Füssen im Allgäu: Ein 5G-Moratorium schwebt in der Luft (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 23.10.2024, 21:14 (vor 2 Tagen)

Gestern stand Füssen im Allgäu am Abgrund. Denn der Umweltbeirat der Stadt hatte den Stadträten anlässlich ihrer Sitzung am 22. Oktober 2024 einstimmig die Beschlussempfehlung gegeben, sich mit bis zu vier Plem-Plem-Moratorien für einen Stopp des 5G-Ausbaus auszusprechen. Ob der Stadtrat der Empfehlung gefolgt ist und sich öffentlich blamieren wird, ist noch nicht raus. Doch wenn es so ist, hat der Umweltbeirat den Stadträten einen Bärendienst erwiesen, indem er Desinformation des Stuttgarter Vereins Diagnose-Funk unkritisch an sie herangetragen hat.

Fünf Jahre nach der Versteigerung der 5G-Lizenzen in Deutschland bei nahezu lückenloser 5G-Flächenversorgung auf die Idee zu kommen, den 5G-Ausbau in Bayern auf den letzten Metern mit Moratorien zu stoppen, ist schon vom Ansatz her kaum nachvollziehbar und deutet auf einen Schildbürgerstreich hin. Würde der Unfug nennenswert Geld verbrennen, er wäre ein Fall für den bayerischen Rechnungshof. Da dies jedoch nicht zutrifft, ist die feinstoffliche Causa Füssen durch alle groben Maschen gefallen und erst beim IZgMF hängen geblieben.

Das Unheil nimmt seinen Lauf ...

Am 2. Oktober 2024 schritten der amtierende Vorsitzende des Füssener Umweltbeirats (Andreas Eggensberger) und sein Stellvertreter (Martin Metzger) zur Tat. Sie verfassten für die kommende Sitzung des Stadtrats am 22. Oktober vier Beschlussanträge (669 bis 672) für ein 5G-Moratorium. Inhaltlich unterscheiden sich die vier Anträge im Wesentlichen nur mit den genannten Adressaten, die den Aufschub des weiteren 5G-Ausbaus veranlassen sollen. Stellvertretend für alle vier Anträge hier der ungelenk formulierte Antrag, der die bayerische Landesregierung gefügig machen soll:

Der Stadtrat der Stadt Füssen fordert die bayerische Landesregierung (hier: bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie) im Rahmen der Mobilfunkinitiative Bayern die derzeitig gültigen Mobilfunkgrenzwerte im Sinne des Bevölkerungsschutzes kritisch zu hinterfragen und ggf. einem Ausbau-Moratorium für den Mobilfunk anzustreben. Dieses Moratorium könnte solange gelten, bis die vom Oberverwaltungsgericht Koblenz angeforderte Überprüfung bzw. Neubewertung der Grenzwerte, die für den Mobilfunk gelten, erfolgt ist.

Die drei anderen Adressaten sind a) die Mobilfunknetzbetreiber, b) der für das Ostallgäu zuständige Bundestagsabgeordnete Stephan Stracke und c) das Bauamt im Landratsamt Ostallgäu.

Alternative Fakten haben Hochkonjunktur

Der Verein Diagnose-Funk wird zwar in keinem der Anträge als Stichwortgeber für die verschrobene Begründung der irrationalen Forderung nach einem 5G-Moratorium genannt, die Handschrift der Stuttgarter ist jedoch unschwer zu erkennen. Die Begründung ist in allen vier Anträgen wortgleich. Als Grundlage für die Forderung nach einem Moratorium wird an erster Stelle das Urteil des OVG Koblenz vom 04.04.2024 genannt, in dem das Gericht angeblich die Überprüfung der derzeitigen Grenzwerte (Sachverhaltsaufklärung) für den Mobilfunk angeordnet habe. Doch was sich wie eine amtliche Verlautbarung liest, ist in Wahrheit lediglich die unverbindliche Meinungsbekundung der Diagnose-Funk nahe stehenden Rechtsanwältin Sibylle Killinger. Begründete Zweifel an deren Darstellung sowie Links zu Originalquellen gibt es hier.

Weiter heißt es in der Begründung für das Moratorium: "Bis zur juristischen Klärung (ggf. bis zum Bundesverwaltungsgericht) wäre ein Moratorium die einzige richtige Antwort auf die Situation". Mein Kommentar dazu: Wer wirklich glaubt, eine komplexe wissenschaftliche Streitfrage könne von einem deutschen Verwaltungsgericht kompetent geklärt werden, der glaubt wahrscheinlich auch, Zitronenfalter würden Zitronen falten :-).

Wie Perlen auf einer Schnur drängen sich in der weiteren Begründung für das Moratorium unqualifizierte Behauptungen des Stuttgarter Vereins Schulter an Schulter. Im Einzelnen darauf einzugehen ist mir zu mühsam, deshalb hier und jetzt nur Stichworte und Links zu den Entgegnungen:

Athem-3-Studie: Bewertung der Studie durch das Bundesamt für Strahlenschutz.

ICBE-EMF: Die von Icnirp empfohlenen HF-EMF-Grenzwerte gelten in ungefähr 170 Ländern der Erde, die von ICBE-EMF empfohlenen HF-EMF-Grenzwerte gelten in null Ländern der Erde (kein Link zur Hand).

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA): Das Märchen von Rotkäppchen und dem bösen Wolf.

Hintergrund
Fußabdruck von Füssen im IZgMF-Forum

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Füssen im Allgäu: Ein 5G-Moratorium schwebt in der Luft (II)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 24.10.2024, 21:04 (vor 1 Tag, 1 Stunden, 32 Min.) @ H. Lamarr

Gestern stand Füssen im Allgäu am Abgrund.

Heute ist die Gemeinde einen Schritt weiter ...

Wie die Allgäuer Zeitung am 24. Oktober berichtet, will die Stadt Füssen beim Mobilfunk auf die Bremse treten. Einstimmig habe der Stadtrat im proppenvollen Sitzungssaal des Rathauses die Mobilfunkunternehmen zu einem Ausbaumoratorium aufgefordert. Das heißt, bis eine vom Oberverwaltungsgericht Koblenz angeforderte Überprüfung der Grenzwerte vorliegt, sollen keine neuen Mobilfunkmasten in Füssen und seinen Ortsteilen installiert werden. Rechtlich bindend sei der Beschluss jedoch nicht.

Trifft der Bericht der Allgäuer Zeitung zu, hat sich der Füssener Stadtrat von den vier eingereichten Anträgen auf 5G-Moratorien für die leichteste Version entschieden, die sich lediglich an die Mobilfunknetzbetreiber wendet. Wieso alle Räte der Stadt ausgerechnet von den Mobilfunknetzbetreibern einen Stopp der Netzverdichtung im Raum Füssen erwarten, erschließt sich mir allerdings nicht.

Aus meiner Sicht ist die Forderung nach einem Moratorium gegenüber den Netzbetreibern schon deshalb ein Irrläufer, weil die Netzbetreiber sich vertraglich verpflichtet haben, staatlichen Ausbauvorgaben nachkommen. Selbst wenn sie wollten, aus dieser Nummer würde die BNetzA die Betreiber nicht rauslassen. Ganz zu schweigen von der abwegigen Behauptung, das OVG Koblenz habe mit seinem Urteil 1 A 10814/23.OVG eine "Überprüfung" der in Deutschland geltenden HF-EMF-Grenzwerte angeordnet :no:.

Auch der Autor des Berichts in der Allgäuer Zeitung sieht in einem Kommentar für das Moratorium keine Erfolgsaussichten. Er schreibt: "Die Stadt Füssen will einen Mobilfunkmast mit einem nutzlosen Beschluss verhindern. Erreichen wird sie damit nichts. Sie nimmt aber die Bedenken der Bürger ernst." Was damit gemeint ist, lässt sich hier nachlesen. Und, ja, rationale Bedenken der Bürger sollten auch aus meiner Sicht ernst genommen werden. Irrationale Bedenken hingegen nicht, die sollten nur widerlegt werden.

Am 2. Oktober 2024 schritten der amtierende Vorsitzende des Füssener Umweltbeirats (Andreas Eggensberger) und sein Stellvertreter (Martin Metzger) zur Tat. Sie verfassten für die kommende Sitzung des Stadtrats am 22. Oktober vier Beschlussanträge (669 bis 672) für ein 5G-Moratorium. Inhaltlich unterscheiden sich die vier Anträge im Wesentlichen nur mit den genannten Adressaten, die den Aufschub des weiteren 5G-Ausbaus veranlassen sollen.

"Kompetenzinitiative": Unverhofft kommt oft ...

Anlässlich eines Telefonats mit Andreas Eggensberger kam ich heute aus dem Staunen nicht mehr heraus. Denn dem Vorsitzenden des Füssener Umweltbeirats zufolge hat der Stadtrat nicht nur dem Beschlussantrag 672 einstimmig zugestimmt (Moratorium der Mobilfunknetzbetreiber), sondern allen vier Beschlussanträgen für 5G-Moratorien.

Wie sich im Laufe des Telefonats herausstellte, beschäftigt sich Eggensberger, der in Füssen ein großes Bio-Hotel mit Therapiezentrum betreibt, seit etwa 20 Jahren mit den biologischen Wirkungen von HF-EMF auf Menschen. Der Master of Science in Physiotherapie spricht z.B. von eigener Forschung und davon, dass er Mitglied der "Kompetenzinitiative" ist. Ein gemeinsam mit Mario Babilon durchgeführtes Forschungsvorhaben (Wirkungen von HF-EMF auf Menschen) habe allerdings nicht die erwarteten Wirkungen gezeigt und müsse deshalb methodisch neu überdacht werden. Das Gespräch vermittelte mir zwei gegensätzliche Eindrücke: Zum einen, dass die Kommunalpolitik in Bayern von organisierten Mobilfunkkritikern stärker unterwandert ist als gedacht. Zum anderen sehe ich Eggensberger nicht als restlos überzeugten unbelehrbaren Mobilfunkgegner, sondern als noch moderat ergebnisoffenen wissbegierigen Bürgerforscher, der sich notgedrungen Vereinen wie der sogenannten Kompetenzinitiative oder Diagnose-Funk angeschlossen hat, weil die anerkannte Wissenschaft mit Bürgerforschern absolut nichts anzufangen weiß.

Ein Prüfstand für missratene Beschlussanträge

Mit den vier Beschlussanträgen für 5G-Moratorien ist Eggensberger mMn weit übers Ziel hinausgeschossen. Er schadet damit seinem Ansehen und dem der Stadt. Wie konnte das passieren? Aus meiner Sicht deutet der Umstand, dass die Anträge sowohl im Umweltbeirat als auch im Stadtrat einstimmig durchgewunken worden sind, auf das Echokammer-Phänomen hin. Es fehlte in beiden Gremien offensichtlich die Fachkompetenz, eine sich anbahnende Fehlentwicklung zu erkennen und rechtzeitig zu stoppen. Aus eben diesem Grund werde ich Andreas Eggensberger einladen, wenn in HF-EMF-Sachfragen wieder einmal alle einer Meinung sind, vorsichtshalber die konstruktive Kontroverse im IZgMF-Forum zu suchen :-).

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