Diagnose Funk erzählt mal wieder was vom Pferd (Teil 2) (Allgemein)

Schutti2, Montag, 13.07.2020, 01:11 (vor 1529 Tagen) @ Schutti2

Noch ein langes Posting.

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Die Kurzfassung:
Der von "diagnose:funk" zu einem ganzen Team hochgelobte Autor Pearce verkauft uns als Stand des Wissens, was er in einer zehn Jahre alten Publikation gelesen hat. Beim Abschreiben vergisst er das Zitieren. Dafür zitiert er Literatur, die er, wie ich meine, gar nicht besitzt.
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Mit anderen Worten: Pearce zitiert auch schon mal auf Verdacht.
Wie ich zu dieser Meinung komme?
Pearce, wieder in meiner Übersetzung:
„Ein Übersichtsartikel zu gesundheitlichen Auswirkungen in der Nähe von Basisstationen kam zu dem Schluss, dass Basisstationen […] nicht näher als 500 m zur Bevölkerung und in einer Höhe von 50 m gelegen sein sollten. 11

Als diesen Übersichtsartikel („review“) zitiert er (bei ihm Quelle Nr. 11)
Gadzicka, E., Bortkiewicz, A., Zmyslony, M., Szymczak, W., & Szyjkowska, A. (2006).
Assessment of subjective complaints reported by people living near mobile phone base stations.
Biuletyn PTZE Warszawa, 14, 23-26.

Dieser Artikel, ich nenne ihn im folgenden kurz "Gadzicka 2006" hat mich interessiert, und so habe ich auf der Webseite der polnischen Fachgesellschaft PTZE nachgeschaut. Die Bulletins kann man dort runterladen, alle in polnisch, aber erst ab Ausgabe Nr. 15. Schade, knapp vorbei.
Ich frage also per E-Mail beim PTZE in Warschau nach und erfahre: Die fragliche Arbeit sei gar nicht in dem Bulletin publiziert worden. Es gebe aber eine Arbeit aus dem Jahr 2012 zu diesem Thema.
Pearce zitiert eine Studie, die er gar nicht hat? :confused:
Das wäre interessant.

Auf weitere Nachfrage direkt bei einer der Autorinnen ist zu erfahren: Doch, es gab in 2006 einen Konferenzbeitrag mit Berichten zur ersten Phase dieser Studie. Die eigentliche Publikation sei dann aber eben jene aus 2012. Diese ist frei einsehbar, hier und hier der Link

Pearce erwähnt diese Arbeit aus 2012 nicht. Merkwürdig.
Er behauptet doch von seiner Arbeit:
"this article summarizes the peer-reviewed literature on the effects of RFR from cellular phone base stations."

In der polnischen Publikation von 2012 ist jedenfalls zu lesen, dass die Häufigkeit einiger Beschwerden zwar einen Zusammenhang mit der Nähe zu Mobilfunkmasten aufwies, nicht aber mit der gemessenen Feldstärke der Funkwellen. Insgesamt aber eine Untersuchung mit Schwächen, wie ich meine. Die Empfindlichkeitsgrenze der verwendeten Messgeräte lag bei 0,8 V/m, und dieser Wert wurde in 88 % der untersuchten Wohnung gar nicht erreicht. Jedenfalls: Irgendeine Forderung oder auch nur Empfehlung nach einem 500-m-Abstand findet sich darin nicht. Weshalb auch? Und weshalb sollte das dann in einer vorläufigen Auswertung der ersten Studienphase gestanden haben?

Warum ich außerdem zu meiner Meinung, Pearce zitiere auf Verdacht, komme?

Das eingangs genannte Dokument ""Gadzicka 2006" ist zwar nicht im Web auffindbar. Aber es lässt sich natürlich danach suchen, wo es -außer von Pearce- sonst noch zitiert wurde. Und das ist interessant.
Eine der wenigen Zitat-Stellen von "Gadzicka 2006" findet sich in einer Arbeit von Khurana et al. mit dem Titel „Epidemiological Evidence for a Health Risk from Mobile Phone Base Stations“.
In dieser Studie von Khurana et al aus dem Jahr 2010 findet sich die Feststellung:
„In particular, the increased prevalence of adverse neurobehavioural symptoms or cancer in populations living at distances < 500 meters from base stations found in 80 % oft he available studies“
Wie schreibt gleich Pearce?
„Overall, in epidemiological studies to date that assessed negative health effects of mobile phone base stations […] 80% reported increased prevalence of adverse neurobehavioral symptoms or cancer in populations living at distances < 500m from base stations.“
Interessant. Pearce kommt in seinem angeblich aktuellen Review der verfügbaren Literatur praktisch wörtlich zu der gleichen Folgerung wie 9 Jahre vor ihm Khurana. Ohne dass er Khurana an dieser Stelle zitiert.
Allerdings zitiert er Khuranas Arbeit, aber an ganz anderer Stelle, als Beleg für die zahlreichen Wissenschaftler rund um die Welt die eine Senkung der Grenzwerte fordern.
Nicht aber an dieser Stelle. Ich meine, so geht Plagiat.

Als Quellen für die o.g. „80-Prozent aller Studien“-Behauptung zitiert Pearce nicht Khurana, sondern eine Reihe anderer Publikationen.Neun an der Zahl, ich erwähnte das in meinem vorigen Posting. Alle neun Publikationen aus der Zeit bis 2010. Das brachte mich auf die Idee, einmal den Zitatenanhang von „Khurana 2010“ (es sind 26 Publikationen, darunter eben die obskure polnische "Gadzicka 2006") zu vergleichen mit den 24 Publikationen, die Pearce 2019 in seinem Quellenapparat zitiert. Wenn ich keine übersehen habe, sind es neun Übereinstimmungen, z.T. sogar in der gleichen Reihenfolge der Quellennummern. Die Khurana-Studienauswahl, siehe die dortige Tabelle 1, ist nämlich identisch mit derjenigen von Pearce. Fast: Khurana zitierte noch Eger et al., die bahnbahnbrechende "Naila-Studie" von 2004. Die fiel bei Pearce unter dern Tisch. Vielleicht kann er zwar polnisch aber kein deutsch.

Zum selbstvergleichen hier mal eine graue Fundestelle der Khurana-Publikation im Volltext.

Er hat sich´s einfach gemacht und bei "Khurana 2010" abgeschrieben. Feierabend. Und ausgerechnet ein Jahr später, 2011, kam z.B. die bahnbrechende "Belo-Horizonte"-Studie von Frau Dode heraus. Schade, es hätte so schön gepasst.:wink:

Ich fasse mal zusammen.
"diagnose:funk" will uns die Arbeit von pearce als neue Quelle der Erkenntnis verkaufen "Sein Team recherchierte die aktuellen Daten zu Wirkungen der Hochfrequenzstrahlung."
Aus meiner Sicht haben wir mit Pearce´s Arbeit, was das angeht, nur ein schönes Stück Scheinwissenschaft. Basierend in der wesentlichen Aussage auf dem Plagiat einer Arbeit, die fast 10 Jahre alt ist. Null Wissenszuwachs.
Seine Behauptung "Dieser Artikel fasst die peer reviewed Literatur zu den Effekten hochfrequenter Strahlung von Mobilfunk-Basisstationen zusammen" (s.o.) ist schon eine freche Nebelkerze.
Mag sein, dass er mit seinen Vorschlägen, wie man denn die 500-m-Abstandswahrung technisch bewerkstelligen kann, seine eigenen Ideen präsentiert.
Nur - wozu?
Wenn das Problem nicht steht, ist es wurscht wie schön die Lösung ist.
Wenn ich "richtig" rechne, kann ich auch beweisen dass eins gleich zwei ist.

Für die Leute vom Stuttgarter-Wissenschafts-Kinderpostamt und einschlägige Schnellzitierer haben wir freilich dies: Ein weiteres bahnbrechendes Review zur Forschungslage, mit dem sich die Quellenanhänge weiterer bahnbrechender Reviews aufs prächtigste verlängern lassen. Usw. usf.

So ist das eben.
„Die Wissenschaft, sie ist und bleibt, was einer ab vom andern schreibt“
Meinte Eugen Roth.
Und fuhr fort: „Doch trotzdem ist, ganz unbestritten, sie immer weiter fortgeschritten.“
In diesem Fall sehe ich das eher nicht.

Tags:
Nebelkerze, Diagnose-Funk, Eger, Khurana, Junk-Science, Plagiat, Dode, Belo-Horizonte-Studie, Pearce


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