Strafrecht schützt Dumme und Schwache, nicht aber Faule (Allgemein)
Die Täuschung des Opfers muss arglistig sein. Mit dieser zusätzlichen Hürde wollen die Schweizer verhindern, dass Denkfaule, die leichtfertig auf jede hanebüchene Versprechung hereinfallen, den Schutz des Strafrechts unverdient genießen.
Das Schweizerische Bundesgericht formulierte dies 2006 so:
[...] Wer allzu leichtgläubig auf eine Lüge hereinfällt, wo er sich mit einem Mindestmass an Aufmerksamkeit durch die Überprüfung der falschen Angaben selbst hätte schützen können, soll nicht den Strafrichter anrufen. Einen Freibrief, auf die Gutgläubigkeit und Unvorsichtigkeit des Gegners zu spekulieren, gibt diese Rechtsprechung nicht.
An dieser Rechtsprechung hat das Bundesgericht seither festgehalten. Der Opfermitverantwortung kommt zwar wesentliche Bedeutung zu. Mögliche Opfer sollen nämlich in kriminalpolitischer Zielsetzung dazu angehalten werden, ein Minimum an Vorsicht walten zu lassen. Dies darf aber nicht dazu führen, die Arglist einer Täuschung leichthin zu verneinen. Es ist nicht vorausgesetzt, dass das Täuschungsopfer die grösstmögliche Sorgfalt walten lässt und alle erdenklichen Vorkehren trifft. Arglist scheidet lediglich aus, wenn das Opfer die grundlegendsten Vorsichtsmassnahmen nicht beachtet hat. Bei dieser Beurteilung ist nicht in rein objektiver Betrachtungsweise darauf abzustellen, wie ein durchschnittlich vorsichtiger und erfahrener Dritter auf die Täuschung reagiert hätte. Vielmehr ist die jeweilige Lage und Schutzbedürftigkeit des Betroffenen im Einzelfall zu berücksichtigen, soweit der Täter diese kennt und ausnützt.
Eine Bejahung der Opferverantwortung führt zur Verneinung der Arglist und damit zum Ausschluss der Strafbarkeit des Täuschenden. Damit wird dem Getäuschten die Verantwortung zugeschoben, weil er die zumutbaren elementaren Vorsichtsmassnahmen nicht getroffen hat. Diese Rechtsfolge kann nur in Ausnahmefällen eintreten. Das Strafrecht schützt alle Menschen und darf auch "Dumme und Schwache" nicht schutzlos lassen. Nach der erwähnten Rechtsprechung kann es nicht in Betracht fallen, diese Menschen der Gefahr auszusetzen, von skrupellosen Geschäftemachern straflos hereingelegt zu werden. Wie das Bundesgericht ausführte, wäre es eine sonderbare Rechtsordnung, wenn sie gerade diejenigen, die infolge verminderter Geistesgaben in vermehrtem Masse der Gefahr ausgesetzt sind, sich zu irren, nicht strafrechtlich gegen betrügerische Hervorrufung und Ausnützung von Irrtümern schützen würde. Der Richter hat deshalb auch die Schutzbedürftigkeit des Getäuschten zu erörtern.
Entsprechend hat das Bundesgericht Arglist bejaht, weil das Opfer geistig beeinträchtigt war, obwohl die Täuschung für einen verständigen Dritten offensichtlich gewesen wäre, oder weil der Täter eine in der Opfersituation begründete Unterlegenheit hemmungslos ausgenützt hatte. Der Gesichtspunkt der Opfermitverantwortung kann nur dort zur Verneinung der Arglist führen, wo eine derartige Unterlegenheit des Opfers nicht besteht, wie dies bei einer Bank der Fall war, die grundlegendste Sorgfaltsmassnahmen missachtet hatte. Damit wurde der besonderen Fachkenntnis und Geschäftserfahrung, wie sie im Rahmen von Kreditvergaben Banken beigemessen wird, Rechnung getragen. Hingegen wurde die Arglist im Falle eines Beteiligten des von Deutschland aus gelenkten European Kings Club bejaht, der in der Schweiz so genannte "Letters" (Anteilscheine) vertrieben und den Käufern eine Rendite von 71 % garantiert sowie eine hundertprozentige Sicherheit von Anlage und Rendite versprochen hatte. Dabei hielt das Bundesgericht fest, das Strafrecht schütze auch unerfahrene, vertrauensselige oder von Gewinnaussichten motivierte Personen vor betrügerischen Machenschaften. Unter Hinweis auf diese Rechtsprechung führte das Bundesgericht in einem weiteren Fall, in dem Privatpersonen ohne besondere Fachkenntnis und Geschäftserfahrung Geldbeträge angelegt hatten, aus, es möge zutreffen, dass die Opfer leichtgläubig auf die grosssprecherischen Angaben im Prospekt vertraut hätten und sich von den überzogenen Gewinnmargen hätten blenden lassen. Doch könne dies angesichts der ausgeklügelten Vorgehensweise nicht dazu führen, dass ihnen der strafrechtliche Schutz versagt werde. Der Gedanke der Opfermitverantwortung habe nicht in jedem Fall, in welchem sich das Handeln der Opfer durch ein erhebliches Mass an Naivität auszeichne, zur Folge, dass der Täter straflos ausgehe. [...]
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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- Warum die Schweiz Betrüger anzieht wie das Licht die Motten -
H. Lamarr,
13.11.2016, 00:34
- Strafrecht schützt Dumme und Schwache, nicht aber Faule - H. Lamarr, 13.11.2016, 01:26