Faktencheck: Insektenstudie "Beefi" von Diagnose-Funk (I) (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 23.03.2024, 14:16 (vor 97 Tagen)

Das Panikorchester von Diagnose-Funk spielt wieder groß auf, diesmal geht es um die Wurst. Der Stuttgarter Anti-Mobilfunk-Verein präsentierte am 19. März 2024 auf einer Pressekonferenz geladenen Medienvertretern seine Neuauflage der Insektenreview "Biological Effects of Elektromagnetic Fields on Insects" (Beefi). Aus Sicht des Vereins ist das Ergebnis der Studie so alarmierend, dass eine EMF-Grenzwertsenkung auf 100.µW/m² unumgänglich ist. Doch eine Grenzwertsenkung wird es wegen der Review garantiert nicht geben. Denn eine einzelne Studie rechtfertigt einen solchen Schritt nicht. Schon gar nicht, wenn sie wie "Beefi" ein starkes Geschmäckle hat. Unser Faktencheck wird zeigen, das Projekt ist keine gewöhnliche Studie, sondern eine Kampagne zur breit angelegten Desinformation von Politik und Bevölkerung in Europa.

Die Insektenreview ist eine Literaturstudie, die per se keine grundlegend neuen Erkenntnisse liefern kann, sondern den Stand des Wissens zusammenfasst und aus Sicht der Autoren bewertet. Das Paper erschien online bereits am 23. November 2023 in der Fachzeitschrift Reviews on Environmental Health. Chefredakteur des Blatts ist David O. Carpenter, ein wissenschaftlicher Mobilfunkkritiker (BioInitiative-Report) der ersten Stunde. Die Insektenstudie wurde als Open-Access-Artikel veröffentlicht, der Volltext steht damit jedem unentgeltlich zur Verfügung. Die Artikelbearbeitungsgebühr von rd. 2800 Euro ging zulasten der drei Autoren, welche ihre Auslagen mutmaßlich von Diagnose-Funk (Auftraggeber der Studie) erstattet bekamen. Auf die Autoren kommen wir später noch zu sprechen.

Über den Peer-Review-Prozess der Zeitschrift gibt diese Seite allgemein Auskunft. Im Gegensatz zu einigen anderen Zeitschriften gibt Reviews on Environmental Health jedoch nicht preis, wie die Peer-Review der Insektenreview verlaufen ist, auch über das Einreichungsdatum des Manuskripts und ggf. Überarbeitungsschritte infolge der Peer-Review hüllt sich das Blatt in Schweigen. Wie auch immer, da das Paper veröffentlicht wurde, ist anzunehmen, dass es die unbekannten Gutachter am Ende des Peer-Review-Prozesses inhaltlich überzeugt hat.

Wir halten fest: Die Rahmenbedingungen für die Insektenreview wurden so gewählt, dass eine Ablehnung des Manuskripts durch das Publikationsorgan unwahrscheinlich ist und keine Bezahlschranke neugierige Laien vom freien Zugriff auf das Paper abschreckt. Das ist deshalb wichtig, weil Diagnose-Funk primär nicht wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn im Visier hat, sondern Unruhe in der Bevölkerung stiften möchte.

Der Abstract

Den folgenden Abstract der Insektenreview habe ich unverändert der Deutsch-Übersetzung der Beefi-Review entnommen, die von Diagnose-Funk angeboten wird.

Weltweit geht die Zahl der Insekten in alarmierendem Maße zurück. Neben anderen Ursachen spielen der Einsatz von Pestiziden und moderne landwirtschaftliche Praktiken dabei eine große Rolle. Die kumulativen Auswirkungen multipler niedrig dosierter Toxine und die Verteilung von Giftstoffen in der Natur werden erst seit kurzem methodisch untersucht. Bestehende Forschungen weisen auf einen weiteren Faktor anthropogenen Ursprungs hin, der subtile schädliche Auswirkungen haben könnte: die immer häufigere Nutzung elektromagnetischer Felder (EMF) durch vom Menschen geschaffene Technologien. Diese systematische Übersicht fasst die Ergebnisse von Studien zusammen, die die Toxizität elektromagnetischer Felder auf Insekten untersucht haben. Das Hauptziel dieser Übersichtsarbeit ist es, die Beweise für schädliche Auswirkungen der zunehmenden technologischen Infrastruktur auf Insekten abzuwägen, mit besonderem Augenmerk auf Stromleitungen und das Mobilfunknetz. Die nächste Generation von Mobilfunktechnologien, 5G, wird eingeführt, ohne dass sie auf mögliche toxische Auswirkungen getestet wurde. Mit dem Streben der Menschheit nach einer allgegenwärtigen Technologie könnten selbst geringe Auswirkungen elektromagnetischer Felder auf Organismen schließlich ein Sättigungsniveau erreichen, das nicht mehr ignoriert werden kann. Es wird ein Überblick über die berichteten Wirkungen und biologischen Mechanismen der Exposition gegenüber elektromagnetischen Feldern gegeben, der auch neue Erkenntnisse der Zellbiologie berücksichtigt. Nicht-thermische biologische Wirkungen von EMF auf Insekten sind im Labor eindeutig nachgewiesen, aber nur teilweise im Freiland, sodass die weiteren ökologischen Auswirkungen noch unbekannt sind. Es besteht ein Bedarf an mehr Feldstudien, aber die Extrapolation aus dem Labor, wie es in der Ökotoxikologie üblich ist, lässt bereits auf eine Erhöhung des Bedrohungsniveaus durch Auswirkungen von EMF auf Insekten schließen.

Wir halten fest: Üblicherweise ist Wissenschaft ergebnisoffen und nicht voreingenommen. Hier ist es anders. Die Autoren räumen Franck und frei ein, das Hauptziel ihrer Übersichtsarbeit sei das Abwägen der Beweise für schädliche Auswirkungen der zunehmenden technologischen Infrastruktur auf Insekten gewesen. Ihr Interesse galt also ausdrücklich Beweisen für schädliche Auswirkungen und nicht etwa Beweisen für unschädliche oder gar nützliche Auswirkungen. Doch der Abstract ist in sich widersprüchlich. Denn eingangs werden schädlichen EMF-Auswirkungen noch vorsichtig im Konjunktiv genannt und weiter unten ist von schädlichen Auswirkungen keine Rede mehr, sondern nur noch (neutral) von "biologischen Wirkungen", die alles und nichts bedeuten können.

Der Abstract hat damit zumindest in der Deutsch-Übersetzung seine Aufgabe verfehlt, Leser konkret über die wichtigsten Ergebnisse eines Papers zu informieren. Wertvoller Platz wird mit der ebenso unsinnigen wie haltlosen Behauptung verschenkt, die nächste Generation von Mobilfunktechnologien, 5G, werde eingeführt, ohne dass sie auf mögliche toxische Auswirkungen getestet wurde. Neu an 5G in Europa ist gegenwärtig das Trägerfrequenzband um 3,5 GHz. Millionen W-Lan-Router funken aber seit etwa zehn Jahren auf noch höherer Frequenz (5 GHz), was wegen der kürzeren Wellenlängen für Insekten noch "schädlicher" sein müsste. Wäre da wirklich etwas, es wäre aufgefallen, z.B. insektenfreie Wohnungen und Häuser oder massenhaft tote Insekten nahe Routern und Repeatern. Doch da gibt es keine Meldungen abgesehen von den üblichen statistischen Ausnahmen, welche nur die Regel bestätigen.

Wird fortgesetzt ...

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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