Jörn Gutbier scheitert als Impfpflichtgegner (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 21.12.2021, 23:27 (vor 964 Tagen)

Er berät Politiker, ob sie wollen oder nicht: Der erste Vorsitzende von Diagnose-Funk gab kürzlich dem Kreistag des Landkreises Böblingen den Befehl, eine geplante Resolution des Gremiums zugunsten einer allgemeinen Impfpflicht abzulehnen. Der 84 Sitze zählende Kreistag aber gab sich widerspenstig und stimmte am 20. Dezember 2021 mit sehr großer Mehrheit bei nur fünf Gegenstimmen (sowie fünf Enthaltungen) für die sofortige Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Was war da los?

Gutbier wandte sich am 18. Dezember 2021 mit einem Leserbrief in der Lokalzeitung "Herrenberger Gäubote" an die Kreisräte. Anlass war ein Antrag von Landrat Roland Bernhard, der Kreisrat möge eine allgemeine Impfpflicht beschließen. Der Diagnose-Funker erkennt darin einen "faktischen Angriff auf unsere Grundwerte einer freien Gesellschaft sowie auf das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit". Weiter ist er der Ansicht: "Ich halte es für eine sehr gefährliche gesellschaftspolitische Überreaktion im Blick auf wieder vollere Intensivstationen, zugespitzt, weil das Personal fehlt, welches nicht gehalten und/oder zusätzlich aufgebaut wurde. Eine Überreaktion, weil die Bundes- und Landespolitiker durch die sie beratenden Fachleute einseitig auf das Impfen als einzigen Weg aus der Krise fokussiert sind und mit dieser Strategie die Zustände in den Krankenhäusern erneut an die Wand gefahren haben."

Meinetwegen, in einem Rechtsstaat darf man eine derartige Meinung unbehelligt öffentlich äußern, auch wenn sie unbelegte Behauptungen enthält. Und eine lautstarke Minderheit macht von diesem Recht bekanntlich auch ausgiebig Gebrauch (Beispiel). Später aber wird Gutbier in seinem Leserbrief konkreter und versteigt sich selbstgewiss auf dieselbe Weise, wie wir es aus seinen Darbietungen zum "Risiko Mobilfunk" kennen. So behauptet er:

[...] Die Ansteckung frühzeitig zu behandeln, wurde wohl beispielsweise in Indien erfolgreich umgesetzt. Unabhängige Wissenschaftler wie die der FLCCC argumentieren, dass es dafür sichere hochwirksame Medikamente gibt. Dass hier zum Beispiel das weithin bekannte Medikament Ivermectin von der FDA, WHO und EMA nicht zur Behandlung von Infizierten empfohlen wird, halte ich für einen Skandal ungeheuren Ausmaßes. Nachvollziehbar wird dies nur, wenn man weiß, dass dieses Mittel nur Centbeträge kostet. [...]

Gutbier konnte nicht wissen, dass Spaßvogel Dieter Nuhr heute in seinem Jahresrückblick einen ersten Hinweis auf den Holzweg geben würde, auf dem Gutbier mit seinem Votum für Ivermectin wandelt. Gemäß Nuhr [ab min. 30:30] ist das Medikament nicht für Menschen gedacht, sondern ein Entwurmungsmittel für Pferde. In Österreich sei es dennoch ausverkauft.

Wer es ernsthafter wissen möchte: Das RKI listet das Mittel in dieser Therapieempfehlung vom 26. November 2021 unter den Substanzen ohne nachgewiesenen Nutzen in der Behandlung von Covid-19. Die Bewertung des RKI lautet:

► Niedriger Evidenzgrad wg. zahlreicher methodischer Limitationen der bisherigen Studien.
► Einsatz zur Therapie oder Prophylaxe nur im Rahmen von kontrollierten klinischen Studien.
► Risiko der schwerwiegenden Toxizität bei unkontrollierter Anwendung.

Mögliche Nebenwirkungen sind: Fieber, Pruritus, Hautödem, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Erbrechen/Übelkeit, Transaminasenerhöhung, asthmatische Anfälle.
Kontraindikation: strenge Indikationsstellung in der Schwangerschaft (im Tierversuch Hinweise auf embryotoxische und teratogene Wirkung).

Wem das noch nicht genügt, hier die Stellungnahme der WHO zu Ivermectin. Auch Wikipedia (englisch) weiß nicht allzuviel über das Medikament zu berichten, was die Euphorie von Gutbier stützen könnte. Ebenfalls nachzulesen in Wikipedia, diesmal aber auf deutsch, ist die Widerlegung von Gutbiers Ausflug nach Indien: "In Indien wurde die im April 2021 herausgegebene Empfehlung, Ivermectin bei mild verlaufenden oder asymptomatischen Fällen kurzfristig einzunehmen,[56] im Juni desselben Jahres wieder zurückgezogen.[57]"

Bei dieser Faktenlage wundert es dann einen schon nicht mehr, dass die von Gutbier ins Spiel gebrachte FLCCC ein Spendensammelverein ist, dessen Mitbegründer Pierre Kory Ivermectin als ein Wundermittel gegen Covid-19 pries.

Bei dieser Faktenlage wundert es weiterhin nicht, dass der Kreistag dem Befehl von Gutbier keine Folge leisten wollte. Befehl schreibe ich, weil der Architekt sich zum Schluss seines Leserbriefes tatsächlich im kategorischen Imperativ an die Kreisräte wendet und diese auffordert:

Der Antrag des Landrats ist abzulehnen.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Leserbrief, Gutbier, Aufmerksamkeit, Impfgegner, Covid-19, Hochmut, FLCCC, Ivermectin


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