Norwegen, kein Land für "Elektrosensible" (Elektrosensibilität)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 09.01.2022, 16:51 (vor 984 Tagen) @ H. Lamarr

Überrascht hat mich besonders die klare Empfehlung der Experten, "Elektrosensiblen" in Krankenhäusern keine Sonderbehandlung durch EMF-freie Behandlungsräume/Krankenzimmer zukommen zu lassen. In dieser Deutlichkeit habe ich das zuvor noch nirgendwo gelesen. Deshalb habe ich diesen Punkt etwas tiefer recherchiert und kann sagen, die Experten haben diese Empfehlung nicht aus dem Ärmel geschüttelt, sondern nach wissenschaftlichen Erwägungen getroffen. Mehr dazu demnächst in einem Folgeposting.

Die regionale Gesundheitsbehörde für Mittelnorwegen hat 2012 das norwegische Wissenszentrum für das Gesundheitswesen gebeten, die Forschungsergebnisse über die Wirksamkeit elektromagnetisch abgeschirmter Räumen in Krankenhäusern oder anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens zusammenzufassen. Heraus kam der 75-seitige Forschungsbericht Effectiveness of electromagnetically shielded rooms in hospitals or health care institutions: a systematic review and meta-analysis of provocation studies. Die Autoren sichteten 762 potenziell relevante Studien und fanden 21 Publikationen (mit 22 Experimenten), die den Einschlusskriterien der Review genügten. Der folgende Auszug nennt die wichtigsten Resultate der Review:

Elektromagnetische Hypersensibilität bezieht sich auf selbstberichtete Gesundheitsprobleme, die durch die Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern wie Basisstationen, Mobiltelefonen und/oder Bildschirmgeräten ausgelöst werden. Wir wollten die Wirksamkeit von elektromagnetisch abgeschirmten Räumen in Krankenhäusern oder anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens bewerten, unabhängig von der Ursache für den Krankenhausaufenthalt. Um einen möglichen Nutzen solcher Räume zu untermauern, fassten wir auch Forschungsergebnisse über die Fähigkeit elektromagnetisch überempfindlicher Personen zusammen, zwischen Exposition mit elektromagnetischen Feldern und Scheinexposition zu unterscheiden.

► Wir fanden keine Studien, die die Auswirkungen von elektromagnetisch geschirmten Räumen in Krankenhäusern oder anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens gezielt untersuchten. Daher haben wir keine Fakten, um auf die Wirksamkeit elektromagnetisch geschirmter Räumen schließen zu können.
► Unsere Meta-Analyse legt nahe, dass:
– Die Fähigkeit empfindlicher Personen, in Blindtests zwischen Exposition mit schwachen elektromagnetischen Feldern und Scheinexposition zu unterscheiden, die gleiche ist, wie es der Zufall erwarten lässt.
– Die Fähigkeit empfindlicher Personen, zwischen Exposition mit schwachen elektromagnetischen Feldern und Scheinexposition zu unterscheiden, die gleiche ist, wie bei den nicht-sensiblen Kontrollen.

Studien, in denen die Probanden gebeten wurden, zwischen der Exposition bei schwachen elektromagnetischen Feldern und Scheinexposition zu unterscheiden, untersuchten nur Befeldungen bis zu drei Stunden Dauer. Daher können wir die Möglichkeit nicht ausschließen, dass eine längere Exposition zu anderen Ergebnissen führen könnte.

Die Idee, in Krankenhäusern geschirmte Räume für "Elektrosensible" vorzuhalten, konnte sich bis heute nirgendwo durchsetzen. Mutmaßlich entsprang in Norwegen die Idee einer Interessenvertretung "Elektrosensibler". Ungefähr im selben Zeitraum gab es im benachbarten Finnland auf parlamentarischer Ebene ebenfalls Anfragen zugunsten "Elektrosensibler". So fragte die Abgeordnete Outi Alanko-Kahiluoto 2012, ob die finnische Regierung beabsichtige, die Diagnose elektromagnetische Hypersensibilität anzuerkennen und den Status EHS in der Gesetzgebung zu berücksichtigen. Sichtbares Ergebnis der Lobbyarbeit: 2014 wurde in der finnischen Ausgabe der ICD "Elektrosensibilität" indirekt unter dem Code R68.81 aufgenommen (Anhaltende oder wiederkehrende außergewöhnliche Empfindlichkeit gegenüber allgemeinen Umweltfaktoren).

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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