Einfluss auf die Gehirnfunktionen (Allgemein)

Alexander Lerchl @, Donnerstag, 12.06.2008, 04:32 (vor 5865 Tagen) @ Doris

GSM-Exposition mit 6 W/kg zeigt bei Ratten Einfluss auf die Gehirnfunktion

So steht es in dieser
Studie
und dieser Satz steht da auch
Our results confirm the
Mausset-Bonnefont
et al. study

Hier ist mir etwas unklar:
Die 6 W/kg irritieren mich. Dies entspricht doch keiner Belastung im
täglichen Leben? Wenn ja, warum werden dann Versuche mit so hohen
Expositionen gemacht und was sollen die uns sagen.

Moin,
es gibt verschiedene Grenzwerte. Laut ICNIRP sind diese folgendermaßen definiert (sog. Basisgrenzwerte, die in keinem Fall überschritten werden sollen): für den Ganzkörper sind sie für die allgemeine Bevölkerung 0,08 W/kg, für die beruflich exponierten Personen 0,4 W/kg. Diese Grenzwerte sind dann wichtig, wenn es sich vornehmlich um sog. Fernfeldexpositionen handelt, also wenn der oder die Sender weit entfernt sind und der Körper mehr oder weniger gleichmäßig exponiert wird. Beispiel Mobilfunkmasten, Radio- und Fernsehsender, Radarantennen usw. In der Realität werden diese Grenzwerte auch nicht annähernd erreicht, sondern allenfalls im Promille- oder ganz selten im einstelligen Prozentbereich ausgeschöpft. Die Basisgrenzwerte werden übrigens nicht bestimmt (viel zu aufwändig), sondern die abgeleiteten Grenzwerte, die frequenzabhängig sind und als Leistungsdichte (Einheit W/m²) definiert werden. Bei ihrer Einhaltung wird auch der Baisgrenzwert nicht überschritten. Das ist alles in den sog. "guidelines" bei ICNIRP nachzulesen.

Ganz anders die Situation bei den Teilkörpergrenzwerten. Sie sind viel höher (2 W/kg bei den normalen Bevölkerung und 10 W/kg bei beruflich Exponierten) und werden über 10g Körpergewebe gemittelt angegeben. Warum 10g? Das ist ungefähr die Größe des menschlichen Auges, das diesbezüglich als besonders empfindlich angesehen wird, da es bzw. der Glaskörper, die Hornhaut und die Linse schlecht durchblutet wird und daher die Wärme schlecht ableiten kann. Dieser Grenzwert ist für die Nahfeldexposition wichtig, wenn also z.B. ein Handy benutzt wird, das direkt am Kopf anliegt. Dieser Sender ist zwar schwach (im Mittel bis zu 0,125 W), aber die unmittelbare Nähe zum Gewebe bewirkt eine viel stärkere lokale Exposition. Eine Reihe von Untersuchungen hat gezeigt, dass die Ausschöpfung dieses Grenzwertes viel höher ist, in der Größenordnung 10 - 50%, manchmal aber auch darüber. Nebenbei: dies ist auch der Grund, warum es für die Gesamtexposition besser ist, wenn die nächste Basisstation nicht so weit weg ist. Dann reguliert das Handy nämlich die Leistung deutlich runter, bei UMTS bis unter 1% des Maximums. Interessant ist, dass auch Geräte, die im Allgemeinen als harmlos angesehen werden, diesbezüglich problematisch sein können, z.B. Babyphone (u.a. ein Ergebnis des Deutschen Mobilfunkforschungsprogramms).

Das bedeutet, dass die Exposition zu 6W/kg im Tierversuch zunächst vernünftig ist, weil dies den realen Verhältnissen sehr nahe kommt. Und grundsätzlich wird wie auch in der pharmakologischen oder toxikologischen Forschung so vorgegangen, dass die Dosis hoch angesetzt wird, um zu vertretbaren Expositionen des Menschen Aussagen zu treffen. Allerdings, und hier wird eine grundsätzliche Problematik deutlich, sind bei 6 W/kg schon thermische oder zumindest thermorelevante Effekte zu erwarten, da hier eine Energiemenge in den Organismus eingetragen wird, die sehr wahrscheinlich veränderte biochemische Prozesse erwarten lassen, die also "thermisch" verursacht und unstreitig sind. Ein weiteres Problem ist, dass die Dosis zwar mit 6W/kg angegeben ist, dies aber nur der gemittelte Wert ist, und zwar gemittelt über das Gehirn (oder Teile des Gehirns) der Ratten. Da die Absorption bei Nahfeldexposition allerdings mit der Entfernung zur Antenne schnell abnimmt, bei UMTS stärker als bei GSM 900, können leicht lokale (für die Bereiche des Gehirns) SAR-Werte auftreten, die nochmals höher sind und schnell 10 - 15 W/Kg erreichen, womit der thermische Bereich endgültig erreicht ist und nicht mehr von athermischen Effekten geredet werden kann. Dies sind also, mit anderen Worten, thermische Effekte. Wenn man jetzt noch weiß, dass das Gehirn sehr sensibel auf Temperaturerhöhungen reagiert, sind die Befunde nicht mehr so verwunderlich.

Ich hoffe, ein wenig zur Klärung beigetragen zu haben.

Ihr Alexander Lerchl

P.S.: Nicht dass Sie denken, ich bin nachtaktiv :-P Zurzeit bin ich in Kalifornien (9h Zeitdifferenz). Nein, kein Urlaub, sondern harte Arbeit (Kongress der Bioelectromagnetics Society).

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"Ein Esoteriker kann in fünf Minuten mehr Unsinn behaupten, als ein Wissenschaftler in seinem ganzen Leben widerlegen kann." Vince Ebert

Tags:
ICNIRP, Grenzwert, Babyphone, Studienübersicht


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