Faktencheck 07: Bestechungsvorwürfe gegen Mike Repacholi (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 16.06.2024, 18:25 (vor 145 Tagen) @ H. Lamarr

[Scheidsteger] Unter der Flagge der WHO segelte der Australier von 1997 bis 2006 um die ganze Welt und verbreitete die frohe Botschaft: no problem. Dr. Mike Repacholi fühlte sich sehr sicher, er war schließlich die offizielle Mobilfunkstimme der WHO. Aber – er machte Fehler. Das liebe Geld!

[Repacholi] "Die Gelder, die von der Industrie kommen, müssen in einen separaten Topf bevor sie der WHO übergeben werden".

[Scheidsteger] Und so kam es, dass der gute Mann schließlich aufflog als von der Industrie bezahlter Fürsprecher und Verharmloser. Er ging daraufhin in den WHO-Ruhestand und arbeitet seither hinter den Kulissen als Industrieberater.

Da Klaus Scheidsteger seine diffusen Bestechungsvorwürfe gegen Mike Repacholi auch in seinem jüngsten Märchenfilm von 2024 unverändert wiederholt ("Das digitale Dilemma", dort ab Minute 36:23), habe ich mich genötigt gesehen, der Geschichte ein für allemal auf den Grund zu gehen.

Quellen von Scheidstegers Bestechungsvorwürfen

Der Erste, der konkrete Bestechungsvorwürfe gegen Repacholi formulierte, war Louis Slesin, der Herausgeber von Microwave News, USA. In der Sammelausgabe Juni bis Dezember 2005 lässt Slesin seine Leser mit Datum 5. Juli 2005 wissen:

[...] Mike has repeatedly refused to disclose who is paying for his EMF project and all its conferences and workshops. We do know that WHO does not foot the bill. Mike has to raise his own budget and travel funds. We also know that he found a way to skirt the WHO rules that bar direct industry support — the mobile phone manufacturers have said that they provide him with $150,000 a year with additional money for meeting and travel expenses. [...]

Belege für seine Behauptungen bleibt Slesin seinerzeit jedoch schuldig. Wortführer der organisierten Anti-Mobilfunk-Szene focht dies nicht an. Sie forderten noch 2005 den damaligen Generalsekretär der WHO mit einem Offenen Brief ultimativ auf, die Bestechungsvorwürfe untersuchen zu lassen. Sollte der WHO-Spitzenfunktionär nicht spuren und innerhalb von zwei Wochen antworten, drohten die Unterzeichner des Briefes, sich an höhere Stellen zu wenden oder rechtliche Schritte einzuleiten. Auf eine Antwort der WHO warten die Absender des Briefes mutmaßlich noch heute und ihre leeren Drohungen sind nicht weniger folgenlos verhallt als ihre voreiligen Forderungen.

Erst im November 2006 präzisierte Louis Slesin seine Bestechungsvorwürfe. Allerdings griff er dazu auf die Recherche eines Journalisten zurück (David Leloup), der in einem belgischen Magazin behauptete, die GSM Association (GSMA, ein Interessenverband der Mobilfunkindustrie) habe kürzlich ihre jährlichen Zahlungen an das (von Repacholi geleitete) EMF-Projekt der WHO auf 150'000 Euro aufgestockt, zuvor seinen es 50'000 Euro gewesen. Hinzu kämen 150'000 Dollar, die das Mobile Manufacturers Forum (MMF) dem EMF-Projekt jedes Jahr zur Verfügung stellt. Slesin ergänzt: Mike Milligan vom MMF bestätigte dies gegenüber Microwave News im Jahr 2003. Weiter heißt es in dem Bericht: Früher gab Motorola Repacholi 50'000 Dollar pro Jahr, jetzt aber leiste das Unternehmen seine Zahlungen über das MMF.

Soweit der augenscheinlich belastende Sachverhalt, den Klaus Scheidsteger für bare Münze nimmt und in seinen Filmen ohne Quellenangaben verkürzt kolportiert. Auf die Idee, den Sachverhalt zu prüfen und mit Informationen der WHO abzugleichen, ist der Filmemacher offensichtlich nicht gekommen. So breitete sich die Geschichte vom korrupten Leiter des EMF-Projekts der WHO über die Jahre hinweg ungestört vor allem in den Echokammern der Anti-Mobilfunk-Szene aus, 2012 sollte sie z.B. anlässlich einer öffentlichen Anhörung in Canberra, Australien, Eindruck machen.

Das EMF-Projekt der WHO

Da das EMF-Projekt in der Öffentlichkeit wenig bekannt ist, hier zunächst eine kurze Selbstdarstellung aus dem Jahr 2002:

Das internationale EMF-Projekt wurde von der WHO 1996 ins Leben gerufen und dessen Aktivitäten und Arbeitspläne festgelegt. Die WHO fungiert als Sekretariat, um das Projekt zu koordinieren, zu begleiten und durchzuführen. Die Arbeitsgruppen des Projekts setzen sich aus international anerkannten Experten zusammen, die ein breites Spektrum unterschiedlicher Meinungen zu dem zu beratenden Thema vertreten. WHO-Mitarbeiter können nicht Mitglied einer solchen Arbeitsgruppe sein, sind aber bei den Sitzungen anwesend, um die Konsensfindung über Schlussfolgerungen oder Empfehlungen zu unterstützen.

Wissenschaftliche Sitzungen des EMF-Projekts werden in der Regel gemeinsam mit Icnirp (der von der WHO anerkannten Organisation zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung) durchgeführt. Diese Treffen stehen allen Wissenschaftlern offen, die Mitgliedschaft in den Arbeitsgruppen ist jedoch auf unabhängige (nicht-industrielle) Wissenschaftler beschränkt. Schlussfolgerungen und Empfehlungen der Arbeitsgruppen werden in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht, um zu gewährleisten, dass die Informationen einem möglichst breiten Publikum zugänglich sind. WHO-Mitarbeiter können ggf. als Autoren aufgeführt werden. Alle Veröffentlichungen des EMF-Projekts werden von dem internationalen beratenden Ausschuss des Projekts geprüft. Dieses Aufsichtsgremium setzt sich aus Vertretern zahlreicher nationaler Behörden und Vertretern von acht internationalen Agenturen und WHO-Kooperationszentren zusammen. Für alle Veröffentlichungen ist eine formelle Genehmigung durch die WHO-Führungsebene erforderlich. Nach Abschluss einer wissenschaftlichen Prüfung verwendet die WHO die Schlussfolgerungen und Empfehlungen in ihren Informationen für die nationalen Behörden und die Öffentlichkeit.

Finanzierung des EMF-Projekts

Jetzt wird es spannend, denn es geht darum, auf welche Weise sich das EMF-Projekt der WHO finanziert. Die folgenden Angaben sind keine Mutmaßungen oder Sekundärquellen entnommen, sondern sie wurden im Progress Report 2001 - 2002 des Projekts im Juli 2002 auf der Projektwebsite veröffentlicht. Bei der WHO ist dieser alte Jahresbericht leider nicht mehr abzurufen, wer Zweifel an meinen Angaben hat, mag das Internet Archiv bemühen oder die WHO direkt ansprechen. Mir liegt der fragliche Jahresbericht nur deshalb vor, weil ich vor vielen Jahren, als dies noch für jedermann möglich war, alle Jahresberichte des EMF-Projekts von 1996 bis 2014 gesichert habe.

Hier nun also die einst öffentliche Selbstauskunft des EMF-Projekts über seine Finanzierung in deutscher Übersetzung:

Im vergangenen Jahr wurden Fragen zu den Finanzierungsquellen des EMF-Projekts aufgeworfen. Nachstehend finden Sie eine Zusammenfassung der Finanzierungsquellen und -bedingungen. Es gelten sehr strenge Auflagen für die WHO, um Mittel für außerbudgetäre Projekte wie das EMF-Projekt zu erhalten.

Die WHO darf Mittel von der Industrie (vorzugsweise von Industrieverbänden) nur nach Prüfung und Genehmigung durch die Rechtsabteilung der WHO entgegennehmen. Zusätzlich prüft ein Sonderausschuss der WHO Finanzierungen durch die Industrie.

Im Jahr 1995 traf die WHO im Einklang mit dieser Politik eine Vereinbarung mit dem Royal Adelaide Hospital (RAH), Australien, um im Namen des EMF-Projekts Mittel zu sammeln. Ein Memorandum of Understanding erlaubte es dem RAH, Gelder von Regierungen, Berufsverbänden und der Industrie einzuwerben. Alle Gelder werden gesammelt, auf einem Konto zusammengefasst und regelmäßig an die WHO zur Finanzierung der Projektaktivitäten weitergeleitet. Alle Unternehmen, die das Projekt finanziell fördern, müssen eine von der Rechtsabteilung vorbereitete Vereinbarung unterzeichnen, die Folgendes vorsieht:

► Das Unternehmen darf seine Projektförderung nicht für kommerzielle Werbezwecke vermarkten.
► Vertreter des Unternehmens dürfen nicht an Arbeits- oder Projektgruppen teilnehmen, die Gesundheitsrisiken bewerten.
► Das Unternehmen darf seine Unterstützung für das Projekt in internen Berichten und in seinen Jahresberichten vermerken.

Alle Geldeingänge und Abrechnungen werden von der WHO und dem RAH streng geprüft. Das EMF-Projekt hat alle von der WHO gestellten Anforderungen erfüllt und wird dies auch bis zum Abschluss des Projekts tun.

Schlussfolgerungen

Schaut man sich nun die Bestechungsvorwürfe gegen Repacholi im Licht der Selbstauskunft seines EMF-Projekts an, bleibt von der vermeintlichen Bestechung faktisch nichts mehr übrig. Beim Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramm (DMF) wirkte das BfS als Firewall zwischen der zu 50 Prozent geldgebenden Industrie und der ausführenden Wissenschaft. Beim EMF-Projekt der WHO hat (oder hatte) das Royal Adelaide Hospital diese Entkopplungsfunktion. Aus der Förderung durch die Industrie wurde hier wie dort kein Geheimnis gemacht. Und dass die Industrie sich ohne Möglichkeiten der Einflussnahme an der EMF-Risikoforschung beteiligt, halte ich gemäß Verursacherprinzip nur für Recht und billig, denn sie ist es, die mit massenhafter Anwendung der Funktechnik schließlich beträchtliche Gewinne erwirtschaft. Die vermeintlichen Enthüllungen des belgischen Magazins, dass sich "die Industrie" am EMF-Projekt beteiligt, sind nicht mehr als nur die Offenlegung eines ohnehin offenliegenden Geheimnisses. Auch Slesins Anschuldigungen von 2005 lassen sich plausibel damit erklären, dass er keine Kenntnis der öffentlichen Selbstauskunft des EMF-Projekts aus dem Jahr 2002 hatte.

Bleibt von der angeblichen Bestechung nur Slesins vage Behauptung (2005), Repacholi hätte sich "direct industry support" ergaunert. Was er genau damit meint bleibt offen, eine Interpretation könnte lauten: Repacholi hat sich die 150'000 Kröten am RAH vorbei mit einem schwarzen Koffer direkt vom MMF geholt. Doch dafür liefert Slesin nicht den Hauch eines Belegs. Im Gegenteil: 2006 schreibt er nichts mehr von "direct support" und Mike Milligan hat ihm 2003 lediglich bestätigt, das MMF habe das EMF-Projekt mit jährlich 150'000 Dollar finanziell unterstützt, nicht aber Mike Repacholi persönlich.

Fazit: Klaus Scheidsteger verbreitet mit seinen Anti-Mobilfunk-Filmen über Mike Repacholi ein Märchen, das sich nur organisierte Mobilfunkgegner an ihren Lagerfeuern erzählen. Sollte Repacholi sich wehren und den Filmemacher wegen fortgesetzter Rufschädigung verklagen, müsste nicht Repacholi seine Unschuld beweisen, sondern Scheidsteger Repacholis Schuld. Da sehe ich Scheidsteger am Boden zerstört, denn er macht den folgenschweren Fehler, anstelle eines Bestechungsverdachts die Bestechlichkeit Repacholis als Tatsache zu schildern. Über so einen Strick ist schon Lerchl gestolpert.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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