als Stars, weil sie mit ihren bekannt dramatisierenden Stellungnahmen für Aufmerksamkeit zu sorgen vermögen. Die Zwei lieferten denn auch ab, was sich örtliche Alarmschläger erhofft hatten: Vorgeblich fachliche, doch primär auf das Erzeugen von Stimmung zielende Vorträge - dabei oft respektlos hinwegschreitend über die Schmerzgrenzen zur Manipulation, zur Irreführung, auch zum Lächerlichen. Behördliche Vertreter und institutionelle Fachreferenten waren schon im Vorfeld vorsichtig auf Distanz gegangen.

Aktivist Ulrich Weiner tritt bei solchen Gelegenheiten als jungenhafter Sonnyboy auf. Als einer, der schon lange irgendwo im Wald "im Funkloch" leben müsse, immer auf der Flucht vor den Strahlen. Seinen Lebenszweck sieht er offenbar darin, den bösen Jungs von Telekom, Vodafone & Co. eine lange Nase zu drehen. Auch an diesem Abend sei er gezwungen, einen Strahlenschutzanzug zu tragen, behauptete er. Handys solle man bitte ausschalten. Zwei, drei seien noch an, das spüre er: da seien noch "ein iPhone", "ein Nokia" am Senden, orakelte er munter drauflos. Eine Zirkusnummer. Das Publikum schmunzelte.

Unter Zuhilfenahme einseitig selektierter Zeitungsschnipsel und alten Filmmaterials "widerlegte" Weiner die anderenorts als plausibel geltende Vermutung, dass es sich bei TETRA, einer in immer mehr Ländern eingesetzten Kommunikationstechnik, um ein nützliches digitales Kommunikationssystem handeln könnte. Viel besser sei da doch der alte Analogfunk. Der funktioniere nämlich immer, sogar wenn alle Funkmasten ausfielen, meinte er.

Manipulation

Weiners Vortragsrezept ist Kennern der Szene nicht neu. Populisten befolgen das gleiche Schema:

1. Man präsentiere dem Publikum einseitige Informationen über Anlaufschwierigkeiten einer neuen Technik;
2. man verdichte diese zu einer Skandalstory angeblicher behördlicher Dummheit und Willkür;
3. man ernte beim arglosen Auditorium die erwünschte Bürgerempörung.

Sodann präsentiere man verunsichernde Behauptungen über Erkrankungen in der Bevölkerung. Im Idealfall vorgetragen durch eine Person mit allseits akzeptierter moralischer Autorität. Dieser Part war dem geladenen Dr. Mutter vorbehalten.

"Mobilfunk und TETRA - Gesundheitsgefahr für Lebewesen?" lautete dessen Referatstitel. Mutter lieferte so viele vorgebliche "Fakten", dass es selbst einem Dutzend studierter Spezialisten unmöglich gewesen wäre, diese an einem solchen Abend zu widerlegen - nicht des Inhaltes, sondern der Fülle wegen. Mutter präsentierte zahlreiche fragwürdige und längst entkräftete Behauptungen. Das wirkte wie ein absurdes Sammelarchiv sämtlicher bisher von Extremgegnern vorgebrachten Anklagen wider den Mobilfunk.

In der Polemik gegen Mobilfunkbetreiber, Institutionen und Behörden ("die lügen wie gedruckt") fehlten relativierende Hinweise, die zu geben zwingend nötig ist, wenn man über wissenschaftliche Ergebnisse referiert. Zum Beispiel verschwieg der Referent, dass wissenschaftliche Untersuchungen an extrem bestrahlten Laborversuchstieren nicht notwendig ein relevantes Risiko für Menschen darstellen - denn im Gegensatz zu Labormäusen im Versuch werden Menschen durch Grenzwerte geschützt. Doch bereits die Tatsache, dass es Grenzwerte gibt, ist für Mobilfunkgegner nicht etwa beruhigend, sondern bietet ihnen erst recht Anlass zum Verdacht und zum Verdächtigen: Die Grenzwerte seien nämlich ohnehin "zu hoch", so auch Mutters Immunitätsstrategie gegen etwaige Zweifel an seinen Darstellungen.


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Bild: Dr. Mutter beantwortet Fragen

Folgt man den Schilderungen der beiden Vortragsreisenden, dann wären Politik, Behörden und Industrie wissentlich und konsequent damit befasst, der Bevölkerung gesundheitliche Schäden zuzufügen. Erfahrene Referenten wie Weiner und Mutter sprechen diese ungeheuerliche Behauptung nicht direkt aus - sie entsteht vielmehr zwangsläufig im Kopf solcher Zuhörer, die sich ungeschützt (weil nicht ausreichend informiert) und arglos (weil nicht vorgewarnt) derartig manipulativer Indoktrination aussetzen.

Das eigene Heim als Gefahrenzone

Das Publikum blieb ratlos und verunsichert zurück. Eine junge Frau fragte besorgt nach, was man denn gegen die Funkstrahlung überhaupt noch tun könne. Man müsse "erstmal zuhause anfangen", befand Experte Weiner. Also dort alles hinausräumen, das strahlt - Funkwecker, schnurlose Telefone, Mikrowellenherd, usw. Nicht nur der Hotzenwald und Herrischried, sondern auch das moderne Heim mit all seinen Annehmlichkeiten ist in der Logik der Alarmkritiker Gefahrenzone.

Die abstruse Behauptung, Herrischried sei mit seiner neuen Behördenantenne über Nacht zum unsicheren Ort geworden, hinterließ aber auch Zweifel. Von den früheren Proteststürmen bei derartigen Veranstaltungen war an diesem Abend nichts zu bemerken. So mancher Besucher blickte skeptisch drein. Die Methode des Überschüttens der Zuhörer mit selektierten Informationen zum Zwecke des Stimmungsschürens ist nicht jedermanns Sache. Es hat etwas Respektloses, so mit seinen geladenen Zuhörern umzugehen.

Ob es wohl einem eifrigen Gemeindereferenten und zwei Reisenden in Sachen Extremkritik gelingen wird, den Herrischriederern ihren Lebensraum, und den Touristen einen schönen Erholungsort schlechtzureden? Wohl nicht. Nach den ersten Aufregungen, das zeigen Erfahrungen aus anderen Kommunen, dürften auch im schönen Herrischried irgendwann wieder Ruhe und Zufriedenheit einkehren.


Berichte zur Veranstaltung im Netz auch hier und hier.

[Foto hinzugefügt 18:40 Uhr]

Tags:
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