Typischer Mobilfunk-Alarmstudie auf den Zahn gefühlt (Allgemein)
Wenn eine frische Mobilfunkstudie publiziert wird, passiert in der organisierten Anti-Mobilfunk-Szene in aller Regel folgendes: Die Studie wird auf Alarmtauglichkeit geprüft, und bei positivem Befund mehr oder weniger aufwendig als "Alarmstudie" für die Anti-Mobilfunk-Szene präpariert. Der aus Berlin kommende Elektrosmog-Report lebt von solchen Präparationen. Er stellt regelmäßig Alarmstudien vor, schwierig ist das nicht, es wird lediglich der meist englische Originaltext übersetzt und deutlich gekürzt. Eine kritische inhaltliche Auseinandersetzung, z.B. mit der häufig komplexen Dosimetrie, liegt nicht im Interesse des Blättchens, sie findet daher nicht statt. Die Folge: Fehlerhafte englischsprachige Studien werden bei diesem Vorgehen 1:1 fehlerhaft in deutsch weiter in Umlauf gebracht.
Jüngstes Beispiel: Die Titelstory des Elektrosmog-Reports Ausgabe August 2012 schlägt folgendermaßen Alarm: "900-MHz-Strahlung erzeugt ROS und Apoptose in Blutzellen", was immer das auch heißen mag. Keine Sorge, die reaktiven Sauerstoffmoleküle sind nicht Thema dieses Postings, es geht um altbekanntes, die lieben Grenzwerte.
In dem Artikel wird die Exposition dem Leser folgendermaßen nahe gebracht:
[...] Dafür wurden frische Primärzellen von freiwilligen Erwachsenen [sic!] (25,3 ± 0,8 Jahre) 1,2,4,6 und 8 Stunden 0,4 W/kg ausgesetzt (Intensitäten, denen Menschen in 20 m Entfernung von einer Mobilfunk-Basistation oder beruflich an Funk- und Radararbeitsplätzen ausgesetzt sein können).
Das Deutsch holpert zwar wie ein Eselskarren auf einem albanischen Schmugglerpfad, aber man versteht, was vermittelt werden soll.
Stopp, moment mal! Was steht da? In 20 m Entfernung sollen Menschen dem Funkfeld einer Mobilfunk-Basisstation 0,4 W/kg Leistung entziehen?
Jetzt hätte es eigentlich bei der Redakteurin des Elektrosmog-Reports g'schnaggelt haben müssen, denn der Ganzkörpergrenzwert für die Zivilbevölkerung lautet bekanntlich 0,08 W/kg.
Die englische Originalpassage aus dem frei verfügbaren Volltext der Studie zeigt, die kühne Behauptung (0,4 W/kg in 20 m Entfernung) steht bereits im Original so drin:
In this study, isolated fresh human peripheral blood mononuclear cells were exposed to the radiation of 900MHz GSM RFEMF at a specific absorption rate (SAR) of 0.4 W/kg for 1 h, 2 h, 4 h, 6 h, and 8 h. The specific absorption rate was chosen to mimic the situation that people usually may absorb in an environment within a distance of 20 meters from mobile phone relay stations, or occupationally in an equipment room of microwave communication, or around a surveillance radar [15–17]. It is also the occupational exposure restriction suggested by the International Commissionon Non-ionizing Radiation Protection and some national radiological protection boards [18, 19]
Und nun?
Das IZgMF hat zwei Experten befragt, was von der 0,4-W/kg-in-20-m-Entfernung-Behauptung zu halten ist. Was dabei herauskam, zeigen die beiden Folgepostings. Die Experten sind die Biologin Dr. G. Ratto (Pseudonym) und der Dosimetriesachverständige Dr. C. Bornkessel.
Hintergrund
Die richtige Dosimetrie: Achillesferse von Mobilfunkstudien
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –