Werner Thiede: Seine Selbstgefälligkeit (I) (Allgemein)
Was kümmert Theologen und Pfarrer das "Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende"? Nicht die Bohne, möchte man meinen. Mit einer Ausnahme: Werner Thiede aus Regensburg, Theologe, Pfarrer und noch dazu Publizist, der seine Bücher unters Volk bringen möchte, sieht sich zu Wortmeldungen über eben dieses Gesetz berufen. Warum auch nicht, in unserem Land herrscht das Recht auf Meinungsfreiheit. Thiede macht davon gerne und reichlich Gebrauch, schließlich fordert das Recht mit keiner Silbe eine kompetente Meinung. Und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat schon 1998 noch eine Schippe draufgelegt: Das Recht auf Meinungsfreiheit deckt auch öffentliches Behaupten von Stuss ab, selbst wenn dieser Stuss anderen wirtschaftlichen Schaden zufügt. Wenn sich auch öffentlich verbreiteter Stuss auf dem Rechtsweg nicht verbieten lässt und das Internet beliebigen Schwätzern den mühelosen Zugang in die Wohnzimmer der Republik erlaubt – stillschweigend muss man dies nicht aushalten.
Der Jäger und Sammler
Werner Thiede hat sich vor einigen Jahren auf die Seite von Mobilfunkgegnern geschlagen und durchkämmt seither das www nach allem, was die Szene an Argumenten gegen Funkwellen hervorgebracht hat. Eine Sortierung nach Qualitätskriterien ist dabei nicht erkennbar, Thiede ist kein Argument zu flach, keines zu spekulativ, als dass er es sich nicht einverleibt, verwurstet und in Form von Thiede-Büchern und Thiede-Artikeln weiter verbreitet, auch schon mal verdreht, wie dies leicht passieren kann, wenn Laien sich zu weit vorwagen. Dieser Mangel erklärt sich plausibel mit dem Thema: Mobilfunk und seine Ausbreitung haben viel mit Elektrotechnik zu tun und nichts mit Glauben. Pfarrer Thiede schreibt über eine Technik, die er wegen fehlender Ausbildung nicht wirklich verstanden hat. Üblicherweise gilt unter solchen Bedingungen die Regel: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Fresse halten. Irgendetwas in uns lässt uns diese Regel jedoch häufig missachten, bei Stammtischen ist dies nicht weiter schlimm, bei Publizisten wegen deren Reichweite dagegen schon.
Wortmeldung zu Smart Meter und Energiewende
Ende Juni 2016 meinte Herr Thiede, sein Unbehagen über Smart Meter mit dem Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende öffentlich in Verbindung bringen zu müssen. Heraus kam der Artikel Die Tücken im Energiewende-Gesetz (Cicero, Magazin für Politische Kultur). Ich habe mich redlich bemüht, zu Beginn das Unbehagen nachzuempfinden, das den Autor plagt. Vergeblich. Aus meiner beruflichen Praxis kenne ich diese Enttäuschung gut, sie befällt mich immer dann, wenn inkompetente Gesprächspartner nicht einräumen, inkompetent zu sein, sondern herum eiern. Jeder kennt dies von Leuten, die nach dem richtigen Weg gefragt einen seelenruhig einen Weg erklären, der in die Wüste führt.
Bei Thiedes Artikel habe ich den begründeten Verdacht, der Autor hat keine Ahnung, wozu Smart Meter gut sind und warum sie in unsere Keller gehören. Auch ich habe nur wenig Ahnung davon, anscheinend aber ein Quäntchen mehr als Thiede. Wer sich an die Liberalisierung der Telekommunikation in den 1990er Jahren erinnert kennt sie noch: Least-Cost-Router, die einem aus dem Gewirr der Telefontarife automatisch den günstigsten heraus fieselten. Pauschaltarife (Flatrate) gab es damals noch nicht. Okay? Beim Strom blüht uns Ähnliches. Wegen der infolge Energiewende sprunghaft zunehmenden Anzahl von Stromanbietern werden wir (wahrscheinlich) mit zahllosen Sonderkonditionen beglückt, je nachdem, wie gerade der Wind weht und die Sonne scheint. Kein Mensch kann aus diesem Durcheinander den momentan günstigsten Tarif für sich finden, Smart Meter können dies mühelos.
Spatenpauli vs. Theologe, Pfarrer & Publizist
Nach den schwerfälligen und wenig einprägsamen Eingangspassagen kommt Werner Thiede auf halber Höhe endlich konkret zur Sache und nörgelt einmal mehr an der Funktechnik herum. Weil ich mich auf diesem Terrain deutlich besser auskenne als bei Smart Metern, erlaube ich mir, die Ausführungen des Publizisten zu kommentieren:
Die List purer Ignoranz gegenüber der Strahlenschutzfrage: Beschwichtigend wird oft behauptet, Funk-Technologie, wie sie im Zuge der Digitalisierung vielfach zum Einsatz komme, sei gesundheitlich unbedenklich.
Falsch: Dies wird nicht nur behauptet, sondern ist das Ergebnis einer seit Jahrzehnten andauernden wissenschaftlichen Forschung, die regelmäßig von Experten-Kommissionen auf neue Erkenntnisse geprüft wird. Gibt es Verdachtsmomente, werden diese nach einer Forschungsagenda der WHO gezielt untersucht. Funktechnik wird nicht zügellos auf die Bevölkerung losgelassen, sie ist unter ständiger Beobachtung, bislang gibt es jedoch keine ernst zu nehmenden Hinweise, die geltenden Grenzwerte böten ein unzureichendes Schutzniveau.
Wahr ist dagegen: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat einen Teil elektromagnetischer Felder und namentlich auch den mit Hochfrequenz arbeitenden Funk als möglicherweise krebserregend eingestuft.
Wahr? Was Herr Thiede verschweigt: Die Eingruppierung der WHO beruht allein auf der Einwirkung starker (grenzwertnaher) Funkfelder, wie sie insbesondere Arbeitnehmer hinnehmen müssen, für die deutlich höhere Grenzwerte gelten als für Privatpersonen. Schwache Funkfelder, wie sie von Mobilfunk-Basisstationen in Wohnungen ankommen und wie sie von extrem schwach sendender neuer häuslicher Funk-Infrastruktur (z.B. Smart Meter, Funk-Wasserzähler, IoT) verursacht werden, sind außer Verdacht. So wie 10 Minuten Strandaufenthalt ohne Sonnenschutzchreme ebenfalls als unbedenklich gelten. Die WHO hat ausdrücklich erklärt, gegen schwache Funkfelder lägen (bislang) keine Verdachtsmomente vor. Das "bislang" beglückt Mobilfunkgegner seit Generationen, ist jedoch keine bedeutsame Einschränkung. Die WHO muss diese nennen, auch sie kann nicht in die Zukunft schauen und uns daher z.B. nicht vor dem auf uns zurasenden Meteoriten warnen, der – wer will es 100 % ausschließen – bislang völlig unbekannte tödliche Viren auf die Erde bringt.
Kürzlich bekannt gewordene Forschungsergebnisse aus den USA untermauern entsprechende Besorgnisse.
Wer mit der "NTP-Studie" aus USA im Zusammenhang mit der Funkimmission durch Smart Meter argumentiert macht deutlich, keine Ahnung zu haben: Begründung <hier>.
Einer der größten Rückversicherer der Welt, die Swiss Re, hat bereits 2013 Mobilfunk in die höchste Risikostufe eingruppiert.
Was Herr Thiede hier völlig falsch verstanden hat, macht der verantwortliche Mann von Swiss Re (Dr. Reto Schneider, Head of Emerging Risk Management) <hier> deutlich.
Voriges Jahr hat der internationale Versicherungsmakler Lloyds of London eine Haftung für Schäden durch elektromagnetische Strahlung ausgeschlossen.
Falsch: Versicherungsmakler vermitteln, haften tun nur Versicherungsgesellschaften. Richtig ist, die Meldung wurde auf mehr oder weniger halbseidenen Szenewebsites verbreitet, nicht aber von Lloyds. Plausiblitätstest: Sollte die Meldung stimmen, warum haben dann nicht alle Versicherer nachgezogen? Und: Ist es nicht völlig normal, Risikoabdeckungen zu inkludieren oder zu exkludieren, je nachdem, welche Versicherungsprämie ein Kunde bereit ist zu zahlen?
Nicht von ungefähr warnten schon vor einigen Jahren der Internationale Ärzte-Appell und der Ständige Ausschuss des Europarates.
Doch, genau das: sie warnten von ungefähr! Ärzte haben von Funk und dessen biologischen Wirkungen in aller Regel keine Ahnung, Politiker noch weniger. Überzeugend belegte Brötchen dazu gibt es <hier> und <dort>.
Ungeachtet gebotener Vorsorgepolitik wurden jedoch Fragen des Gesundheitsschutzes im neuen Gesetz völlig außen vor gelassen.
Das will ein Theologe, Pfarrer & Publizist beurteilen? Diese selbstgefällig unchristliche Selbstüberschätzung bei einem Pfarrer festzustellen, halte ich für erschreckend, der Werteverfall macht auch vor Gottes Leuten nicht halt.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –