Berenis sieht in NTP-Studie Bestätigung für Vorsorge (Forschung)
[Berenis ist die Beratende Expertengruppe NIS des Bundesamt für Umwelt (Bafu), Schweiz. Die folgende Kurzbewertung ist dem Berenis-Newsletter 15/2018 entnommen, eine Langfassung der Bewertung bietet dieser Sonder-Newsletter vom 13. November 2018]
Evaluierung von zwei neuen Krebsstudien mit Mäusen und Ratten bei lebenslanger hochfrequenter Exposition (Falcioni et al. 2018; NTP 2018a, 2018b, 2018c, 2018d, 2018e; Wyde et al. 2018a, 2018b)
In den vergangenen Monaten wurden die Ergebnisse von zwei umfassenden und gross angelegten Studien veröffentlicht. Beide Studien wurden mit Laborratten und -mäusen durchgeführt, um das krebserregende (karzinogene) Potential einer lebenslangen Exposition mit hochfrequenten elektromagnetischen Feldern (HF-EMF) bei freilaufenden Tieren in Käfigen zu untersuchen. Das Augenmerk der Studie des „U.S. National Toxicology Program“ (NTP) lag dabei auf Exposition durch Mobiltelefone (NTP 2018a, 2018b, 2018c, 2018d, 2018e; Wyde et al. 2018a, 2018b), während sich die Studie des Ramazzini-Instituts in Italien auf das Fernfeld von Quellen, also Exposition durch Mobilfunk-Basisstationen oder Mobiltelefone von Passanten konzentrierte (Falcioni et al. 2018). Im Folgenden werden diese Studien als "NTP-Studie" bzw. "Ramazzini-Studie“ bezeichnet.
Die NTP- und die Ramazzini-Studie sind die bis anhin umfassendsten Tierstudien, die hinsichtlich Krebs und Exposition mit Signalen von Mobiltelefonen und Basisstationen durchgeführt wurden. Die wissenschaftliche Qualität und der Standard der Labortechniken sind insbesondere in der NTP-Studie hoch. Im Vergleich zu früher durchgeführten Studien mit Labortieren, die Karzinogenität oder Co-Karzinogenität evaluierten, sind diese Studien insofern neuartig, dass die Tiere in diesen beiden Studien für die Exposition nicht in enge Röhren gesteckt wurden, sondern freilaufend in ihren Käfigen exponiert waren. Dies reduzierte den durch die Beengtheit verursachten Stress, und ermöglichte längere Expositionen.
Bild: Berenis
Die Resultate dieser zwei Tierexperimente sind von grosser wissenschaftlicher Relevanz und gesundheitspolitischer Bedeutung, weil gemäss der Einstufung der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) positive Ergebnisse aus Tierversuchen mit lebenslanger Exposition bei der Einstufung des Krebsrisikos eines Wirkstoffes bzw. einer Umweltnoxe ein sehr grosses Gewicht haben, nebst Daten aus epidemiologischen und mechanistischen Studien. Letztere führten aufgrund der beobachteten Hinweise für einen Zusammenhang zwischen Mobilfunknutzung und Gliomen sowie Akustikusneurinomen im Jahr 2011 zu einer IARC-Einstufung von Mobilfunkstrahlung als „möglicherweise krebserregend“ (Kategorie 2B). Die IARC stuft das Risiko, dass ein Wirkstoff bzw. eine Umweltnoxe beim Menschen Krebs auslöst, in fünf Kategorien ein, nämlich „unwahrscheinlich“ (Kategorie 4), „nicht klassifizierbar“ (3), „möglich“ (2B), „wahrscheinlich“ (2A) oder „nachgewiesen“ (1).
Beide neuen Tierstudien zeigten trotz methodischer Unterschiede relativ konsistente Ergebnisse bei Schwannomen und Gliomen, und zudem einen dosisabhängigen Trend in Bezug auf eine Zunahme der Karzinogenität dieser Tumoren. Die NTP-Studie verwendete hohe Gesamtkörperdosen (SAR – Spezifische Absorptionsraten) im Vergleich zu den von der Internationalen Kommission zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP) empfohlenen Grenzwerten für Ganzkörperexposition. Für die Bevölkerung beträgt dieser 0.08 W/kg, wobei die Schweiz zusätzlich niedrigere Vorsorgegrenzwerte eingeführt hat. Es stellt sich also die Frage, wie übertragbar die Ergebnisse der NTP-Studie auf die tatsächliche Exposition in der Öffentlichkeit sind, wenn bei der Handynutzung nur Teile des Körpers so stark exponiert sind wie in der NTP-Studie das ganze Tier. Dazu lässt sich sagen, dass es erstens in der Toxikologie üblich ist, höhere Dosen zu untersuchen, um mögliche Gefahren eines Wirkstoffs zu bewerten. Zweitens wurde in der NTP-Studie ein Anstieg der Karzinogenität für GSM- und CDMA-Expositionsbedingungen gefunden. Da die Befunde für beide Expositionsarten ähnlich sind, deuten sie darauf hin, dass die Modulation der Signale weniger relevant ist. Drittens kann die Verwendung von Mobiltelefonen lokal SAR-Werte von bis zu 2 W/kg verursachen, gemittelt über einen Würfel mit 21 mm Seitenlänge in unmittelbarer Nähe des Telefons (z.B. am Ohr, den Wangen, der Hand, Positionen der Hosentaschen usw.). Daher sind die Ergebnisse der NTP-Studie vor allem für die Expositionssituation relevant, bei der ein Mobiltelefon körpernah verwendet wird. Die Ramazzini-Studie hingegen stellte Karzinogenität bei Werten im Bereich der Immissionsgrenzwerte fest, wobei der Effekt bei niedrigeren Dosen statistisch nicht signifikant war. Allerdings wurde ein dosisabhängiger Trend für bösartige Herz-Schwannome gefunden, was sich mit den Ergebnissen der NTP-Studie deckt. Dies könnte darauf hindeuten, dass der nicht signifikante Anstieg der Fallzahlen bei niedrigeren Expositionswerten einen wahren Effekt darstellt, der aufgrund des gegebenen Stichprobenumfangs keine statistische Signifikanz erreicht hat.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die BERENIS aufgrund der Ergebnisse und deren Bewertung das Vorsorgeprinzip zur Regulierung von HF-EMF unterstützt. Eine vollständige Risikobewertung unter Berücksichtigung aller verfügbaren Studien (Tierstudien und epidemiologische Studien) ist ausserdem notwendig, um abzuschätzen, ob die derzeitig gültigen Grenzwerte geändert werden sollten.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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