Burnout - belastbare Fakten, statt Pseudowissenschaftliches (Allgemein)
Wenn sich ein Anti-Mobilfunk-Verein wie die sogenannte Komptenzinitiative (KO-Ini) mit einem sogenannten Forschungsbericht um das Krankheitsbild "Burnout" kümmert, dann ist Gefahr im Verzug - nämlich Desinformation der Bevölkerung mit pseudowissenschaftlichem Gesülze.
Eine spezielle Präsentation (DAK-Gesundheitsreport - Schwerpunkt psychische Erkrankungen) der Deutschen Angestelltenkrankenkasse stellt der KO-Ini seit Ende Februar 2013 Zahlen entgegen, die die Behauptung vom Burnout wegen Funkwelleneinwirkung als das zeigen, was sie ist: eine Blödelei. Für den 134 Seiten starken Gesundheitsreport haben die Statistiker des Berliner IGES-Instituts die Daten von 370 000 berufstätigen DAK-versicherten im Freistaat Bayern verarbeitet.
In der öffentlichen Wahrnehmung gewinnt vor allem das Burnout-Syndrom immer mehr an Bedeutung. Die Statistiker können dieses kollektive Gefühl indes nicht bestätigen. Im vergangenen Jahr haben die Ärzte in Bayern nur bei jedem 780. Mann und bei jeder 440. Frau ein Burnout-Syndrom diagnostiziert. Dagegen wurde in den Attesten acht Mal so häufig eine Depression als Grund für die Arbeitsunfähigkeit notiert.
Die erhellende Präsentation des DAK-Schwerpunktberichts zu den psychischen Erkrankungen steht hier zum Download bereit (PDF, 33 Seiten). Die Zusammenfassung daraus lautet (AU = Arbeitsunfähigkeit):
- Psychische Erkrankungen als Ursache für Arbeitsunfähigkeit nehmen seit etwa 15 Jahren kontinuierlich zu.
- Das AU-Geschehen wegen psychischer Diagnosen wird von wenigen Einzeldiagnosen bestritten: Depressionen, Anpassungsstörungen, Neurotische Störungen und somatoforme Störungen. Die herausragende Zunahme ist bei der Anpassungsstörung (F43) zu verzeichnen.
- Der Burnout spielt im AU-Geschehen insgesamt eine untergeordnete Rolle. Experten und Ärzte gehen zu dem Begriff eher auf Distanz. Die entsprechende Symptomatik wird vermutlich unter F43 (Anpassungsstörung) dokumentiert.
- Entgegen der aktuellen Debatte sind Entwicklungen in der modernen Arbeitswelt bei Weitem nicht der einzige Grund für die Zunahme der Fehltage mit psychischer Ursache.
- Ein ebenso gewichtiger Grund ist die Sensibilisierung bei Hausärzten und Patienten. Psychische Probleme werden häufiger angesprochen, häufiger als früher als krankheitswertig betrachtet, was häufiger als früher zu entsprechend dokumentierten Krankschreibungen führt.
- Eine spürbare Entstigmatisierung von Psychischen Erkrankungen als Arbeitsunfähigkeitsursache konnte nicht nachgewiesen werden.
- Nur eine Minderheit der Arbeitnehmer wird regelmäßig außerhalb der Arbeitszeit von Kollegen und Vorgesetzten angerufen. Der Normalfall ist immer noch: Arbeitnehmer
lesen nach Feierabend nicht ihre dienstlichen E-Mails und werden nur in Ausnahmefällen außerhalb der Arbeitszeit von Kollegen und Vorgesetzten angerufen.
- Allerdings gilt auch: Schon ein mittleres 'Ausmaß' an Erreichbarkeit ist mit einem höheren Risiko verbunden, wegen einer Psychischen Erkrankung krankgeschrieben zu werden.
- Insgesamt hat sich seit 2000 eine Verschiebung im Diagnosespektrum der Arbeitsunfähigkeit ergeben – weg von einigen somatischen Erkrankungen wie Atemwegsinfektionen oder Kreislauferkrankungen hin zu unspezifischen Symptomen und Psychischen Erkrankungen.
Kommentar: wenn es stimmt, dass sich ab 2000 die psychischen Erkrankungen hin zu "unspezifischen Symptomen" entwickelt haben, dann fällt mir dazu Frau Doktor Waldmann-Selsam und ihr "Mobilfunksyndrom" ein. Die Bürgerwelle kam ab etwa 2000 in die Gänge und versorgte die Bevölkerung mit Symptomlisten, alles was unspezifisch krank macht hatte plötzlich nur noch die eine Ursache: Funk (nicht Werner aus Oberammergau, sondern Mobil). Der Physiker V. Schorpp war dann der erste, der 2004/2005 aus diesen Listen einen Katalog machte und das IZgMF war so blöd, daran auch noch mitzuwirken. Alsbald schuf Frau W-S anhand dieses Kataloges den Mythos Mobilfunksyndrom, der sich in einschlägigen Kreisen bis heute gegen Konkurrenz wie das Sick-Building-Syndrom behaupten konnte.
Allerdings stellt sich jetzt die Frage, wie schon bei Henne und Ei: Wer war zuerst da? Gut möglich mMn, dass die von den Medien aufgegriffene Desinformation durch die Anti-Mobilfunk-Vereine im Laufe von zehn Jahren zu dem geführt hat, was die DAK rückblickend jetzt feststellt. Organisierte Mobilfunkgegner sind mangels dürrer Faktenlage schon immer auf Trittbrettfahrten bei anderen angewiesen gewesen. Die Kunst dieser Leute besteht darin, in vorhandene gesellschaftliche Störgrößen im Nachhinein die gewünschten Zusammenhänge hinein zu interpretieren. Da dies banal ist und ohne Substanz, sind diese Zuordnungen mMn nichts weiter als Verschwörungstheorien unter falscher Flagge.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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H. Lamarr,
10.04.2013, 14:52
- Harvard-Studie: Nachmittagsschlaf hilft gegen Burnout - Gast, 06.04.2017, 22:51