funkstrahlung.ch: Blinde Kälber wegen Antennenmast? (Allgemein)
Hier wieder einmal ein Musterbeispiel, wie Mobilfunkgegner mit vermeintlich seriösem Auftreten die Bevölkerung in Wahrheit doch nur für dumm verkaufen. Aber der Reihe nach ...
Im hese-Forum wird eine Rundmail aus der Schweiz verbreitet, in der es zum x-ten male um die Geschichte geht, die der Landwirt und Tabakanbauer Sturzenegger mit viel Aufwand und freundlicher Unterstützung durch die Anti-Mobilfunk-Vereine Gigaherz und Diagnose-Funk in die Welt gesetzt hat.
Über den Fall Sturzenegger haben wir hier im Forum bereits so häufig berichtet, dass ich mir Details dazu jetzt erspare.
Wer bei hese den Text von funkstrahlung.ch liest, ohne die Zusammenhänge zu kennen, der kann leicht zu der Überzeugung kommen, die blinden Kälber auf dem Sturzenegger-Hof stünden mit der Mobilfunkantenne dort in Zusammenhang. Und Veterinärmediziner der Universität Zürch hätten dies bestätigt, aber nicht so ganz in letzter Vollendung. Auf jeden Fall dürfte für den arglosen Leser fest stehen: Mobilfunk macht Kälber blind - irgendwie. Dass auf einem anderen Hof in Deutschland angeblich wegen Funkwellen Rinder reihenweise eingehen, Bauer Stengel blinde Kälber aber mit keiner Silbe erwähnt, das passt zwar überhaupt nicht ins Bild, davon weiß unser Argloser aber auch nichts. Dies nur als Einschub, machen wir weiter im Text ...
Eilfertig wie bei Mobilfunkgegnern üblich, spamt funkstrahlung.ch mit seinen Mutmaßungen einen größeren Verteiler zu: Tages- und Fachpresse, Radio, Fernsehen, alle Mitglieder der ComCom, alle National- und Ständeräte. Du meine Güte, die armen Leute!
Wo ist bei diesem Pamphlet nun der Wurm drin?
Aus meiner Sicht ist nicht ein Wurm drin, sondern mehrere.
Wurm 1: Anlass der Verlautbarung ist eine Veröffentlichung von M. Hässig, F. Jud, B. Spiess im "Schweizer Archiv für Tierheilkunde" (Vermehrtes Auftreten von nukleärer Katarakt beim Kalb nach Erstellung einer Mobilfunkbasisstation). Doch selbst auf der Website von funkstrahlung.ch mit der Original-Verlautbarung fehlt jegliche Verlinkung zu dieser elementar wichtigen Quelle. Dies ist ein Rückfall in die Steinzeit der Mobilfunkgegnerei, als nahezu alle Behauptungen ohne jede Quelle und ohne nachprüfbare Belege verbreitet wurden.
Wurm 2: Das Thema "Sturzenegger" ist, von der aktuellen Veröffentlichung einmal abgesehen, seit langem abgefrühstückt. Die Veröffentlichung basiert auf der Doktorarbeit von Franziska Jud, die bereits seit 2008 vorliegt. Sämtlich Anti-Mobilfunk-Seiten bis auf funkstrahlung.ch haben sich des Falls mehrfach angenommen, neue Erkenntnisse gibt es seit ungefähr fünf Jahren keine mehr, es wird lediglich versucht, das Thema immer wieder neu in die Medien einzuspeisen.
Wurm 2a: Der Fall Sturzenegger ist seit Juni 2006 abgeschlossen, weil damals die angeblich Unheil bringende Antenne demontiert wurde. Angeblich kam es damals schlagartig zu einer Verbesserung der Situation. So weit so gut. Doch das ist sechs Jahre her. Was treibt den Bauer Sturzenegger (und andere) an, den Fall dennoch immer wieder neu in die Medien zu bringen, obwohl es keinerlei Beweise dafür gibt, dass die blinden Kälber mit Mobilfunk-Sendemasten im Zusammenhang stehen? Mehr dazu <hier>.
Wurm 3, der Prachtwurm: Wer sich die Mühe macht, die Originalveröffentlichung in "Schweizer Archiv für Tierheilkunde" ausfindig zu machen merkt schnell, warum funkstrahlung.ch dorthin nicht verlinken möchte. Zwar ist die Arbeit selbst nicht öffentlich verfügbar, der Abstract enthält jedoch eine kurze Feststellung, die den ganzen Zirkus von funkstrahlung.ch in sich zusammenfallen lässt. Diese Feststellung lautet: "Der eigentliche Grund für das vermehrte Auftreten der Augenveränderungen bleibt unbekannt." Päng! Womit ich abschließend zum Bandwurm kommen möchte.
Wurm 4, der Bandwurm: Unschön irreführend schreibt der Autor der Verlautbarung auf der Originalseite unten: "Begleitbericht als PDF". Und prompt bin ich der Irreführung aufgesessen und dachte, ich komme jetzt endlich an die Arbeit der Zürcher Veterinärmediziner heran. Denkste! Zum Vorschein kommt ein von Mobilfunkgegnern fabrizierter 7-Seiter der dreist titelt: "Blinde Kälber auf einem Bauernhof mit Handymast; Wissenschaftlich bestätigt, aber genauer Wirkmechanismus noch unklar". Autoren bekennen sich nicht zu diesem PDF, und aus der undurchsichtigen Gemengenlage des Inhalts lässt sich nicht extrahieren, was dilettantische Interpretation ist und was aus der Arbeit der Veterinärmediziner abgegriffen wurde.
Wahrscheinlich gibt es noch erheblich mehr Würmer in diesem Betriebsunfall von funkstrahlung.ch. Nach 10 Jahren mit Mobilfunkgegnern meine ich, eine feine Nase für Manipulationsversuche entwickelt zu haben. Bei diesem "Projekt" von funkstrahlung.ch ist jedoch keine feine Nase vonnöten, denn es stinkt - meiner Meinung nach - zu Himmel. Und deshalb habe ich auch keine Lust, mich inhaltlich weiter mit diesem PDF auseinander zu setzen. Der Slogan "Achtung, Lesen gefährdet die Dummheit", er stimmt halt nur dann, wenn einem keiner ein X für ein U vormachen möchte.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –