Sittenbach: Auftritt von Jörn Gutbier (II) (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Freitag, 01.03.2024, 19:34 (vor 194 Tagen) @ H. Lamarr

Jetzt schauen wir uns einmal an, ob und wenn ja was Jörn Gutbier anlässlich seines Auftritts in Sittenbach bewegt hat. Wissenschaftlich exakt lässt sich dies mit Bordmitteln zwar nicht ausloten, aber selbst eine Analyse mit Lücken ist immer noch besser als gar keine. Zu Hilfe kommt uns der glückliche und seltene Umstand, dass lange vor Gutbiers Auftritt die Sprecherin der ortsansässigen Anti-Mobilfunk-Bürgerinitiative bereits Anfang 2023 eine erste Bürgerbefragung unter Dach und Fach hatte und nach Gutbiers Auftritt die Gemeinde eine zweite Bürgerbefragung startete. Die so erhobenen Daten ermöglichen einen Vergleich:

Bürgerbefragung durch Bürgerinitiative vor Gutbiers Auftritt
► Befragte insgesamt: Anzahl unbekannt
► Teilnehmer: 284
► Für Funkmast: 140 (darin enthalten auch Stimmen für einen Außenstandort)
► Gegen Funkmast: 144

Bürgerbefragung durch Gemeinde nach Gutbiers Auftritt
► Befragte insgesamt: 487 (Mindestalter 18 Jahre)
► Teilnehmer: 264 (davon 1 Stimme ungültig)
► Für Funkmast: 117 (Stimmen für Innenstandort auf dem Feuerwehrhaus)
► Gegen Funkmast: 146

Auffällig ist zunächst, dass sich an der Befragung durch die Gemeinde rd. 46 Prozent der volljährigen Sittenbacher (223 Personen) nicht beteiligten, ihnen ist es augenscheinlich egal, ob im Ortskern ein Funkmast errichtet wird oder nicht. Dieser Personenkreis hat keinen Leidensdruck wegen schlechter Mobilfunkversorgung, folgt aber auch nicht den irrationalen Bedenken der Funkgegner. Mögliche Beweggründe: Das Dorf soll über schnelles DSL verfügen, was in den Haushalten W-Lan-Hotspots zulässt, und demnächst an Glasfaser angeschlossen werden (Quelle: Kommentator MB).

Nominell hat Gutbier die Anzahl der Funkgegner im Dorf nur um Zwei von 144 auf 146 erhöhen können. Das kann man aber auch anders sehen, nämlich dass er die Anzahl der Befürworter um 23 von 140 auf 117 dezimierte. Tatsächlich dürfte die Dezimierung jedoch daran liegen, dass die Gemeinde in ihrer Befragung den Kompromiss Außenstandort nicht angeboten hat und die 23 Abtrünnigen es vorzogen, lieber gar nicht abzustimmen, als zu den Gegnern überzulaufen. Für diese Überlegung spricht, dass die Befragung durch die Bürgerinitiative 20 Teilnehmer mehr aufweist als die Befragung durch die Gemeinde und diese 20 Personen mutmaßlich den Außenstandort favorisierten.

Wanderungen zwischen den Lagern könnte es ebenfalls gegeben haben, erschließen sich mir anhand der verfügbaren Daten jedoch nicht.

Wie im Startposting nachzulesen ist, nahmen am Vortrag von Thomas Kurz (LfU Bayern) 25 Sittenbacher teil, Gutbier soll 50 mobilisiert haben. Dies deute ich so, dass von den 146 Mobilfunkgegnern Sittenbachs etwa 50 den unbelehrbaren harten Kern bilden und die übrigen 96 Wechselwähler sind, die mit plausiblen Sachargumenten ins Lager der Befürworter geholt werden könnten. Aber: Da Kurz nur 25 Wechselwähler erreichen konnte, sind gemeindliche Informationsveranstaltungen für diese Zielgruppe anscheinend wenig wirksam. Besser wäre es mutmaßlich, müsste nicht der Berg (Bürger) zum Propheten (von der Gemeinde eingeladener Referent) kommen, sondern der Prophet würde zum Berg kommen. Das meine ich natürlich nicht wörtlich, sondern im übertragenen Sinn. Denkbar wäre z.B. eine attraktiv aufgemachte DVD in den Briefkästen von Bürgern, welche die gängige Argumentation von organisierten Mobilfunkgegnern aufgreift und nach allen Regeln der Kunst widerlegt. Würde die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim auf ein etwas älteres Publikum eingenordet, sie wäre mMn die Idealbesetzung für diesen Job. Selbstverständlich dürfte so eine DVD nicht von den Mobilfunknetzbetreibern kommen, dann wäre sie sofort stigmatisiert, sondern von Vater Staat oder noch besser aus einem Elfenbeinturm wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Zurück zum Thema dieses Postings: Aus meiner Sicht kann man es drehen und wenden wie man will, der dreistündige Auftritt von Jörn Gutbier hat in Sittenbach keine nennenswerte Auswirkungen auf die Meinungsbildung im Dorf gehabt. Die Sittenbacher hatten sich ihre feste Meinung zum "Risiko Mobilfunk" bereits gebildet, bevor der Diagnose-Funker und der Referent des LfU aufkreuzten. Solange es unter dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit zulässig und völlig risikolos ist, die sogenannte Informationsgesellschaft selbst im wissenschaftlichen Kontext mit Desinformation zu überschwemmen, wird sich daran auch nichts grundlegend ändern. Leicht gesagt, schwer getan :-(.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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