14,6 W/m²: Mörderische HF-EMF-Immissionen in Indien (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 07.07.2024, 21:42 (vor 35 Tagen)

Die Autoren einer Fall-Kontrollstudie in Indien wollen in der Stadt Amritsar HF-EMF-Immissionswerte einer Mobilfunk-Basisstation gemessen haben, dass einem die Spucke wegbleibt. Zum Zeitpunkt der Messungen (2007 bis 2009) galten in Indien noch die Icnirp-Grenzwerte von 4,5 W/m² (900 MHz) und 9,2 W/m² (1800 MHz). 2012 wurden die Grenzwerte unter dem Eindruck der Iarc-2B-Bewertung des Krebsrisikos auf 1/10 der ursprünglichen Werte gesenkt.

Die Studie erschien 2014 online in dem Fachblatt Electromagnetic Biology and Medicine unter dem Titel "A cross-sectional case control study on genetic damage in individuals residing in the vicinity of a mobile phone base station". Im EMF-Portal ist sie hier zu finden.

Der fragliche Funkmast wurde 1998 vom Netzbetreiber Airtel im Kabir-Park gegenüber der Guru-Nanak-Dev-Universität errichtet und mit acht Richt- und elf Sektorantennen bestückt, die eine 360°-Netzabdeckung gewährleisten. Der 15-m-Mast wurde auf das Dach eines fünf Meter hohen Wohnhauses gestellt. Das Dach war für zwölf Jahre an Airtel vermietet worden, die Hauseigentümer wohnten im Erdgeschoss. An das Wohnhaus grenzt auf einer Seite eine Straße, während sich auf allen anderen Seiten Wohnhäuser befinden. Gemäß den indischen Richtlinien für die Aufstellung von Mobilfunkbasisstationen sollte die Installationshöhe 20-30 m betragen. Der Funkmast sollte sich nicht in der Nähe von Schulen oder Krankenhäusern befinden und zu benachbarten Häusern sollte ein Mindestabstand von fünf Metern eingehalten werden, insbesondere in der Hauptstrahlrichtung (HSR) der Antennen.

Unten nun die HF-EMF-Immissionen, welche die Autoren gemäß ihrer Publikation in den Wohnungen der Fallgruppe gemessen haben (Mittelwert ± Standardabweichung):

[...] In respect of RF, the power density measurements at the sampling sites (n ¼ 63) near the base station ranged from 7.6 W/m² – 14.59 W/m² (average 11.49 ± 0.17 W/m²) [...] The highest power density values (Table 2) were at a distance of 50–100 m (12.21 ± 0.32 W/m²) followed by those at 151–200 m (11.01 ± 0.42 W/m²), 201–250 m (10.60 ± 0.39 W/m²) and with least at 251–300 m (10.41 ± 0.22 W/m²) indicating that as the distance from mobile phone base station increased, the power density decreased. [...]

Aus meiner mitteleuropäischen Sicht sind alle Messwerte um den Faktor 1000 zu hoch, erst mit der Einheit mW/m² statt W/m² wären die Werte plausibel. Doch weder bei PubMed noch beim EMF-Portal gibt es einen Korrekturvermerk und mit nur fünf Meter Abstand mitten in der HSR kann es schon ungemütlich werden. Offensichtlich sind den Autoren die teils erheblichen Überschreitungen der Grenzwerte auch völlig klar gewesen, im Volltext ihrer Studie bleibt es jedoch bei der nüchternen Feststellung dieser Tatsache. Von der Einleitung irgendwelcher Sanktionen gegen den Betreiber des fraglichen Funkmastes schreiben sie nichts. Als ob es sich dabei um ein Bagatellvergehen handelte. Möglicherweise liegt diese großzügige Gelassenheit an kulturellen Besonderheiten Indiens gegenüber Mitteleuropa, wo schon geringste Grenzwertverletzungen zu einem Aufschrei samt Pressemitteilung führen.

Unter der Annahme, dass die publizierten Messwerte nicht fehlerhaft sind, kann man die Grenzwertsenkung in Indien auf 1/10 der Icnirp-Werte nunmehr als pfiffige Nothilfemaßnahme der Behörden sehen. Denn, wenn Mobilfunknetzbetreiber in Indien Grenzwerte als unverbindliche Empfehlung betrachten und munter überschreiten, werden seit 2012 in Indien die (insgeheim weiter gültigen) Icnip-Grenzwerte mutmaßlich weniger drastisch überschritten oder sogar eingehalten :-).

--
Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

RSS-Feed dieser Diskussion

powered by my little forum