"Elektrosensibilität" ist immer real (II) (Elektrosensibilität)

Gast, Donnerstag, 25.09.2025, 16:57 (vor 21 Tagen) @ Gast

Es ist leicht zu verstehen, dass Personen mit EHS chronisch gestresst sind, während sie sehen, wie ihr Leben allmählich zerfällt, was sich offensichtlich in vielen objektiven physiologischen Veränderungen zeigen kann. So wird chronischer Stress beispielsweise mit oxidativem Stress, Immunveränderungen und Neuroinflammation in Verbindung gebracht (Bottaccioli et al., 2019). Diese Auswirkungen sind dann aber das Ergebnis des Gesundheitszustands und nicht die Ursache. Bisher wurde in keiner Studie geprüft und nachgewiesen, dass objektiv pathophysiologische Veränderungen die EHS-Symptome vermitteln. Es wird einfach davon ausgegangen, dass pathophysiologische Veränderungen bei Personen mit EHS die Ursache der Symptome sein müssen, wenn sie vorhanden sind. Alles in allem scheint es, dass die Behauptung, Biomarker identifiziert zu haben, weitgehend übertrieben ist und die Bedeutung der beobachteten "objektive pathophysiologischen Veränderungen" falsch interpretiert wird.

Gretchenfragen bleiben unbeantwortet

Ein weiteres Problem ist, dass die Autoren es versäumt haben, klar zwischen zwei wichtigen Fragen zu unterscheiden: (1) ob EMF biologische Veränderungen und potenzielle Schäden bei einigen Personen verursachen können; (2) ob die selbstberichteten Symptome von Personen mit EHS auf die tatsächliche Befeldung mit EMF zurückzuführen sind. Diese beiden Fragen werden in dem Papier miteinander vermischt, und die Autoren scheinen Beweise für die Beantwortung der ersten Frage als Beweise für die Beantwortung der zweiten Frage zu betrachten. Offensichtlich ist die Beantwortung der ersten Frage (eine Frage der öffentlichen Gesundheit) komplex und schwierig, insbesondere wenn die Auswirkungen gering sind und mit einer Vielzahl von Merkmalen der Expositionsquelle, Expositionsbedingungen und individuellen Unterschieden zusammenhängen. Sie erfordert Tierversuche im Labor, translationale Studien und groß angelegte prospektive epidemiologische Studien. Bislang können wir nicht zuverlässig sagen, dass EMF harmlos sind (ganz zu schweigen davon, dass es logisch unmöglich ist, zu beweisen, dass EMF oder irgendeine andere Exposition keine Auswirkungen hat), und weitere systematische und fundierte Forschung wird über Jahre hinweg erforderlich sein, um zu einer soliden Beweislage zu gelangen. Die von den Autoren untersuchten Beweise für mögliche Schäden durch EMF-Exposition sind jedoch für die Beantwortung der zweiten Frage irrelevant: Wenn eine Person über körperliche Symptome berichtet, die in Gegenwart von EMF auftreten, ist die entscheidende Frage, ob EMF der kausale Faktor sind. Deshalb sind kontrollierte Provokationsstudien so wichtig. Wie oben beschrieben, zeigen die vorhandenen empirischen Belege, dass die tatsächliche Anwesenheit von EMF für das Auftreten von Symptomen nicht entscheidend ist, während die wahrgenommene Exposition eine wichtigere Rolle zu spielen scheint.

Spielen mit weltweite EHS- und MCS-Epidemien

Schließlich ist die abschließende, aber ungerechtfertigte Behauptung der Autoren an sich potenziell schädlich, die Symptome von EHS würden aufgrund physiologischer Anomalien durch EMF verursacht. Insbesondere die Warnung vor "aufkommenden und wachsenden weltweiten EHS- und MCS-Epidemien" und die Aufforderung an die Gesundheitsbehörden, "die EMF-Exposition zu verringern" (S. 11), ist in mindestens dreierlei Hinsicht problematisch. Erstens gibt es aus epidemiologischer Sicht einfach keine empirischen Beweise für die sensationslüsterne Behauptung, die Anzahl der von EHS oder MCS betroffenen Menschen würde dramatisch ansteigt. Aktuellen Studien zufolge sind die Prävalenzraten sogar eher rückläufig (Huang et al., 2018a). Zweitens kann das Inaussichtstellen von Epidemien in Ermangelung von Beweisen schädlich sein, da es Nocebo-Effekte fördert. Lesen beispielsweise Personen mit MCS Webseiten, auf denen das allgegenwärtige Vorhandensein schädlicher Chemikalien betont wird, führt dies vermehrt zu Symptomberichten als Reaktion auf harmlose Chemikalien (Winters et al., 2003). Außerdem wurde gezeigt, dass die Symptomprävalenz mit den Mustern der Medienberichterstattung und der anschließenden Risikowahrnehmung kovariiert (Chapman et al., 2013; Huang et al., 2018b). Drittens, wenn Nocebo- und falsche Attributionsprozesse die Hauptursache für die Symptome sind, wird der Ratschlag, die EMF-Quellen so weit wie möglich zu reduzieren und/oder zu vermeiden, das Problem tatsächlich verstärken.

Schlussfolgerung

Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) wurde als vielversprechende Behandlung für EHS vorgeschlagen (Rubin et al., 2006; Van den Bergh et al., 2020). Der Schutz vor EMF steht jedoch im Widerspruch zu den Zielen der KVT, die eine fortschreitende Auseinandersetzung mit den Symptomen und ihren angeblichen Ursachen fordert. Wir raten den Autoren daher dringend, bei weiteren Kommentaren zu EHS die gesamte wissenschaftliche Evidenz anzuerkennen.


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