FSM kommentiert NTP- und Ramazzini-Studien (Allgemein)
In einem 12-seitigen Kommentar setzt sich die Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunikation (FSM) kritisch mit den im Februar 2018 vorgestellten beiden NTP-Studien (Abschlussberichte) und der im März 2018 publizierten Ramazzini-Studie auseinander. Der Kommentar beschreibt zunächst kompakt die Studiendesigns und geht dann mit den Ergebnissen und den Interpretationen der Studienautoren ins Gericht. Nachfolgend das abschließende Fazit des Kommentars. Es gipfelt darin, dass die Studien aus Sicht der beiden Kommentatoren (Gregor Dürrenberger, Jürg Fröhlich) aller Voraussicht nach nicht zu einer Verschärfung der IARC-Eingruppierung von EMF führen werden (von 2B –> möglicherweise krebserregend nach 2A -> wahrscheinlich krebserregend):
5. Allgemeines Fazit
5.1 Wissenschaftlich
Der Befund in beiden Studien, dass bei männlichen Ratten Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Schwannomen des Herzens und der Exposition gefunden wurden, ist etwas überraschend. Die Robustheit des Befunds ist aber nicht ganz klar. Bei NTP: keine Erkrankungen in der Kontrollgruppe, höhere Überlebensdauer der exponierten Tiere, höhere Körpertemperatur der Tiere in der höchsten Expositionskategorie, höhere organspezifische Erwärmung des Herzens. Bei Ramazzini: keine Erkrankungen in der Kontrollgruppe bei kleinen Fallzahlen, tiefen Expositionen und fehlendem Dosis-Wirkungs-Zusammenhang. Die Tatsache, dass in beiden Studien und auch in einigen epidemiologischen Arbeiten, die erhöhte Risiken von Akustikus-Neurinomen (gutartige Gehörnervtumore) zeigen, Schwann-Zellen auffällig sind, legt nahe, diese Zellen gezielt zu untersuchen um einen möglichen Zusammenhang mit Hochfrequenzstrahlung weiter zu klären.
5.2 Gesundheitspolitisch
Relevanz der Befunde: Schlüsse auf den Menschen sind aus zwei Gründen nicht möglich. Erstens ist die organspezifische EMF-Exposition bei Tieren vollständig anders als bei Menschen. Zweitens müssen biologische Wirkmechanismen, die auch beim Menschen relevant sind, bekannt sein, um entsprechende Schlussfolgerungen zu tätigen. Diese Limitationen von EMF-Tierstudien sind seit langem bekannt und nicht erst mit den hier kommentierten Arbeiten Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion.
- Die Absorption den EMF ist im Mobilfunk-Frequenzbereich bei Ratten und Mäusen ganz anders als bei Menschen. Das verweist auf einen wichtigen Unterschied zwischen EMF und toxischen Stoffen: letztere werden häufig von Tieren und Menschen ähnlich aufgenommen und über ähnliche Wege im Körper verteilt. Bei EMF ist das aber nicht durchwegs der Fall, weil die Körpergeometrie für die Exposition bzw. die organspezifische Absorption der Strahlung eine entscheidende Rolle spielt.
- Erst wenn man biologische Wirkmechanismen und Dosisschwellen kennt, die auch für den Menschen relevant sind, sind Schlussfolgerungen bzw. Verallgemeinerungen aus Tierbefunden möglich.
Meist wird in Tierversuchen mit hohen Expositionen gearbeitet. Das Ziel dabei ist, Hinwiese auf einen negativen Effekt (sog. hazard) zu finden. Erst wenn ein solcher identifiziert, die kritische Expositionsschwelle (Dosis) bekannt ist und die Wirkmechanismen auf den Menschen übertragbar sind, kann aus Tierstudien das Risikopotenzial für den Menschen abgeschätzt werden. In Bezug auf die hier diskutierten Tumore steht die Forschung noch in der Abklärung der grundsätzlichen Frage, ob die Strahlung einen negativen Effekt hat oder nicht (sog. hazard identification). Auch die Frage der Dosis ist noch ungeklärt.
Relevanz für die Risikobewertung: Aus dem Gesagten ergibt sich, dass für eine gesundheitspolitische Risikobewertung die hier vorgestellten Befunde eher wenig beitragen können. Zentral bleiben deshalb die epidemiologischen Hinweise aus Bevölkerungsstudien.
Es ist wahrscheinlich, dass die NTP und Ramazzini Ergebnisse die Risikobewertung, wie sie gegenwärtig von der WHO vorgenommen wird, eher erschweren. Die WHO stützt sich hinsichtlich Krebs auf die Beurteilung der IARC (International Agency for Research on Cancer). Die IARC benutzt für ihre Beurteilung ein generelles toxikologisches Schema, in dem Tierversuche eine wichtige Rolle spielen (siehe Anhang 2). Aus den oben erwähnten Gründen ist das Schema für die „Noxe“ EMF nur beschränkt sinnvoll.
Ungeachtet dessen ist es aus unserer Sicht aber eher unwahrscheinlich, dass die hier kommentierten Arbeiten die Kraft haben, die bisherige Evidenz aus Tierstudien von „limited“ auf „sufficient“ (Anhang 2.1) anzuheben und damit die Gesamteinschätzung gemäss IARC-Schema – ceteris paribus – von 2B zu 2A zu verschieben (Anhang 2.2).
Hinweis: Die im Fazit erwähnten Anhänge sind Bestandteil des Kommentars. Was die im Kopf des Kommentars genannte Krebsliga Schweiz mit dem Kommentar zu tun hat ist nicht ersichtlich, auch auf ihrer Website macht die Krebsliga dazu gegenwärtig keinerlei Angaben.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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